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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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verschwundenen Schöppenstuhl und Oberhof zu sein; sie wollte den
Volksgeist in seiner mächtigsten und faßbarsten Sphäre, dem Rechts-
leben ergreifen; sie wollte ihm Gestalt und Kraft für die Gegenwart
durch das geben, wodurch er Gestalt und Kraft in der Vergangen-
heit gehabt; sie ward zu einer volksthümlichen That, und damit zu
einem mächtigen, nie zu hoch anzuschlagenden Element der deutschen
Staatenbildung. Aus tiefer innerer Ueberzeugung, aus dem ge-
waltigen Glauben an ein deutsches Volksleben und nicht aus bloßer
Gelehrsamkeit hervorgegangen, ward ihr der heilige Funke mit-
gegeben, der zündend in die Herzen fiel; aus Begeisterung ent-
standen, erweckte sie Begeisterung; sie war keine Wissenschaft mehr,
sie ward zur staatlichen, zur nationalen Macht; sie verstand es,
ihre Jünger im Namen der großen Idee, deren Träger sie war,
über alles Kleinliche zu erheben, und ihnen in dem wahren, tiefen
und lebendigen Verständniß des Ganzen die warme Liebe für das
Einzelne, das Festhalten an dem Werth des Besonderen, den Lohn
für die Mühe der Arbeit zu geben. Sie war es, welche der
deutschen, schwerwandelnden, vom übrigen Europa vergessenen
Rechtswissenschaft die Frische und Jugendlichkeit des lebendigen
Geistes zurückgab; sie war es, welche es Deutschland möglich machte,
neben dem Glanze der französischen Rechtsbildung noch frei und
tapfer an der eigenen festzuhalten; und wenn unter den Einzelnen
die der Geschichte der Wissenschaft zieren, ein Name auch in der Ge-
schichte des deutschen Staatslebens in erster Reihe genannt werden
darf, so sollen wir uns den Manen Eichhorns beugen; wenige
haben so viel, sehr wenige mehr für Deutschland geleistet, als er.

Ist diese schöne, an Glauben und Begeisterung, an geistigem
Schwung und frischer Lust so reiche Zeit noch für uns vorhanden?
Als das römische Recht seine Weltstellung verlor, gab uns der
Geist unseres edlen Volkes die deutsche Rechtsgeschichte, sie wurde
für das deutsche wissenschaftliche Leben, was der Corpus Juris für
die ganze romanisch-germanische Welt gewesen, der Mittelpunkt
und die Quelle des Bewußtseins, daß jeder Einzelne an einem großen
Werke mitarbeite. Sie war die lebengebende Wärme des deutschen
Rechtsbewußtseins; sie war unser Eigenthum, denn kein Volk konnte
sich eines Aehnlichen rühmen, und während der Fremde die Zer-
fahrenheit des praktischen Rechts in Deutschland beklagte, mußte

verſchwundenen Schöppenſtuhl und Oberhof zu ſein; ſie wollte den
Volksgeiſt in ſeiner mächtigſten und faßbarſten Sphäre, dem Rechts-
leben ergreifen; ſie wollte ihm Geſtalt und Kraft für die Gegenwart
durch das geben, wodurch er Geſtalt und Kraft in der Vergangen-
heit gehabt; ſie ward zu einer volksthümlichen That, und damit zu
einem mächtigen, nie zu hoch anzuſchlagenden Element der deutſchen
Staatenbildung. Aus tiefer innerer Ueberzeugung, aus dem ge-
waltigen Glauben an ein deutſches Volksleben und nicht aus bloßer
Gelehrſamkeit hervorgegangen, ward ihr der heilige Funke mit-
gegeben, der zündend in die Herzen fiel; aus Begeiſterung ent-
ſtanden, erweckte ſie Begeiſterung; ſie war keine Wiſſenſchaft mehr,
ſie ward zur ſtaatlichen, zur nationalen Macht; ſie verſtand es,
ihre Jünger im Namen der großen Idee, deren Träger ſie war,
über alles Kleinliche zu erheben, und ihnen in dem wahren, tiefen
und lebendigen Verſtändniß des Ganzen die warme Liebe für das
Einzelne, das Feſthalten an dem Werth des Beſonderen, den Lohn
für die Mühe der Arbeit zu geben. Sie war es, welche der
deutſchen, ſchwerwandelnden, vom übrigen Europa vergeſſenen
Rechtswiſſenſchaft die Friſche und Jugendlichkeit des lebendigen
Geiſtes zurückgab; ſie war es, welche es Deutſchland möglich machte,
neben dem Glanze der franzöſiſchen Rechtsbildung noch frei und
tapfer an der eigenen feſtzuhalten; und wenn unter den Einzelnen
die der Geſchichte der Wiſſenſchaft zieren, ein Name auch in der Ge-
ſchichte des deutſchen Staatslebens in erſter Reihe genannt werden
darf, ſo ſollen wir uns den Manen Eichhorns beugen; wenige
haben ſo viel, ſehr wenige mehr für Deutſchland geleiſtet, als er.

Iſt dieſe ſchöne, an Glauben und Begeiſterung, an geiſtigem
Schwung und friſcher Luſt ſo reiche Zeit noch für uns vorhanden?
Als das römiſche Recht ſeine Weltſtellung verlor, gab uns der
Geiſt unſeres edlen Volkes die deutſche Rechtsgeſchichte, ſie wurde
für das deutſche wiſſenſchaftliche Leben, was der Corpus Juris für
die ganze romaniſch-germaniſche Welt geweſen, der Mittelpunkt
und die Quelle des Bewußtſeins, daß jeder Einzelne an einem großen
Werke mitarbeite. Sie war die lebengebende Wärme des deutſchen
Rechtsbewußtſeins; ſie war unſer Eigenthum, denn kein Volk konnte
ſich eines Aehnlichen rühmen, und während der Fremde die Zer-
fahrenheit des praktiſchen Rechts in Deutſchland beklagte, mußte

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[VII/0013] verſchwundenen Schöppenſtuhl und Oberhof zu ſein; ſie wollte den Volksgeiſt in ſeiner mächtigſten und faßbarſten Sphäre, dem Rechts- leben ergreifen; ſie wollte ihm Geſtalt und Kraft für die Gegenwart durch das geben, wodurch er Geſtalt und Kraft in der Vergangen- heit gehabt; ſie ward zu einer volksthümlichen That, und damit zu einem mächtigen, nie zu hoch anzuſchlagenden Element der deutſchen Staatenbildung. Aus tiefer innerer Ueberzeugung, aus dem ge- waltigen Glauben an ein deutſches Volksleben und nicht aus bloßer Gelehrſamkeit hervorgegangen, ward ihr der heilige Funke mit- gegeben, der zündend in die Herzen fiel; aus Begeiſterung ent- ſtanden, erweckte ſie Begeiſterung; ſie war keine Wiſſenſchaft mehr, ſie ward zur ſtaatlichen, zur nationalen Macht; ſie verſtand es, ihre Jünger im Namen der großen Idee, deren Träger ſie war, über alles Kleinliche zu erheben, und ihnen in dem wahren, tiefen und lebendigen Verſtändniß des Ganzen die warme Liebe für das Einzelne, das Feſthalten an dem Werth des Beſonderen, den Lohn für die Mühe der Arbeit zu geben. Sie war es, welche der deutſchen, ſchwerwandelnden, vom übrigen Europa vergeſſenen Rechtswiſſenſchaft die Friſche und Jugendlichkeit des lebendigen Geiſtes zurückgab; ſie war es, welche es Deutſchland möglich machte, neben dem Glanze der franzöſiſchen Rechtsbildung noch frei und tapfer an der eigenen feſtzuhalten; und wenn unter den Einzelnen die der Geſchichte der Wiſſenſchaft zieren, ein Name auch in der Ge- ſchichte des deutſchen Staatslebens in erſter Reihe genannt werden darf, ſo ſollen wir uns den Manen Eichhorns beugen; wenige haben ſo viel, ſehr wenige mehr für Deutſchland geleiſtet, als er. Iſt dieſe ſchöne, an Glauben und Begeiſterung, an geiſtigem Schwung und friſcher Luſt ſo reiche Zeit noch für uns vorhanden? Als das römiſche Recht ſeine Weltſtellung verlor, gab uns der Geiſt unſeres edlen Volkes die deutſche Rechtsgeſchichte, ſie wurde für das deutſche wiſſenſchaftliche Leben, was der Corpus Juris für die ganze romaniſch-germaniſche Welt geweſen, der Mittelpunkt und die Quelle des Bewußtſeins, daß jeder Einzelne an einem großen Werke mitarbeite. Sie war die lebengebende Wärme des deutſchen Rechtsbewußtſeins; ſie war unſer Eigenthum, denn kein Volk konnte ſich eines Aehnlichen rühmen, und während der Fremde die Zer- fahrenheit des praktiſchen Rechts in Deutſchland beklagte, mußte

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/13>, abgerufen am 28.03.2024.