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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Bevölkerung ist schon in diesem großen Gebiete der Verwaltung eine
gleiche Verwaltung bei voller Gleichartigkeit derselben undenkbar. Und
dieß wird das Einzelne später zeigen.

Das Zusammenfassen der Verwaltung des physischen und geistigen Lebens
in ein Ganzes findet, wenn es ein rein organisches und kein praktisches ist,
auch nur in der Wissenschaft seine Stelle. Aber die Wissenschaft, die sich Jahr-
hunderte lang nicht einmal darüber einig war, ob und wie viel sie von beiden
Gebieten überhaupt aufnehmen wollte, hat jene systematische Einheit natürlich
nicht aufgestellt. Nur läßt es sich allerdings nicht verkennen, daß namentlich
seit Mohl ein ziemlich deutliches Bewußtsein des Zusammengehörens beider
Theile vorhanden ist, das freilich nur als eine äußerliche Nebenordnung erscheint.
(Mohl, Polizeiwesen. Buch I. und Buch II.) Wir werden die Anerkennung
des organischen Verständnisses überhaupt erst dann gewinnen, wenn wir eine
Wissenschaft der Verwaltung haben werden.


Erster Theil.
Das physische Leben und die Verwaltung.
Die vier Gebiete derselben.

Der Mensch als physische Person lebt und stirbt; er wechselt seinen
Aufenthalt; er ist thätig in hundert Richtungen; er ist krank und ge-
sund; er ist geistig unfähig; er ist abwesend; er ist jung oder alt,
verehelicht oder nicht -- das sind lauter Lebensverhältnisse, welche in
dem Wesen der Person liegen. Jedes dieser Verhältnisse hat seine eigene
wissenschaftliche Betrachtung, seine eigenen Gesetze, nach denen diese
Zustände entstehen und vergehen; wie immer sie sein mögen, sie sind
kein Gegenstand der Verwaltung.

Allein jeder Mensch steht gerade vermöge dieser Verhältnisse und
in ihnen in irgend einer Verbindung mit andern. Jedes derselben,
indem es für das Individuum von irgend einem Einfluß ist, ist es
daher auch für die mit ihm in Verbindung stehenden anderen, und
damit für die Gemeinschaft selbst. Dieser sogenannte Einfluß zeigt sich
bei näherer Betrachtung als eine irgendwie geartete Bedingung für
die Thätigkeit, den Besitz, die Stellung der andern. Es ist nicht
gleichgültig für alle, ob der Einzelne lebt oder nicht, ob und wann er
geboren, wo er geboren, was er thut, ob er krank oder gesund, geistig
selbständig ist oder nicht. Oft hängt das ganze Dasein und Glück,
immer irgend eine Sache für dritte davon ab. Und dennoch können

Bevölkerung iſt ſchon in dieſem großen Gebiete der Verwaltung eine
gleiche Verwaltung bei voller Gleichartigkeit derſelben undenkbar. Und
dieß wird das Einzelne ſpäter zeigen.

Das Zuſammenfaſſen der Verwaltung des phyſiſchen und geiſtigen Lebens
in ein Ganzes findet, wenn es ein rein organiſches und kein praktiſches iſt,
auch nur in der Wiſſenſchaft ſeine Stelle. Aber die Wiſſenſchaft, die ſich Jahr-
hunderte lang nicht einmal darüber einig war, ob und wie viel ſie von beiden
Gebieten überhaupt aufnehmen wollte, hat jene ſyſtematiſche Einheit natürlich
nicht aufgeſtellt. Nur läßt es ſich allerdings nicht verkennen, daß namentlich
ſeit Mohl ein ziemlich deutliches Bewußtſein des Zuſammengehörens beider
Theile vorhanden iſt, das freilich nur als eine äußerliche Nebenordnung erſcheint.
(Mohl, Polizeiweſen. Buch I. und Buch II.) Wir werden die Anerkennung
des organiſchen Verſtändniſſes überhaupt erſt dann gewinnen, wenn wir eine
Wiſſenſchaft der Verwaltung haben werden.


Erſter Theil.
Das phyſiſche Leben und die Verwaltung.
Die vier Gebiete derſelben.

Der Menſch als phyſiſche Perſon lebt und ſtirbt; er wechſelt ſeinen
Aufenthalt; er iſt thätig in hundert Richtungen; er iſt krank und ge-
ſund; er iſt geiſtig unfähig; er iſt abweſend; er iſt jung oder alt,
verehelicht oder nicht — das ſind lauter Lebensverhältniſſe, welche in
dem Weſen der Perſon liegen. Jedes dieſer Verhältniſſe hat ſeine eigene
wiſſenſchaftliche Betrachtung, ſeine eigenen Geſetze, nach denen dieſe
Zuſtände entſtehen und vergehen; wie immer ſie ſein mögen, ſie ſind
kein Gegenſtand der Verwaltung.

Allein jeder Menſch ſteht gerade vermöge dieſer Verhältniſſe und
in ihnen in irgend einer Verbindung mit andern. Jedes derſelben,
indem es für das Individuum von irgend einem Einfluß iſt, iſt es
daher auch für die mit ihm in Verbindung ſtehenden anderen, und
damit für die Gemeinſchaft ſelbſt. Dieſer ſogenannte Einfluß zeigt ſich
bei näherer Betrachtung als eine irgendwie geartete Bedingung für
die Thätigkeit, den Beſitz, die Stellung der andern. Es iſt nicht
gleichgültig für alle, ob der Einzelne lebt oder nicht, ob und wann er
geboren, wo er geboren, was er thut, ob er krank oder geſund, geiſtig
ſelbſtändig iſt oder nicht. Oft hängt das ganze Daſein und Glück,
immer irgend eine Sache für dritte davon ab. Und dennoch können

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[103/0125] Bevölkerung iſt ſchon in dieſem großen Gebiete der Verwaltung eine gleiche Verwaltung bei voller Gleichartigkeit derſelben undenkbar. Und dieß wird das Einzelne ſpäter zeigen. Das Zuſammenfaſſen der Verwaltung des phyſiſchen und geiſtigen Lebens in ein Ganzes findet, wenn es ein rein organiſches und kein praktiſches iſt, auch nur in der Wiſſenſchaft ſeine Stelle. Aber die Wiſſenſchaft, die ſich Jahr- hunderte lang nicht einmal darüber einig war, ob und wie viel ſie von beiden Gebieten überhaupt aufnehmen wollte, hat jene ſyſtematiſche Einheit natürlich nicht aufgeſtellt. Nur läßt es ſich allerdings nicht verkennen, daß namentlich ſeit Mohl ein ziemlich deutliches Bewußtſein des Zuſammengehörens beider Theile vorhanden iſt, das freilich nur als eine äußerliche Nebenordnung erſcheint. (Mohl, Polizeiweſen. Buch I. und Buch II.) Wir werden die Anerkennung des organiſchen Verſtändniſſes überhaupt erſt dann gewinnen, wenn wir eine Wiſſenſchaft der Verwaltung haben werden. Erſter Theil. Das phyſiſche Leben und die Verwaltung. Die vier Gebiete derſelben. Der Menſch als phyſiſche Perſon lebt und ſtirbt; er wechſelt ſeinen Aufenthalt; er iſt thätig in hundert Richtungen; er iſt krank und ge- ſund; er iſt geiſtig unfähig; er iſt abweſend; er iſt jung oder alt, verehelicht oder nicht — das ſind lauter Lebensverhältniſſe, welche in dem Weſen der Perſon liegen. Jedes dieſer Verhältniſſe hat ſeine eigene wiſſenſchaftliche Betrachtung, ſeine eigenen Geſetze, nach denen dieſe Zuſtände entſtehen und vergehen; wie immer ſie ſein mögen, ſie ſind kein Gegenſtand der Verwaltung. Allein jeder Menſch ſteht gerade vermöge dieſer Verhältniſſe und in ihnen in irgend einer Verbindung mit andern. Jedes derſelben, indem es für das Individuum von irgend einem Einfluß iſt, iſt es daher auch für die mit ihm in Verbindung ſtehenden anderen, und damit für die Gemeinſchaft ſelbſt. Dieſer ſogenannte Einfluß zeigt ſich bei näherer Betrachtung als eine irgendwie geartete Bedingung für die Thätigkeit, den Beſitz, die Stellung der andern. Es iſt nicht gleichgültig für alle, ob der Einzelne lebt oder nicht, ob und wann er geboren, wo er geboren, was er thut, ob er krank oder geſund, geiſtig ſelbſtändig iſt oder nicht. Oft hängt das ganze Daſein und Glück, immer irgend eine Sache für dritte davon ab. Und dennoch können

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/125>, abgerufen am 28.03.2024.