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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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wird zur Grundlage der Erkenntniß der großen Faktoren, welche jene
örtliche Bewegung, den Wechsel des Aufenthalts oder die Reisen, her-
vorbringen. Allein auch die örtliche Bewegung des Individuums inner-
halb
dieser Gesammtbewegung berührt fast immer mehr oder weniger
neue an sich unbestimmbare Interessen und Rechte, und die Constatirung
dieser individuellen Bewegung wird dadurch zu einer weitern Aufgabe
der Verwaltung, deren Erfüllung wir in den Formen des Paßwesens
und des Meldungswesens als dritten Theil des öffentlichen Rechts
der Bevölkerungsordnung aufzustellen haben.

Das vierte Verhältniß ist endlich das Angehören an einen Selbst-
verwaltungskörper, mit allen Voraussetzungen und Folgen, die derselbe
hat, oder das Heimathswesen. Die Aufgabe des öffentlichen Rechts
der Verwaltung ist es hier, das Verhalten der individuellen örtlichen
Bewegung, der Reise, des Aufenthalts u. s. w. zu dem Erwerbe und
Verluste dieser Angehörigkeit zu bestimmen; das Heimathswesen, indem
es formell dem Gemeindewesen angehört, enthält demnach denjenigen
Theil des Verwaltungsrechts im Gemeinderecht, den wir als das Be-
völkerungsrecht des Gemeindewesens
bezeichnen können.

Es ist auf den ersten Blick klar, daß in diesen vier Grundformen
der Verwaltung der Bevölkerung eine Steigerung der Function der
Verwaltung enthalten ist. Die Zählung hat noch immer zu ihrem
Ergebniß zunächst ein geistiges Bild, eine bloße Anschauung, in der
sich die Masse der Bevölkerung zu einer festen, aber freilich an Be-
ziehungen unendlich reichen Gestalt entfaltet. Die Standesregister,
indem sie einerseits der Zählung dienen, haben schon das physische
Leben des Individuums in seinen Grundverhältnissen zu seiner nächsten
Umgebung als rechtliche Thatsache zu constatiren. Das Paß- und
Meldungswesen dagegen geht noch weiter, indem es die Fähigkeit
besitzt und auch zum Theil ausübt, die Vorschriften über die Constati-
rung des zeitlichen Aufenthalts zu einem administrativen Mittel in
der örtlichen Bewegung der Bevölkerung zu machen. Das Heimaths-
wesen
endlich bildet an und für sich aus der Thatsache des Aufent-
halts ein öffentliches, für jedes Individuum und damit für das Ganze
hochwichtiges Recht des Individuums, und damit ein dauerndes orga-
nisches Verhältniß für das Gesammtleben. Es ist daher kein Zweifel,
daß man die Gesammtheit dieser Bestimmungen als einen natürlichen,
immanenten Theil des Bevölkerungswesens betrachten muß; es ist gewiß,
daß dieselben wenigstens zum Theil sogar älter und weit umfassender
sind, als die einzelnen Zweige der Bevölkerungspolitik. Und wir müssen
sie daher als organischen Theil der Bevölkerungsverwaltung an die
letztere anschließen.

wird zur Grundlage der Erkenntniß der großen Faktoren, welche jene
örtliche Bewegung, den Wechſel des Aufenthalts oder die Reiſen, her-
vorbringen. Allein auch die örtliche Bewegung des Individuums inner-
halb
dieſer Geſammtbewegung berührt faſt immer mehr oder weniger
neue an ſich unbeſtimmbare Intereſſen und Rechte, und die Conſtatirung
dieſer individuellen Bewegung wird dadurch zu einer weitern Aufgabe
der Verwaltung, deren Erfüllung wir in den Formen des Paßweſens
und des Meldungsweſens als dritten Theil des öffentlichen Rechts
der Bevölkerungsordnung aufzuſtellen haben.

Das vierte Verhältniß iſt endlich das Angehören an einen Selbſt-
verwaltungskörper, mit allen Vorausſetzungen und Folgen, die derſelbe
hat, oder das Heimathsweſen. Die Aufgabe des öffentlichen Rechts
der Verwaltung iſt es hier, das Verhalten der individuellen örtlichen
Bewegung, der Reiſe, des Aufenthalts u. ſ. w. zu dem Erwerbe und
Verluſte dieſer Angehörigkeit zu beſtimmen; das Heimathsweſen, indem
es formell dem Gemeindeweſen angehört, enthält demnach denjenigen
Theil des Verwaltungsrechts im Gemeinderecht, den wir als das Be-
völkerungsrecht des Gemeindeweſens
bezeichnen können.

Es iſt auf den erſten Blick klar, daß in dieſen vier Grundformen
der Verwaltung der Bevölkerung eine Steigerung der Function der
Verwaltung enthalten iſt. Die Zählung hat noch immer zu ihrem
Ergebniß zunächſt ein geiſtiges Bild, eine bloße Anſchauung, in der
ſich die Maſſe der Bevölkerung zu einer feſten, aber freilich an Be-
ziehungen unendlich reichen Geſtalt entfaltet. Die Standesregiſter,
indem ſie einerſeits der Zählung dienen, haben ſchon das phyſiſche
Leben des Individuums in ſeinen Grundverhältniſſen zu ſeiner nächſten
Umgebung als rechtliche Thatſache zu conſtatiren. Das Paß- und
Meldungsweſen dagegen geht noch weiter, indem es die Fähigkeit
beſitzt und auch zum Theil ausübt, die Vorſchriften über die Conſtati-
rung des zeitlichen Aufenthalts zu einem adminiſtrativen Mittel in
der örtlichen Bewegung der Bevölkerung zu machen. Das Heimaths-
weſen
endlich bildet an und für ſich aus der Thatſache des Aufent-
halts ein öffentliches, für jedes Individuum und damit für das Ganze
hochwichtiges Recht des Individuums, und damit ein dauerndes orga-
niſches Verhältniß für das Geſammtleben. Es iſt daher kein Zweifel,
daß man die Geſammtheit dieſer Beſtimmungen als einen natürlichen,
immanenten Theil des Bevölkerungsweſens betrachten muß; es iſt gewiß,
daß dieſelben wenigſtens zum Theil ſogar älter und weit umfaſſender
ſind, als die einzelnen Zweige der Bevölkerungspolitik. Und wir müſſen
ſie daher als organiſchen Theil der Bevölkerungsverwaltung an die
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[212/0234] wird zur Grundlage der Erkenntniß der großen Faktoren, welche jene örtliche Bewegung, den Wechſel des Aufenthalts oder die Reiſen, her- vorbringen. Allein auch die örtliche Bewegung des Individuums inner- halb dieſer Geſammtbewegung berührt faſt immer mehr oder weniger neue an ſich unbeſtimmbare Intereſſen und Rechte, und die Conſtatirung dieſer individuellen Bewegung wird dadurch zu einer weitern Aufgabe der Verwaltung, deren Erfüllung wir in den Formen des Paßweſens und des Meldungsweſens als dritten Theil des öffentlichen Rechts der Bevölkerungsordnung aufzuſtellen haben. Das vierte Verhältniß iſt endlich das Angehören an einen Selbſt- verwaltungskörper, mit allen Vorausſetzungen und Folgen, die derſelbe hat, oder das Heimathsweſen. Die Aufgabe des öffentlichen Rechts der Verwaltung iſt es hier, das Verhalten der individuellen örtlichen Bewegung, der Reiſe, des Aufenthalts u. ſ. w. zu dem Erwerbe und Verluſte dieſer Angehörigkeit zu beſtimmen; das Heimathsweſen, indem es formell dem Gemeindeweſen angehört, enthält demnach denjenigen Theil des Verwaltungsrechts im Gemeinderecht, den wir als das Be- völkerungsrecht des Gemeindeweſens bezeichnen können. Es iſt auf den erſten Blick klar, daß in dieſen vier Grundformen der Verwaltung der Bevölkerung eine Steigerung der Function der Verwaltung enthalten iſt. Die Zählung hat noch immer zu ihrem Ergebniß zunächſt ein geiſtiges Bild, eine bloße Anſchauung, in der ſich die Maſſe der Bevölkerung zu einer feſten, aber freilich an Be- ziehungen unendlich reichen Geſtalt entfaltet. Die Standesregiſter, indem ſie einerſeits der Zählung dienen, haben ſchon das phyſiſche Leben des Individuums in ſeinen Grundverhältniſſen zu ſeiner nächſten Umgebung als rechtliche Thatſache zu conſtatiren. Das Paß- und Meldungsweſen dagegen geht noch weiter, indem es die Fähigkeit beſitzt und auch zum Theil ausübt, die Vorſchriften über die Conſtati- rung des zeitlichen Aufenthalts zu einem adminiſtrativen Mittel in der örtlichen Bewegung der Bevölkerung zu machen. Das Heimaths- weſen endlich bildet an und für ſich aus der Thatſache des Aufent- halts ein öffentliches, für jedes Individuum und damit für das Ganze hochwichtiges Recht des Individuums, und damit ein dauerndes orga- niſches Verhältniß für das Geſammtleben. Es iſt daher kein Zweifel, daß man die Geſammtheit dieſer Beſtimmungen als einen natürlichen, immanenten Theil des Bevölkerungsweſens betrachten muß; es iſt gewiß, daß dieſelben wenigſtens zum Theil ſogar älter und weit umfaſſender ſind, als die einzelnen Zweige der Bevölkerungspolitik. Und wir müſſen ſie daher als organiſchen Theil der Bevölkerungsverwaltung an die letztere anſchließen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/234>, abgerufen am 25.04.2024.