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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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behält die Heilkunde den gewerbsmäßigen Charakter, und das Heilwesen
erhebt sich daher überhaupt nicht zu einem Gebiete der Verwaltung.

In der ständischen Gesellschaftsordnung dagegen tritt die berufs-
mäßige Bildung selbständig auf, und zwar einerseits mit corporativer
Verwaltung und Rechten des höheren Heilpersonals, der Doctores
medicinae,
andererseits aber auch mit strenger ständischer Ausschließung
gegenüber der nicht berufsmäßig Gebildeten. So entsteht die tiefe Schei-
dung innerhalb des Heilpersonals der ständischen Epoche, welche auf
einem qualitativen Unterschied beruht, und jede Gemeinschaft und Gleich-
artigkeit des öffentlichen Rechts in dieser Zeit ausschließt. Wir bezeich-
nen sie demgemäß als das berufsmäßige und das gewerbsmäßige
Heilpersonal. Die ersteren empfangen die strenge corporative Selbst-
verwaltung, die sich zunächst an die Universitäten anschließt, die letzteren
bleiben dagegen reines Gewerbe, das sich als selbständige Zunft ordnet.
So entstehen die, specifisch der germanischen Welt angehörigen Unter-
schiede zwischen der Classe der Aerzte einerseits, denen sich die Apo-
theker
anreihen, und der Wundärzte, Bader, Feldscheerer u. s. w.
andererseits. Das erste Princip des öffentlichen Rechts dieses Unter-
schiedes erscheint dann in der Ausschließung der letzteren von den inne-
ren Krankheiten, und in der Anschauung der ersteren, daß die technische
Behandlung der äußeren Krankheiten sie entwürdige. Die zweite Folge
ist das Entstehen der Verfolgung der Kurpfuscherei. Die dritte endlich
ist die Unterordnung der gesammten zweiten Classe unter die erstere.

Der Widerspruch, der darin mit der höheren Natur des Heilwesens
liegt, wird nun namentlich seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts
allmählig durch den Fortschritt der medicinischen Wissenschaften immer
klarer, die Vorstellung, daß die äußeren Krankheiten der letzteren nicht
bedürfen, immer mehr verdrängt, und das gewerbliche Element in den
niederen Classen des Heilpersonals mehr und mehr beseitigt. Die Grund-
lage dieser Entwicklung ist wesentlich der Gedanke, daß der ärztliche
Beruf im weitesten Sinne ein öffentlicher, ein munus publicum sei,
und daher in allen seinen Theilen eine gewisse gleichartige Grundlage
haben müsse. Diese Erkenntniß findet zuerst ihren Ausdruck in dem
Entstehen der staatlichen Gesundheitsverwaltung, und die erste, wenn
auch nur äußerliche Verbindung der verschiedenen Classen wird durch
die Herstellung einer dem ganzen Heilpersonal gemeinsamen obersten
Verwaltung
angebahnt. Dieß geschieht durch die Collegia medica
und sanitatis seit dem achtzehnten Jahrhundert. Aus der formalen
Gemeinschaft unter dieser "Sanitätspolizei" entwickelt sich langsam eine
innere, die in der immer strenger geordneten fachmännischen Bildung
der zweiten Classe ins Leben tritt, und in der allmähligen Aufhebung

behält die Heilkunde den gewerbsmäßigen Charakter, und das Heilweſen
erhebt ſich daher überhaupt nicht zu einem Gebiete der Verwaltung.

In der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung dagegen tritt die berufs-
mäßige Bildung ſelbſtändig auf, und zwar einerſeits mit corporativer
Verwaltung und Rechten des höheren Heilperſonals, der Doctores
medicinae,
andererſeits aber auch mit ſtrenger ſtändiſcher Ausſchließung
gegenüber der nicht berufsmäßig Gebildeten. So entſteht die tiefe Schei-
dung innerhalb des Heilperſonals der ſtändiſchen Epoche, welche auf
einem qualitativen Unterſchied beruht, und jede Gemeinſchaft und Gleich-
artigkeit des öffentlichen Rechts in dieſer Zeit ausſchließt. Wir bezeich-
nen ſie demgemäß als das berufsmäßige und das gewerbsmäßige
Heilperſonal. Die erſteren empfangen die ſtrenge corporative Selbſt-
verwaltung, die ſich zunächſt an die Univerſitäten anſchließt, die letzteren
bleiben dagegen reines Gewerbe, das ſich als ſelbſtändige Zunft ordnet.
So entſtehen die, ſpecifiſch der germaniſchen Welt angehörigen Unter-
ſchiede zwiſchen der Claſſe der Aerzte einerſeits, denen ſich die Apo-
theker
anreihen, und der Wundärzte, Bader, Feldſcheerer u. ſ. w.
andererſeits. Das erſte Princip des öffentlichen Rechts dieſes Unter-
ſchiedes erſcheint dann in der Ausſchließung der letzteren von den inne-
ren Krankheiten, und in der Anſchauung der erſteren, daß die techniſche
Behandlung der äußeren Krankheiten ſie entwürdige. Die zweite Folge
iſt das Entſtehen der Verfolgung der Kurpfuſcherei. Die dritte endlich
iſt die Unterordnung der geſammten zweiten Claſſe unter die erſtere.

Der Widerſpruch, der darin mit der höheren Natur des Heilweſens
liegt, wird nun namentlich ſeit dem Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts
allmählig durch den Fortſchritt der mediciniſchen Wiſſenſchaften immer
klarer, die Vorſtellung, daß die äußeren Krankheiten der letzteren nicht
bedürfen, immer mehr verdrängt, und das gewerbliche Element in den
niederen Claſſen des Heilperſonals mehr und mehr beſeitigt. Die Grund-
lage dieſer Entwicklung iſt weſentlich der Gedanke, daß der ärztliche
Beruf im weiteſten Sinne ein öffentlicher, ein munus publicum ſei,
und daher in allen ſeinen Theilen eine gewiſſe gleichartige Grundlage
haben müſſe. Dieſe Erkenntniß findet zuerſt ihren Ausdruck in dem
Entſtehen der ſtaatlichen Geſundheitsverwaltung, und die erſte, wenn
auch nur äußerliche Verbindung der verſchiedenen Claſſen wird durch
die Herſtellung einer dem ganzen Heilperſonal gemeinſamen oberſten
Verwaltung
angebahnt. Dieß geſchieht durch die Collegia medica
und sanitatis ſeit dem achtzehnten Jahrhundert. Aus der formalen
Gemeinſchaft unter dieſer „Sanitätspolizei“ entwickelt ſich langſam eine
innere, die in der immer ſtrenger geordneten fachmänniſchen Bildung
der zweiten Claſſe ins Leben tritt, und in der allmähligen Aufhebung

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[94/0110] behält die Heilkunde den gewerbsmäßigen Charakter, und das Heilweſen erhebt ſich daher überhaupt nicht zu einem Gebiete der Verwaltung. In der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung dagegen tritt die berufs- mäßige Bildung ſelbſtändig auf, und zwar einerſeits mit corporativer Verwaltung und Rechten des höheren Heilperſonals, der Doctores medicinae, andererſeits aber auch mit ſtrenger ſtändiſcher Ausſchließung gegenüber der nicht berufsmäßig Gebildeten. So entſteht die tiefe Schei- dung innerhalb des Heilperſonals der ſtändiſchen Epoche, welche auf einem qualitativen Unterſchied beruht, und jede Gemeinſchaft und Gleich- artigkeit des öffentlichen Rechts in dieſer Zeit ausſchließt. Wir bezeich- nen ſie demgemäß als das berufsmäßige und das gewerbsmäßige Heilperſonal. Die erſteren empfangen die ſtrenge corporative Selbſt- verwaltung, die ſich zunächſt an die Univerſitäten anſchließt, die letzteren bleiben dagegen reines Gewerbe, das ſich als ſelbſtändige Zunft ordnet. So entſtehen die, ſpecifiſch der germaniſchen Welt angehörigen Unter- ſchiede zwiſchen der Claſſe der Aerzte einerſeits, denen ſich die Apo- theker anreihen, und der Wundärzte, Bader, Feldſcheerer u. ſ. w. andererſeits. Das erſte Princip des öffentlichen Rechts dieſes Unter- ſchiedes erſcheint dann in der Ausſchließung der letzteren von den inne- ren Krankheiten, und in der Anſchauung der erſteren, daß die techniſche Behandlung der äußeren Krankheiten ſie entwürdige. Die zweite Folge iſt das Entſtehen der Verfolgung der Kurpfuſcherei. Die dritte endlich iſt die Unterordnung der geſammten zweiten Claſſe unter die erſtere. Der Widerſpruch, der darin mit der höheren Natur des Heilweſens liegt, wird nun namentlich ſeit dem Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts allmählig durch den Fortſchritt der mediciniſchen Wiſſenſchaften immer klarer, die Vorſtellung, daß die äußeren Krankheiten der letzteren nicht bedürfen, immer mehr verdrängt, und das gewerbliche Element in den niederen Claſſen des Heilperſonals mehr und mehr beſeitigt. Die Grund- lage dieſer Entwicklung iſt weſentlich der Gedanke, daß der ärztliche Beruf im weiteſten Sinne ein öffentlicher, ein munus publicum ſei, und daher in allen ſeinen Theilen eine gewiſſe gleichartige Grundlage haben müſſe. Dieſe Erkenntniß findet zuerſt ihren Ausdruck in dem Entſtehen der ſtaatlichen Geſundheitsverwaltung, und die erſte, wenn auch nur äußerliche Verbindung der verſchiedenen Claſſen wird durch die Herſtellung einer dem ganzen Heilperſonal gemeinſamen oberſten Verwaltung angebahnt. Dieß geſchieht durch die Collegia medica und sanitatis ſeit dem achtzehnten Jahrhundert. Aus der formalen Gemeinſchaft unter dieſer „Sanitätspolizei“ entwickelt ſich langſam eine innere, die in der immer ſtrenger geordneten fachmänniſchen Bildung der zweiten Claſſe ins Leben tritt, und in der allmähligen Aufhebung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/110>, abgerufen am 29.03.2024.