Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

ist prosaisch geworden, denn das Göttliche ist aus ihr ver¬
schwunden: sie ist Mein Eigenthum, mit dem ich schalte und
walte, wie Mir's (nämlich dem Geiste) beliebt.

Als Ich Mich dazu erhoben hatte, der Eigner der
Welt
zu sein, da hatte der Egoismus seinen ersten vollstän¬
digen Sieg errungen, hatte die Welt überwunden, war welt¬
los
geworden, und legte den Erwerb eines langen Weltalters
unter Schloß und Riegel.

Das erste Eigenthum, die erste "Herrlichkeit" ist erworben!

Doch der Herr der Welt ist noch nicht Herr seiner Ge¬
danken, seiner Gefühle, seines Willens: er ist nicht Herr und
Eigner des Geistes, denn der Geist ist noch heilig, der "hei¬
lige Geist", und der "weltlose" Christ vermag nicht "gottlos"
zu werden. War der antike Kampf ein Kampf gegen die
Welt, so ist der mittelalterliche (christliche) ein Kampf gegen
sich, den Geist, jenes gegen die Außenwelt, dieses gegen die
innerliche Welt. Der Mittelalterliche ist der "in sich Gekehrte",
der Sinnende, Sinnige.

Alle Weisheit der Alten ist Weltweisheit, alle Weis¬
heit der Neuen ist Gottesgelahrtheit.

Mit der Welt wurden die Heiden (auch Juden hierunter)
fertig; aber nun kam es darauf an, auch mit sich, dem Geiste.
fertig, d. h. geistlos oder gottlos zu werden.

Fast zweitausend Jahre arbeiten Wir daran, den heiligen
Geist Uns zu unterwerfen, und manches Stück Heiligkeit ha¬
ben Wir allgemach losgerissen und unter die Füße getreten;
aber der riesige Gegner erhebt sich immer von Neuem unter
veränderter Gestalt und Namen. Der Geist ist noch nicht ent¬
göttert, entheiligt, entweiht. Zwar flattert er längst nicht mehr
als eine Taube über unsern Häuptern, zwar beglückt er nicht

iſt proſaiſch geworden, denn das Göttliche iſt aus ihr ver¬
ſchwunden: ſie iſt Mein Eigenthum, mit dem ich ſchalte und
walte, wie Mir's (nämlich dem Geiſte) beliebt.

Als Ich Mich dazu erhoben hatte, der Eigner der
Welt
zu ſein, da hatte der Egoismus ſeinen erſten vollſtän¬
digen Sieg errungen, hatte die Welt überwunden, war welt¬
los
geworden, und legte den Erwerb eines langen Weltalters
unter Schloß und Riegel.

Das erſte Eigenthum, die erſte „Herrlichkeit“ iſt erworben!

Doch der Herr der Welt iſt noch nicht Herr ſeiner Ge¬
danken, ſeiner Gefühle, ſeines Willens: er iſt nicht Herr und
Eigner des Geiſtes, denn der Geiſt iſt noch heilig, der „hei¬
lige Geiſt“, und der „weltloſe“ Chriſt vermag nicht „gottlos“
zu werden. War der antike Kampf ein Kampf gegen die
Welt, ſo iſt der mittelalterliche (chriſtliche) ein Kampf gegen
ſich, den Geiſt, jenes gegen die Außenwelt, dieſes gegen die
innerliche Welt. Der Mittelalterliche iſt der „in ſich Gekehrte“,
der Sinnende, Sinnige.

Alle Weisheit der Alten iſt Weltweisheit, alle Weis¬
heit der Neuen iſt Gottesgelahrtheit.

Mit der Welt wurden die Heiden (auch Juden hierunter)
fertig; aber nun kam es darauf an, auch mit ſich, dem Geiſte.
fertig, d. h. geiſtlos oder gottlos zu werden.

Faſt zweitauſend Jahre arbeiten Wir daran, den heiligen
Geiſt Uns zu unterwerfen, und manches Stück Heiligkeit ha¬
ben Wir allgemach losgeriſſen und unter die Füße getreten;
aber der rieſige Gegner erhebt ſich immer von Neuem unter
veränderter Geſtalt und Namen. Der Geiſt iſt noch nicht ent¬
göttert, entheiligt, entweiht. Zwar flattert er längſt nicht mehr
als eine Taube über unſern Häuptern, zwar beglückt er nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0132" n="124"/>
i&#x017F;t <hi rendition="#g">pro&#x017F;ai&#x017F;ch</hi> geworden, denn das Göttliche i&#x017F;t aus ihr ver¬<lb/>
&#x017F;chwunden: &#x017F;ie i&#x017F;t Mein Eigenthum, mit dem ich &#x017F;chalte und<lb/>
walte, wie Mir's (nämlich dem Gei&#x017F;te) beliebt.</p><lb/>
              <p>Als Ich Mich dazu erhoben hatte, der <hi rendition="#g">Eigner der<lb/>
Welt</hi> zu &#x017F;ein, da hatte der Egoismus &#x017F;einen er&#x017F;ten voll&#x017F;tän¬<lb/>
digen Sieg errungen, hatte die Welt überwunden, war <hi rendition="#g">welt¬<lb/>
los</hi> geworden, und legte den Erwerb eines langen Weltalters<lb/>
unter Schloß und Riegel.</p><lb/>
              <p>Das er&#x017F;te Eigenthum, die er&#x017F;te &#x201E;Herrlichkeit&#x201C; i&#x017F;t erworben!</p><lb/>
              <p>Doch der Herr der Welt i&#x017F;t noch nicht Herr &#x017F;einer Ge¬<lb/>
danken, &#x017F;einer Gefühle, &#x017F;eines Willens: er i&#x017F;t nicht Herr und<lb/>
Eigner des Gei&#x017F;tes, denn der Gei&#x017F;t i&#x017F;t noch heilig, der &#x201E;hei¬<lb/>
lige Gei&#x017F;t&#x201C;, und der &#x201E;weltlo&#x017F;e&#x201C; Chri&#x017F;t vermag nicht &#x201E;gottlos&#x201C;<lb/>
zu werden. War der antike Kampf ein Kampf gegen die<lb/><hi rendition="#g">Welt</hi>, &#x017F;o i&#x017F;t der mittelalterliche (chri&#x017F;tliche) ein Kampf gegen<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi>, den Gei&#x017F;t, jenes gegen die Außenwelt, die&#x017F;es gegen die<lb/>
innerliche Welt. Der Mittelalterliche i&#x017F;t der &#x201E;in &#x017F;ich Gekehrte&#x201C;,<lb/>
der Sinnende, Sinnige.</p><lb/>
              <p>Alle Weisheit der Alten i&#x017F;t <hi rendition="#g">Weltweisheit</hi>, alle Weis¬<lb/>
heit der Neuen i&#x017F;t <hi rendition="#g">Gottesgelahrtheit</hi>.</p><lb/>
              <p>Mit der <hi rendition="#g">Welt</hi> wurden die Heiden (auch Juden hierunter)<lb/>
fertig; aber nun kam es darauf an, auch mit &#x017F;ich, dem <hi rendition="#g">Gei&#x017F;te</hi>.<lb/>
fertig, d. h. gei&#x017F;tlos oder gottlos zu werden.</p><lb/>
              <p>Fa&#x017F;t zweitau&#x017F;end Jahre arbeiten Wir daran, den heiligen<lb/>
Gei&#x017F;t Uns zu unterwerfen, und manches Stück Heiligkeit ha¬<lb/>
ben Wir allgemach losgeri&#x017F;&#x017F;en und unter die Füße getreten;<lb/>
aber der rie&#x017F;ige Gegner erhebt &#x017F;ich immer von Neuem unter<lb/>
veränderter Ge&#x017F;talt und Namen. Der Gei&#x017F;t i&#x017F;t noch nicht ent¬<lb/>
göttert, entheiligt, entweiht. Zwar flattert er läng&#x017F;t nicht mehr<lb/>
als eine Taube über un&#x017F;ern Häuptern, zwar beglückt er nicht<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0132] iſt proſaiſch geworden, denn das Göttliche iſt aus ihr ver¬ ſchwunden: ſie iſt Mein Eigenthum, mit dem ich ſchalte und walte, wie Mir's (nämlich dem Geiſte) beliebt. Als Ich Mich dazu erhoben hatte, der Eigner der Welt zu ſein, da hatte der Egoismus ſeinen erſten vollſtän¬ digen Sieg errungen, hatte die Welt überwunden, war welt¬ los geworden, und legte den Erwerb eines langen Weltalters unter Schloß und Riegel. Das erſte Eigenthum, die erſte „Herrlichkeit“ iſt erworben! Doch der Herr der Welt iſt noch nicht Herr ſeiner Ge¬ danken, ſeiner Gefühle, ſeines Willens: er iſt nicht Herr und Eigner des Geiſtes, denn der Geiſt iſt noch heilig, der „hei¬ lige Geiſt“, und der „weltloſe“ Chriſt vermag nicht „gottlos“ zu werden. War der antike Kampf ein Kampf gegen die Welt, ſo iſt der mittelalterliche (chriſtliche) ein Kampf gegen ſich, den Geiſt, jenes gegen die Außenwelt, dieſes gegen die innerliche Welt. Der Mittelalterliche iſt der „in ſich Gekehrte“, der Sinnende, Sinnige. Alle Weisheit der Alten iſt Weltweisheit, alle Weis¬ heit der Neuen iſt Gottesgelahrtheit. Mit der Welt wurden die Heiden (auch Juden hierunter) fertig; aber nun kam es darauf an, auch mit ſich, dem Geiſte. fertig, d. h. geiſtlos oder gottlos zu werden. Faſt zweitauſend Jahre arbeiten Wir daran, den heiligen Geiſt Uns zu unterwerfen, und manches Stück Heiligkeit ha¬ ben Wir allgemach losgeriſſen und unter die Füße getreten; aber der rieſige Gegner erhebt ſich immer von Neuem unter veränderter Geſtalt und Namen. Der Geiſt iſt noch nicht ent¬ göttert, entheiligt, entweiht. Zwar flattert er längſt nicht mehr als eine Taube über unſern Häuptern, zwar beglückt er nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/132
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/132>, abgerufen am 28.03.2024.