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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Gerade aber von diesen Unzufriedenen geht etwa fol¬
gendes Raisonnement aus: Den "guten Bürgern" kann es
gleich gelten, wer sie und ihre Principien schützt, ob ein
absoluter oder constitutioneller König, eine Republik u. s. w.,
wenn sie nur geschützt werden. Und welches ist ihr Prin¬
cip, dessen Schutzherrn sie stets "lieben"? Das der Arbeit
nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der Mittel¬
mäßigkeit
, der schönen Mitte: ein bischen Geburt und
ein bischen Arbeit, d. h. ein sich verzinsender Besitz.
Besitz ist hier das Feste, das Gegebene, Ererbte (Geburt),
das Verzinsen ist daran die Mühwaltung (Arbeit), also ar¬
beitendes Capital
. Nur kein Uebermaaß, kein Ultra,
kein Radicalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur an¬
geborner Besitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine
eigene, sondern Arbeit des Capitals und der -- unterthä¬
nigen Arbeiter.

Liegt eine Zeit in einem Irrthum befangen, so ziehen
stets die Einen Vortheil aus ihm, indeß die Andern den
Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrthum all¬
gemein unter den Christen, daß die Kirche alle Gewalt oder
die Oberherrlichkeit auf Erden haben müsse; die Hierarchen
glaubten nicht weniger an diese "Wahrheit" als die Laien,
und beide waren in dem gleichen Irrthum festgebannt. Allein
die Hierarchen hatten durch ihn den Vortheil der Gewalt,
die Laien den Schaden der Unterthänigkeit. Wie es aber
heißt: "durch Schaden wird man klug", so wurden die Laien
endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche
"Wahrheit". -- Ein gleiches Verhältniß findet zwischen Bür¬
gerthum und Arbeiterthum statt. Bürger und Arbeiter glauben
an die "Wahrheit" des Geldes; sie, die es nicht besitzen,

Gerade aber von dieſen Unzufriedenen geht etwa fol¬
gendes Raiſonnement aus: Den „guten Bürgern“ kann es
gleich gelten, wer ſie und ihre Principien ſchützt, ob ein
abſoluter oder conſtitutioneller König, eine Republik u. ſ. w.,
wenn ſie nur geſchützt werden. Und welches iſt ihr Prin¬
cip, deſſen Schutzherrn ſie ſtets „lieben“? Das der Arbeit
nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der Mittel¬
mäßigkeit
, der ſchönen Mitte: ein bischen Geburt und
ein bischen Arbeit, d. h. ein ſich verzinſender Beſitz.
Beſitz iſt hier das Feſte, das Gegebene, Ererbte (Geburt),
das Verzinſen iſt daran die Mühwaltung (Arbeit), alſo ar¬
beitendes Capital
. Nur kein Uebermaaß, kein Ultra,
kein Radicalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur an¬
geborner Beſitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine
eigene, ſondern Arbeit des Capitals und der — unterthä¬
nigen Arbeiter.

Liegt eine Zeit in einem Irrthum befangen, ſo ziehen
ſtets die Einen Vortheil aus ihm, indeß die Andern den
Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrthum all¬
gemein unter den Chriſten, daß die Kirche alle Gewalt oder
die Oberherrlichkeit auf Erden haben müſſe; die Hierarchen
glaubten nicht weniger an dieſe „Wahrheit“ als die Laien,
und beide waren in dem gleichen Irrthum feſtgebannt. Allein
die Hierarchen hatten durch ihn den Vortheil der Gewalt,
die Laien den Schaden der Unterthänigkeit. Wie es aber
heißt: „durch Schaden wird man klug“, ſo wurden die Laien
endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche
„Wahrheit“. — Ein gleiches Verhältniß findet zwiſchen Bür¬
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[150/0158] Gerade aber von dieſen Unzufriedenen geht etwa fol¬ gendes Raiſonnement aus: Den „guten Bürgern“ kann es gleich gelten, wer ſie und ihre Principien ſchützt, ob ein abſoluter oder conſtitutioneller König, eine Republik u. ſ. w., wenn ſie nur geſchützt werden. Und welches iſt ihr Prin¬ cip, deſſen Schutzherrn ſie ſtets „lieben“? Das der Arbeit nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der Mittel¬ mäßigkeit, der ſchönen Mitte: ein bischen Geburt und ein bischen Arbeit, d. h. ein ſich verzinſender Beſitz. Beſitz iſt hier das Feſte, das Gegebene, Ererbte (Geburt), das Verzinſen iſt daran die Mühwaltung (Arbeit), alſo ar¬ beitendes Capital. Nur kein Uebermaaß, kein Ultra, kein Radicalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur an¬ geborner Beſitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine eigene, ſondern Arbeit des Capitals und der — unterthä¬ nigen Arbeiter. Liegt eine Zeit in einem Irrthum befangen, ſo ziehen ſtets die Einen Vortheil aus ihm, indeß die Andern den Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrthum all¬ gemein unter den Chriſten, daß die Kirche alle Gewalt oder die Oberherrlichkeit auf Erden haben müſſe; die Hierarchen glaubten nicht weniger an dieſe „Wahrheit“ als die Laien, und beide waren in dem gleichen Irrthum feſtgebannt. Allein die Hierarchen hatten durch ihn den Vortheil der Gewalt, die Laien den Schaden der Unterthänigkeit. Wie es aber heißt: „durch Schaden wird man klug“, ſo wurden die Laien endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche „Wahrheit“. — Ein gleiches Verhältniß findet zwiſchen Bür¬ gerthum und Arbeiterthum ſtatt. Bürger und Arbeiter glauben an die „Wahrheit“ des Geldes; ſie, die es nicht beſitzen,

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/158>, abgerufen am 20.04.2024.