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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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auf die der Aeltern, und Aeltern auf die der Kinder (z. B.
ihre Furcht), der Stock überwindet entweder den Menschen oder
der Mensch überwindet den Stock.

Im Kindheitsalter nimmt die Befreiung den Verlauf, daß
Wir auf den Grund der Dinge oder "hinter die Dinge" zu
kommen suchen: daher lauschen Wir Allen ihre Schwächen ab,
wofür bekanntlich Kinder einen sichern Instinct haben, daher
zerbrechen Wir gerne, durchstöbern gern verborgene Winkel,
spähen nach dem Verhüllten und Entzogenen, und versuchen
Uns an Allem. Sind Wir erst dahinter gekommen, so wissen
Wir Uns sicher; sind Wir z. B. dahinter gekommen, daß die
Ruthe zu schwach ist gegen Unsern Trotz, so fürchten Wir sie
nicht mehr, "sind ihr entwachsen".

Hinter der Ruthe steht, mächtiger als sie, unser -- Trotz,
unser trotziger Muth. Wir kommen gemach hinter alles, was
Uns unheimlich und nicht geheuer war, hinter die unheimlich
gefürchtete Macht der Ruthe, der strengen Miene des Vaters
u. s. w., und hinter allem finden Wir Unsere -- Ataraxie, d. h.
Unerschütterlichkeit, Unerschrockenheit, unsere Gegengewalt, Ueber¬
macht, Unbezwingbarkeit. Was Uns erst Furcht und Respect
einflößte, davor ziehen Wir Uns nicht mehr scheu zurück, son¬
dern fassen Muth. Hinter allem finden Wir Unsern Muth,
Unsere Ueberlegenheit; hinter dem barschen Befehl der Vorge¬
setzten und Aeltern steht doch Unser muthiges Belieben oder Un¬
sere überlistende Klugheit. Und je mehr Wir Uns fühlen, desto
kleiner erscheint, was zuvor unüberwindlich dünkte. Und was
ist Unsere List, Klugheit, Muth, Trotz? Was sonst als -- Geist!

Eine geraume Zeit hindurch bleiben Wir mit einem Kampfe,
der später Uns so sehr in Athem setzt, verschont, mit dem Kampfe
gegen die Vernunft. Die schönste Kindheit geht vorüber,

auf die der Aeltern, und Aeltern auf die der Kinder (z. B.
ihre Furcht), der Stock überwindet entweder den Menſchen oder
der Menſch überwindet den Stock.

Im Kindheitsalter nimmt die Befreiung den Verlauf, daß
Wir auf den Grund der Dinge oder „hinter die Dinge“ zu
kommen ſuchen: daher lauſchen Wir Allen ihre Schwächen ab,
wofür bekanntlich Kinder einen ſichern Inſtinct haben, daher
zerbrechen Wir gerne, durchſtöbern gern verborgene Winkel,
ſpähen nach dem Verhüllten und Entzogenen, und verſuchen
Uns an Allem. Sind Wir erſt dahinter gekommen, ſo wiſſen
Wir Uns ſicher; ſind Wir z. B. dahinter gekommen, daß die
Ruthe zu ſchwach iſt gegen Unſern Trotz, ſo fürchten Wir ſie
nicht mehr, „ſind ihr entwachſen“.

Hinter der Ruthe ſteht, mächtiger als ſie, unſer — Trotz,
unſer trotziger Muth. Wir kommen gemach hinter alles, was
Uns unheimlich und nicht geheuer war, hinter die unheimlich
gefürchtete Macht der Ruthe, der ſtrengen Miene des Vaters
u. ſ. w., und hinter allem finden Wir Unſere — Ataraxie, d. h.
Unerſchütterlichkeit, Unerſchrockenheit, unſere Gegengewalt, Ueber¬
macht, Unbezwingbarkeit. Was Uns erſt Furcht und Reſpect
einflößte, davor ziehen Wir Uns nicht mehr ſcheu zurück, ſon¬
dern faſſen Muth. Hinter allem finden Wir Unſern Muth,
Unſere Ueberlegenheit; hinter dem barſchen Befehl der Vorge¬
ſetzten und Aeltern ſteht doch Unſer muthiges Belieben oder Un¬
ſere überliſtende Klugheit. Und je mehr Wir Uns fühlen, deſto
kleiner erſcheint, was zuvor unüberwindlich dünkte. Und was
iſt Unſere Liſt, Klugheit, Muth, Trotz? Was ſonſt als — Geiſt!

Eine geraume Zeit hindurch bleiben Wir mit einem Kampfe,
der ſpäter Uns ſo ſehr in Athem ſetzt, verſchont, mit dem Kampfe
gegen die Vernunft. Die ſchönſte Kindheit geht vorüber,

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[14/0022] auf die der Aeltern, und Aeltern auf die der Kinder (z. B. ihre Furcht), der Stock überwindet entweder den Menſchen oder der Menſch überwindet den Stock. Im Kindheitsalter nimmt die Befreiung den Verlauf, daß Wir auf den Grund der Dinge oder „hinter die Dinge“ zu kommen ſuchen: daher lauſchen Wir Allen ihre Schwächen ab, wofür bekanntlich Kinder einen ſichern Inſtinct haben, daher zerbrechen Wir gerne, durchſtöbern gern verborgene Winkel, ſpähen nach dem Verhüllten und Entzogenen, und verſuchen Uns an Allem. Sind Wir erſt dahinter gekommen, ſo wiſſen Wir Uns ſicher; ſind Wir z. B. dahinter gekommen, daß die Ruthe zu ſchwach iſt gegen Unſern Trotz, ſo fürchten Wir ſie nicht mehr, „ſind ihr entwachſen“. Hinter der Ruthe ſteht, mächtiger als ſie, unſer — Trotz, unſer trotziger Muth. Wir kommen gemach hinter alles, was Uns unheimlich und nicht geheuer war, hinter die unheimlich gefürchtete Macht der Ruthe, der ſtrengen Miene des Vaters u. ſ. w., und hinter allem finden Wir Unſere — Ataraxie, d. h. Unerſchütterlichkeit, Unerſchrockenheit, unſere Gegengewalt, Ueber¬ macht, Unbezwingbarkeit. Was Uns erſt Furcht und Reſpect einflößte, davor ziehen Wir Uns nicht mehr ſcheu zurück, ſon¬ dern faſſen Muth. Hinter allem finden Wir Unſern Muth, Unſere Ueberlegenheit; hinter dem barſchen Befehl der Vorge¬ ſetzten und Aeltern ſteht doch Unſer muthiges Belieben oder Un¬ ſere überliſtende Klugheit. Und je mehr Wir Uns fühlen, deſto kleiner erſcheint, was zuvor unüberwindlich dünkte. Und was iſt Unſere Liſt, Klugheit, Muth, Trotz? Was ſonſt als — Geiſt! Eine geraume Zeit hindurch bleiben Wir mit einem Kampfe, der ſpäter Uns ſo ſehr in Athem ſetzt, verſchont, mit dem Kampfe gegen die Vernunft. Die ſchönſte Kindheit geht vorüber,

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/22>, abgerufen am 28.03.2024.