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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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ohne daß Wir nöthig hätten, Uns mit der Vernunft herum¬
zuschlagen. Wir kümmern Uns gar nicht um sie, lassen Uns
mit ihr nicht ein, nehmen keine Vernunft an. Durch Ueber¬
zeugung bringt man Uns zu nichts, und gegen die guten
Gründe, Grundsätze u. s. w. sind Wir taub; Liebkosungen,
Züchtigungen und Aehnlichem widerstehen Wir dagegen schwer.

Dieser saure Lebenskampf mit der Vernunft tritt erst
später auf, und beginnt eine neue Phase: in der Kindheit
tummeln Wir Uns, ohne viel zu grübeln.

Geist heißt die erste Selbstfindung, die erste Entgöt¬
terung des Göttlichen, d. h. des Unheimlichen, des Spuks,
der "oberen Mächte". Unserem frischen Jugendgefühl, diesem
Selbstgefühl, imponirt nun nichts mehr: die Welt ist in Ver¬
ruf erklärt, denn Wir sind über ihr, sind Geist.

Jetzt erst sehen Wir, daß Wir die Welt bisher gar nicht
mit Geist angeschaut haben, sondern nur angestiert.

An Naturgewalten üben Wir Unsere ersten Kräfte.
Aeltern imponiren Uns als Naturgewalt; später heißt es: Va¬
ter und Mutter sei zu verlassen, alle Naturgewalt für gesprengt
zu erachten. Sie sind überwunden. Für den Vernünftigen,
d. h. "Geistigen Mensch", giebt es keine Familie als Natur¬
gewalt: es zeigt sich eine Absagung von Aeltern, Geschwi¬
stern u. s. w. Werden diese als geistige, vernünftige
Gewalten
"wiedergeboren", so sind sie durchaus nicht mehr
das, was sie vorher waren.

Und nicht bloß die Aeltern, sondern die Menschen
überhaupt
werden von dem jungen Menschen besiegt: sie
sind ihm kein Hindemiß, und werden nicht mehr berücksichtigt:
denn, heißt es nun: Man muß Gott mehr gehorchen, als
den Menschen.

ohne daß Wir nöthig hätten, Uns mit der Vernunft herum¬
zuſchlagen. Wir kümmern Uns gar nicht um ſie, laſſen Uns
mit ihr nicht ein, nehmen keine Vernunft an. Durch Ueber¬
zeugung bringt man Uns zu nichts, und gegen die guten
Gründe, Grundſätze u. ſ. w. ſind Wir taub; Liebkoſungen,
Züchtigungen und Aehnlichem widerſtehen Wir dagegen ſchwer.

Dieſer ſaure Lebenskampf mit der Vernunft tritt erſt
ſpäter auf, und beginnt eine neue Phaſe: in der Kindheit
tummeln Wir Uns, ohne viel zu grübeln.

Geiſt heißt die erſte Selbſtfindung, die erſte Entgöt¬
terung des Göttlichen, d. h. des Unheimlichen, des Spuks,
der „oberen Mächte“. Unſerem friſchen Jugendgefühl, dieſem
Selbſtgefühl, imponirt nun nichts mehr: die Welt iſt in Ver¬
ruf erklärt, denn Wir ſind über ihr, ſind Geiſt.

Jetzt erſt ſehen Wir, daß Wir die Welt bisher gar nicht
mit Geiſt angeſchaut haben, ſondern nur angeſtiert.

An Naturgewalten üben Wir Unſere erſten Kräfte.
Aeltern imponiren Uns als Naturgewalt; ſpäter heißt es: Va¬
ter und Mutter ſei zu verlaſſen, alle Naturgewalt für geſprengt
zu erachten. Sie ſind überwunden. Für den Vernünftigen,
d. h. „Geiſtigen Menſch“, giebt es keine Familie als Natur¬
gewalt: es zeigt ſich eine Abſagung von Aeltern, Geſchwi¬
ſtern u. ſ. w. Werden dieſe als geiſtige, vernünftige
Gewalten
„wiedergeboren“, ſo ſind ſie durchaus nicht mehr
das, was ſie vorher waren.

Und nicht bloß die Aeltern, ſondern die Menſchen
überhaupt
werden von dem jungen Menſchen beſiegt: ſie
ſind ihm kein Hindemiß, und werden nicht mehr berückſichtigt:
denn, heißt es nun: Man muß Gott mehr gehorchen, als
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[15/0023] ohne daß Wir nöthig hätten, Uns mit der Vernunft herum¬ zuſchlagen. Wir kümmern Uns gar nicht um ſie, laſſen Uns mit ihr nicht ein, nehmen keine Vernunft an. Durch Ueber¬ zeugung bringt man Uns zu nichts, und gegen die guten Gründe, Grundſätze u. ſ. w. ſind Wir taub; Liebkoſungen, Züchtigungen und Aehnlichem widerſtehen Wir dagegen ſchwer. Dieſer ſaure Lebenskampf mit der Vernunft tritt erſt ſpäter auf, und beginnt eine neue Phaſe: in der Kindheit tummeln Wir Uns, ohne viel zu grübeln. Geiſt heißt die erſte Selbſtfindung, die erſte Entgöt¬ terung des Göttlichen, d. h. des Unheimlichen, des Spuks, der „oberen Mächte“. Unſerem friſchen Jugendgefühl, dieſem Selbſtgefühl, imponirt nun nichts mehr: die Welt iſt in Ver¬ ruf erklärt, denn Wir ſind über ihr, ſind Geiſt. Jetzt erſt ſehen Wir, daß Wir die Welt bisher gar nicht mit Geiſt angeſchaut haben, ſondern nur angeſtiert. An Naturgewalten üben Wir Unſere erſten Kräfte. Aeltern imponiren Uns als Naturgewalt; ſpäter heißt es: Va¬ ter und Mutter ſei zu verlaſſen, alle Naturgewalt für geſprengt zu erachten. Sie ſind überwunden. Für den Vernünftigen, d. h. „Geiſtigen Menſch“, giebt es keine Familie als Natur¬ gewalt: es zeigt ſich eine Abſagung von Aeltern, Geſchwi¬ ſtern u. ſ. w. Werden dieſe als geiſtige, vernünftige Gewalten „wiedergeboren“, ſo ſind ſie durchaus nicht mehr das, was ſie vorher waren. Und nicht bloß die Aeltern, ſondern die Menſchen überhaupt werden von dem jungen Menſchen beſiegt: ſie ſind ihm kein Hindemiß, und werden nicht mehr berückſichtigt: denn, heißt es nun: Man muß Gott mehr gehorchen, als den Menſchen.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/23>, abgerufen am 28.03.2024.