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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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sondern alle Verhältnisse, in welche der Mensch durch die Na¬
tur sich gestellt sieht, z. B. die Familie, das Gemeinwesen,
kurz die sogenannten "natürlichen Bande". Mit der Welt
des Geistes
beginnt dann das Christenthum. Der Mensch,
welcher der Welt noch gewappnet gegenüber steht, ist der
Alte, der -- Heide (wozu auch der Jude als Nichtchrist ge¬
hört); der Mensch, welchen nichts mehr leitet als seine "Her¬
zenslust", seine Theilnahme, Mitgefühl, sein -- Geist, ist der
Neue, der -- Christ.

Da die Alten auf die Weltüberwindung hinarbeiteten
und den Menschen von den schweren umstrickenden Banden des
Zusammenhanges mit Anderem zu erlösen strebten, so kamen
sie auch zuletzt zur Auflösung des Staates und Bevorzugung
alles Privaten. Gemeinwesen, Familie u. s. w. sind ja als
natürliche Verhältnisse lästige Hemmungen, die meine gei¬
stige Freiheit
schmälern.


2. Die Neuen.

"Ist jemand in Christo, so ist er eine neue Creatur;
das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden." *)

Wurde oben gesagt: "den Alten war die Welt eine Wahr¬
heit," so müssen Wir hier sagen: "den Neuen war der Geist
eine Wahrheit," dürfen aber, wie dort, so hier den Zusatz nicht
auslassen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit sie zu kom¬
men suchten und endlich wirklich kommen.

Ein ähnlicher Gang, wie das Alterthum ihn genommen,

*) 2 Cor. 5, 17.
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ſondern alle Verhältniſſe, in welche der Menſch durch die Na¬
tur ſich geſtellt ſieht, z. B. die Familie, das Gemeinweſen,
kurz die ſogenannten „natürlichen Bande“. Mit der Welt
des Geiſtes
beginnt dann das Chriſtenthum. Der Menſch,
welcher der Welt noch gewappnet gegenüber ſteht, iſt der
Alte, der — Heide (wozu auch der Jude als Nichtchriſt ge¬
hört); der Menſch, welchen nichts mehr leitet als ſeine „Her¬
zensluſt“, ſeine Theilnahme, Mitgefühl, ſein — Geiſt, iſt der
Neue, der — Chriſt.

Da die Alten auf die Weltüberwindung hinarbeiteten
und den Menſchen von den ſchweren umſtrickenden Banden des
Zuſammenhanges mit Anderem zu erlöſen ſtrebten, ſo kamen
ſie auch zuletzt zur Auflöſung des Staates und Bevorzugung
alles Privaten. Gemeinweſen, Familie u. ſ. w. ſind ja als
natürliche Verhältniſſe läſtige Hemmungen, die meine gei¬
ſtige Freiheit
ſchmälern.


2. Die Neuen.

„Iſt jemand in Chriſto, ſo iſt er eine neue Creatur;
das Alte iſt vergangen, ſiehe, es iſt alles neu geworden.“ *)

Wurde oben geſagt: „den Alten war die Welt eine Wahr¬
heit,“ ſo müſſen Wir hier ſagen: „den Neuen war der Geiſt
eine Wahrheit,“ dürfen aber, wie dort, ſo hier den Zuſatz nicht
auslaſſen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit ſie zu kom¬
men ſuchten und endlich wirklich kommen.

Ein ähnlicher Gang, wie das Alterthum ihn genommen,

*) 2 Cor. 5, 17.
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[33/0041] ſondern alle Verhältniſſe, in welche der Menſch durch die Na¬ tur ſich geſtellt ſieht, z. B. die Familie, das Gemeinweſen, kurz die ſogenannten „natürlichen Bande“. Mit der Welt des Geiſtes beginnt dann das Chriſtenthum. Der Menſch, welcher der Welt noch gewappnet gegenüber ſteht, iſt der Alte, der — Heide (wozu auch der Jude als Nichtchriſt ge¬ hört); der Menſch, welchen nichts mehr leitet als ſeine „Her¬ zensluſt“, ſeine Theilnahme, Mitgefühl, ſein — Geiſt, iſt der Neue, der — Chriſt. Da die Alten auf die Weltüberwindung hinarbeiteten und den Menſchen von den ſchweren umſtrickenden Banden des Zuſammenhanges mit Anderem zu erlöſen ſtrebten, ſo kamen ſie auch zuletzt zur Auflöſung des Staates und Bevorzugung alles Privaten. Gemeinweſen, Familie u. ſ. w. ſind ja als natürliche Verhältniſſe läſtige Hemmungen, die meine gei¬ ſtige Freiheit ſchmälern. 2. Die Neuen. „Iſt jemand in Chriſto, ſo iſt er eine neue Creatur; das Alte iſt vergangen, ſiehe, es iſt alles neu geworden.“ *) Wurde oben geſagt: „den Alten war die Welt eine Wahr¬ heit,“ ſo müſſen Wir hier ſagen: „den Neuen war der Geiſt eine Wahrheit,“ dürfen aber, wie dort, ſo hier den Zuſatz nicht auslaſſen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit ſie zu kom¬ men ſuchten und endlich wirklich kommen. Ein ähnlicher Gang, wie das Alterthum ihn genommen, *) 2 Cor. 5, 17. 3

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/41>, abgerufen am 18.04.2024.