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Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Es mochte vier Jahre später sein, als ich auf einer größern Reise eines Vormittags auch in jene Stadt gelangte. Von dem Wirthe des Gasthofs, in dem ich abgetreten war, erfuhr ich, daß mein Freund in einem kleinen Landhause vor der Stadt wohne. Als ich mich dann nach dem Wege dahin erkundigte, meinte er, der Pflegesohn des Herrn Professors sei vor einer halben Stunde hier vorbeigegangen und werde bald zurückkommen. Wenn's gefällig, setzte er hinzu, könnten Sie ja mit dem jungen Herrn hinausgehen.

Ich machte große Augen. Pflegesohn, Herr Wirth? -- Ich spreche von dem Maler Brunken!

Ohne Zweifel, mein Herr, erwiderte dieser, der Herr Professor sind mir wohl bekannt; sie haben zu Anfang ihres hiesigen Aufenthalts ein Vierteljahr in meinem Hotel zu Mittag gespeis't.

Ich gab mich zufrieden und ging auf mein Zimmer, um mich umzukleiden. Es dauerte auch nicht lange, so wurde angeklopft, und auf mein "Herein" trat ein kräftiger, fast untersetzter junger Mann von etwa neunzehn Jahren in das Zimmer. Herr Doctor Arnold? sagte er, indem er mich begrüßte.

Ich betrachtete ihn naher. Auf seinen breiten Schultern erhob sich ein kleiner blasser Kopf, in dessen tiefliegenden Augen ein eigener, fast melancholischer Reiz

Es mochte vier Jahre später sein, als ich auf einer größern Reise eines Vormittags auch in jene Stadt gelangte. Von dem Wirthe des Gasthofs, in dem ich abgetreten war, erfuhr ich, daß mein Freund in einem kleinen Landhause vor der Stadt wohne. Als ich mich dann nach dem Wege dahin erkundigte, meinte er, der Pflegesohn des Herrn Professors sei vor einer halben Stunde hier vorbeigegangen und werde bald zurückkommen. Wenn's gefällig, setzte er hinzu, könnten Sie ja mit dem jungen Herrn hinausgehen.

Ich machte große Augen. Pflegesohn, Herr Wirth? — Ich spreche von dem Maler Brunken!

Ohne Zweifel, mein Herr, erwiderte dieser, der Herr Professor sind mir wohl bekannt; sie haben zu Anfang ihres hiesigen Aufenthalts ein Vierteljahr in meinem Hotel zu Mittag gespeis't.

Ich gab mich zufrieden und ging auf mein Zimmer, um mich umzukleiden. Es dauerte auch nicht lange, so wurde angeklopft, und auf mein „Herein“ trat ein kräftiger, fast untersetzter junger Mann von etwa neunzehn Jahren in das Zimmer. Herr Doctor Arnold? sagte er, indem er mich begrüßte.

Ich betrachtete ihn naher. Auf seinen breiten Schultern erhob sich ein kleiner blasser Kopf, in dessen tiefliegenden Augen ein eigener, fast melancholischer Reiz

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[0029] Es mochte vier Jahre später sein, als ich auf einer größern Reise eines Vormittags auch in jene Stadt gelangte. Von dem Wirthe des Gasthofs, in dem ich abgetreten war, erfuhr ich, daß mein Freund in einem kleinen Landhause vor der Stadt wohne. Als ich mich dann nach dem Wege dahin erkundigte, meinte er, der Pflegesohn des Herrn Professors sei vor einer halben Stunde hier vorbeigegangen und werde bald zurückkommen. Wenn's gefällig, setzte er hinzu, könnten Sie ja mit dem jungen Herrn hinausgehen. Ich machte große Augen. Pflegesohn, Herr Wirth? — Ich spreche von dem Maler Brunken! Ohne Zweifel, mein Herr, erwiderte dieser, der Herr Professor sind mir wohl bekannt; sie haben zu Anfang ihres hiesigen Aufenthalts ein Vierteljahr in meinem Hotel zu Mittag gespeis't. Ich gab mich zufrieden und ging auf mein Zimmer, um mich umzukleiden. Es dauerte auch nicht lange, so wurde angeklopft, und auf mein „Herein“ trat ein kräftiger, fast untersetzter junger Mann von etwa neunzehn Jahren in das Zimmer. Herr Doctor Arnold? sagte er, indem er mich begrüßte. Ich betrachtete ihn naher. Auf seinen breiten Schultern erhob sich ein kleiner blasser Kopf, in dessen tiefliegenden Augen ein eigener, fast melancholischer Reiz

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:17:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:17:45Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/29>, abgerufen am 16.04.2024.