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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Aes
mich ihnen unterwerfen werde? Davon bin
ich gänzlich entfernt. Du -- kehre eilig dahin
zurücke, woher du gekommen bist? Denn von
allem, worüber du mich ausfragen willst, wirst
du nichts erfahren.

Merk. Durch solch hartnäkiges Großthun
hast du dich eben in dies Elend gestürzt.

Prom. Merke dir dieses. Gegen deine Dienst-
barkeit wollte ich mein Elend niemals ver-
tauschen. Jch halte es für beßer diesem Fel-
sen zu dienen, als ein Dienstbote deines Va-
ters Zevs zu seyn. -- -- So muß man ge-
gen Stolze stolz seyn!

Merk. Du scheinest dich an deinem Elend zu
ergetzen.

Prom. Das thue ich -- Möchten sich mei-
ne Feinde eben so ergetzen -- Dich zähle ich
mit darunter.

Merk. Also beschuldigest du auch mich we-
gen deines Falles?

Prom. Kurz und gut: Jch hasse alle Göt-
(*) Jhm
hatten die
Götter
hauptsäch-
lich den
Sieg über
die Titanen
zu danken.
ter; sie haben alle gutes von mir genoßen (*)
und vergeltens mir mit Bösem.

Kurz, hierauf preßt der heftige Schmerz dem
Prometheus ein klägliches O wehe mir aus;
darauf sagt

Merk. Ein solches Wort hört man vom
Jupiter niemal.

Prom. Die kommende Zeit wird alles lehren.

Merk. Ach! du hast noch nicht gelernt klü-
ger zu seyn?

Prom. Sonst würde ich ja mit dir Sclave
(*) Pro-
meth.
vs.
958-980.
nicht reden. (*)

Eben so groß und kühn ist im zweyten Trauer-
spiel, die sieben Helden von Theben betitelt,
der Charakter des Eteokles, wovon folgendes zur
Probe dienen kann. Als man in Theben bereits
das Geraßel der feindlichen Waffen vor den Mauren
der Stadt hörte, eilet ein Trup Frauen zu den Al-
tären und Bildern der Götter, um sie um Rettung
der Stadt anzuflehen. Eteokles, der keine Furcht
kennt, kann auch nicht einmal an dem schwächern
Geschlecht ein ängstliches Betragen ausstehen. Er
treibt sie zornig von den Altären weg, und befiehlt
ihnen zu Hause ihre Geschäfte zu bestellen. "Die-
"net das zur Rettung der Stadt, daß ihr vor
"den Bildern der Götter niederfällt, ein Ge-
"heul und Jammern macht, welches beherz-

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Aes
"ten Männern unleidlich ist? Müßt ihr durch
"euer ängstliches Hin- und Herlaufen die
"Krieger muthlos machen? -- Wird der
"Steuerman sein von Wellen geängstigtes
"Schiff retten, wenn er das Steuer verläßt,
"und ans Vordertheil
(zu den Bildern der Götter)
"läuft? Könnet ihr durch Beten machen, daß
"unsre Türmer die feindlichen Waffen von
"selbst zurück treiben? -- -- Wenn ihr wer-
"det Verwundete und Todte sehen, so hütet
"euch ihnen entgegen zu heulen. Jm Kriege
"gehts nicht anders.

Ein Kundschafter berichtet ihm, daß Tydäus
im Begrif ist, auf eines der Tohre zu stürmen. Er be-
schreibt zaghaft sein fürchterliches Ansehen und seine
schrekliche Waffen. Eteokles antwortet ganz kalt-
sinnig: "Für der Rüstung fürchte ich mich
"nicht, die Wapen der Schilder werden uns
"nicht verwunden, und die Federbüsche stechen
"uns nicht.
" Als man ihm sagt, sein Bruder
Polynices stehe zum Angriff des siebenden Tohrs
fertig, und der Chor ihm abrahten will, sich gegen
ihn zu stellen, aus Furcht, der Fluch ihres Vaters
(nach welchem beyde Brüder einander umbringen
sollten) würde da in Erfüllung kommen, antwortet er
voll Wuth: "Weil denn eine Gottheit diese
"Sache ernstlich treibet, so möge das dem Phö-
"bus so verhaßte Geschlecht des Lajus mit
"schnellem Winde auf den Wellen des Cocytus
"zur Hölle fahren,
und eilt den Fluch erfüllt
zu sehen.

Dieses sind meines Erachtens Meisterzüge zu
Schilderung großer Charaktere. Aristophanes
sucht ihn zwar wegen einer übertriebenen Stren-
gigkeit in den Charaktern lächerlich zu machen; aber
was war groß genug, um diesem Spötter vereh-
rungswürdig zu seyn? Die Scholiasten merken an,
daß die Rede der Cassandra in dem Agamemnon
von den Alten für das vorzüglichste Stük in seinen
Trauerspielen gehalten worden.

Wir wollen indessen nicht in Abrede seyn, daß
unser Dichter nicht bisweilen die Sachen übertrieben
habe. Jn seiner Niobe, einem verlohrnen Stüke,
ließ er diese unglükliche Mutter bis an den dritten
Tag mit verhülltem Gesichte und ohne ein Wort
zu reden, auf dem Grabmal ihrer Kinder sitzen.
Jn den Eumeniden drükt er die Wuth der Fu-
rien durch die ekelhaftesten und fürchterlichsten Töne

aus.
C 2

[Spaltenumbruch]

Aeſ
mich ihnen unterwerfen werde? Davon bin
ich gaͤnzlich entfernt. Du — kehre eilig dahin
zuruͤcke, woher du gekommen biſt? Denn von
allem, woruͤber du mich ausfragen willſt, wirſt
du nichts erfahren.

Merk. Durch ſolch hartnaͤkiges Großthun
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Prom. Merke dir dieſes. Gegen deine Dienſt-
barkeit wollte ich mein Elend niemals ver-
tauſchen. Jch halte es fuͤr beßer dieſem Fel-
ſen zu dienen, als ein Dienſtbote deines Va-
ters Zevs zu ſeyn. — — So muß man ge-
gen Stolze ſtolz ſeyn!

Merk. Du ſcheineſt dich an deinem Elend zu
ergetzen.

Prom. Das thue ich — Moͤchten ſich mei-
ne Feinde eben ſo ergetzen — Dich zaͤhle ich
mit darunter.

Merk. Alſo beſchuldigeſt du auch mich we-
gen deines Falles?

Prom. Kurz und gut: Jch haſſe alle Goͤt-
(*) Jhm
hatten die
Goͤtter
hauptſaͤch-
lich den
Sieg uͤber
die Titanen
zu danken.
ter; ſie haben alle gutes von mir genoßen (*)
und vergeltens mir mit Boͤſem.

Kurz, hierauf preßt der heftige Schmerz dem
Prometheus ein klaͤgliches O wehe mir aus;
darauf ſagt

Merk. Ein ſolches Wort hoͤrt man vom
Jupiter niemal.

Prom. Die kommende Zeit wird alles lehren.

Merk. Ach! du haſt noch nicht gelernt kluͤ-
ger zu ſeyn?

Prom. Sonſt wuͤrde ich ja mit dir Sclave
(*) Pro-
meth.
vſ.
958-980.
nicht reden. (*)

Eben ſo groß und kuͤhn iſt im zweyten Trauer-
ſpiel, die ſieben Helden von Theben betitelt,
der Charakter des Eteokles, wovon folgendes zur
Probe dienen kann. Als man in Theben bereits
das Geraßel der feindlichen Waffen vor den Mauren
der Stadt hoͤrte, eilet ein Trup Frauen zu den Al-
taͤren und Bildern der Goͤtter, um ſie um Rettung
der Stadt anzuflehen. Eteokles, der keine Furcht
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Geſchlecht ein aͤngſtliches Betragen ausſtehen. Er
treibt ſie zornig von den Altaͤren weg, und befiehlt
ihnen zu Hauſe ihre Geſchaͤfte zu beſtellen. „Die-
„net das zur Rettung der Stadt, daß ihr vor
„den Bildern der Goͤtter niederfaͤllt, ein Ge-
„heul und Jammern macht, welches beherz-

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Aeſ
ten Maͤnnern unleidlich iſt? Muͤßt ihr durch
„euer aͤngſtliches Hin- und Herlaufen die
„Krieger muthlos machen? — Wird der
„Steuerman ſein von Wellen geaͤngſtigtes
„Schiff retten, wenn er das Steuer verlaͤßt,
„und ans Vordertheil
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laͤuft? Koͤnnet ihr durch Beten machen, daß
„unſre Tuͤrmer die feindlichen Waffen von
„ſelbſt zuruͤck treiben? — — Wenn ihr wer-
„det Verwundete und Todte ſehen, ſo huͤtet
„euch ihnen entgegen zu heulen. Jm Kriege
„gehts nicht anders.

Ein Kundſchafter berichtet ihm, daß Tydaͤus
im Begrif iſt, auf eines der Tohre zu ſtuͤrmen. Er be-
ſchreibt zaghaft ſein fuͤrchterliches Anſehen und ſeine
ſchrekliche Waffen. Eteokles antwortet ganz kalt-
ſinnig: „Fuͤr der Ruͤſtung fuͤrchte ich mich
„nicht, die Wapen der Schilder werden uns
„nicht verwunden, und die Federbuͤſche ſtechen
„uns nicht.
‟ Als man ihm ſagt, ſein Bruder
Polynices ſtehe zum Angriff des ſiebenden Tohrs
fertig, und der Chor ihm abrahten will, ſich gegen
ihn zu ſtellen, aus Furcht, der Fluch ihres Vaters
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voll Wuth: „Weil denn eine Gottheit dieſe
„Sache ernſtlich treibet, ſo moͤge das dem Phoͤ-
„bus ſo verhaßte Geſchlecht des Lajus mit
„ſchnellem Winde auf den Wellen des Cocytus
„zur Hoͤlle fahren,
und eilt den Fluch erfuͤllt
zu ſehen.

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Schilderung großer Charaktere. Ariſtophanes
ſucht ihn zwar wegen einer uͤbertriebenen Stren-
gigkeit in den Charaktern laͤcherlich zu machen; aber
was war groß genug, um dieſem Spoͤtter vereh-
rungswuͤrdig zu ſeyn? Die Scholiaſten merken an,
daß die Rede der Caſſandra in dem Agamemnon
von den Alten fuͤr das vorzuͤglichſte Stuͤk in ſeinen
Trauerſpielen gehalten worden.

Wir wollen indeſſen nicht in Abrede ſeyn, daß
unſer Dichter nicht bisweilen die Sachen uͤbertrieben
habe. Jn ſeiner Niobe, einem verlohrnen Stuͤke,
ließ er dieſe ungluͤkliche Mutter bis an den dritten
Tag mit verhuͤlltem Geſichte und ohne ein Wort
zu reden, auf dem Grabmal ihrer Kinder ſitzen.
Jn den Eumeniden druͤkt er die Wuth der Fu-
rien durch die ekelhafteſten und fuͤrchterlichſten Toͤne

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[19/0031] Aeſ Aeſ mich ihnen unterwerfen werde? Davon bin ich gaͤnzlich entfernt. Du — kehre eilig dahin zuruͤcke, woher du gekommen biſt? Denn von allem, woruͤber du mich ausfragen willſt, wirſt du nichts erfahren. Merk. Durch ſolch hartnaͤkiges Großthun haſt du dich eben in dies Elend geſtuͤrzt. Prom. Merke dir dieſes. Gegen deine Dienſt- barkeit wollte ich mein Elend niemals ver- tauſchen. Jch halte es fuͤr beßer dieſem Fel- ſen zu dienen, als ein Dienſtbote deines Va- ters Zevs zu ſeyn. — — So muß man ge- gen Stolze ſtolz ſeyn! Merk. Du ſcheineſt dich an deinem Elend zu ergetzen. Prom. Das thue ich — Moͤchten ſich mei- ne Feinde eben ſo ergetzen — Dich zaͤhle ich mit darunter. Merk. Alſo beſchuldigeſt du auch mich we- gen deines Falles? Prom. Kurz und gut: Jch haſſe alle Goͤt- ter; ſie haben alle gutes von mir genoßen (*) und vergeltens mir mit Boͤſem. (*) Jhm hatten die Goͤtter hauptſaͤch- lich den Sieg uͤber die Titanen zu danken. Kurz, hierauf preßt der heftige Schmerz dem Prometheus ein klaͤgliches O wehe mir aus; darauf ſagt Merk. Ein ſolches Wort hoͤrt man vom Jupiter niemal. Prom. Die kommende Zeit wird alles lehren. Merk. Ach! du haſt noch nicht gelernt kluͤ- ger zu ſeyn? Prom. Sonſt wuͤrde ich ja mit dir Sclave nicht reden. (*) (*) Pro- meth. vſ. 958-980. Eben ſo groß und kuͤhn iſt im zweyten Trauer- ſpiel, die ſieben Helden von Theben betitelt, der Charakter des Eteokles, wovon folgendes zur Probe dienen kann. Als man in Theben bereits das Geraßel der feindlichen Waffen vor den Mauren der Stadt hoͤrte, eilet ein Trup Frauen zu den Al- taͤren und Bildern der Goͤtter, um ſie um Rettung der Stadt anzuflehen. Eteokles, der keine Furcht kennt, kann auch nicht einmal an dem ſchwaͤchern Geſchlecht ein aͤngſtliches Betragen ausſtehen. Er treibt ſie zornig von den Altaͤren weg, und befiehlt ihnen zu Hauſe ihre Geſchaͤfte zu beſtellen. „Die- „net das zur Rettung der Stadt, daß ihr vor „den Bildern der Goͤtter niederfaͤllt, ein Ge- „heul und Jammern macht, welches beherz- „ten Maͤnnern unleidlich iſt? Muͤßt ihr durch „euer aͤngſtliches Hin- und Herlaufen die „Krieger muthlos machen? — Wird der „Steuerman ſein von Wellen geaͤngſtigtes „Schiff retten, wenn er das Steuer verlaͤßt, „und ans Vordertheil (zu den Bildern der Goͤtter) „laͤuft? Koͤnnet ihr durch Beten machen, daß „unſre Tuͤrmer die feindlichen Waffen von „ſelbſt zuruͤck treiben? — — Wenn ihr wer- „det Verwundete und Todte ſehen, ſo huͤtet „euch ihnen entgegen zu heulen. Jm Kriege „gehts nicht anders. Ein Kundſchafter berichtet ihm, daß Tydaͤus im Begrif iſt, auf eines der Tohre zu ſtuͤrmen. Er be- ſchreibt zaghaft ſein fuͤrchterliches Anſehen und ſeine ſchrekliche Waffen. Eteokles antwortet ganz kalt- ſinnig: „Fuͤr der Ruͤſtung fuͤrchte ich mich „nicht, die Wapen der Schilder werden uns „nicht verwunden, und die Federbuͤſche ſtechen „uns nicht.‟ Als man ihm ſagt, ſein Bruder Polynices ſtehe zum Angriff des ſiebenden Tohrs fertig, und der Chor ihm abrahten will, ſich gegen ihn zu ſtellen, aus Furcht, der Fluch ihres Vaters (nach welchem beyde Bruͤder einander umbringen ſollten) wuͤrde da in Erfuͤllung kommen, antwortet er voll Wuth: „Weil denn eine Gottheit dieſe „Sache ernſtlich treibet, ſo moͤge das dem Phoͤ- „bus ſo verhaßte Geſchlecht des Lajus mit „ſchnellem Winde auf den Wellen des Cocytus „zur Hoͤlle fahren, und eilt den Fluch erfuͤllt zu ſehen. Dieſes ſind meines Erachtens Meiſterzuͤge zu Schilderung großer Charaktere. Ariſtophanes ſucht ihn zwar wegen einer uͤbertriebenen Stren- gigkeit in den Charaktern laͤcherlich zu machen; aber was war groß genug, um dieſem Spoͤtter vereh- rungswuͤrdig zu ſeyn? Die Scholiaſten merken an, daß die Rede der Caſſandra in dem Agamemnon von den Alten fuͤr das vorzuͤglichſte Stuͤk in ſeinen Trauerſpielen gehalten worden. Wir wollen indeſſen nicht in Abrede ſeyn, daß unſer Dichter nicht bisweilen die Sachen uͤbertrieben habe. Jn ſeiner Niobe, einem verlohrnen Stuͤke, ließ er dieſe ungluͤkliche Mutter bis an den dritten Tag mit verhuͤlltem Geſichte und ohne ein Wort zu reden, auf dem Grabmal ihrer Kinder ſitzen. Jn den Eumeniden druͤkt er die Wuth der Fu- rien durch die ekelhafteſten und fuͤrchterlichſten Toͤne aus. C 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/31>, abgerufen am 28.03.2024.