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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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R.


[Spaltenumbruch]
Radiren.
(Zeichnende Künste.)

Mit diesem ursprünglich lateinischen Worte, (*) das
eigentlich auskrazen oder abkrazen bedeutet, drüket
man die Arbeit aus, mit der ein Zeichner vermit-
telst einer stählernen Nadel eine Zeichnung auf eine
kupferne Platte einreißt. Dieses geschiehet haupt-
sächlich auf eine, mit Firnisgrund überzogene Plat-
te (*), wo mit der Nadel der Firnisgrund, so
wie es die Zeichnung erfodert, bis auf das Kupfer
weggekrazt wird, damit das Aezwasser, das man
hernach über die gegründete Platte gießt, die mit
der Nadel gerissenen Striche auf dem Kupfer aus-
fressen, oder einäzen könne. Man radirt aber auch
auf die bloße Platte, ohne Firnis: dieses nennen
einige mit der kalten Nadel arbeiten; das ist mit
der Nadel die Zeichnung in das Kupfer einreissen.
Es geschieht in zweyerley Absicht. Gemeiniglich,
wenn eine Platte schon geäzt, und ein Probedruk da-
von gemacht ist, um der Zeichnung hier und da nach-
zuhelfen, und noch fehlende Striche hereinzubringen;
aber man radirt auch kleine Zeichnungen ganz mit
der kalten Nadel, so wie man mit dem Grabstichel
gleich auf das bloße Kupfer sticht. Weil aber der
Zeichner auf diese Weise nicht tief in das Kupfer reis-
sen kann, und mit mehr oder weniger Kraft auf die
Nadel drüken muß, so können nur kleine und flüch-
tige Zeichnungen so radirt werden, die hernach auch
nur sehr wenig Abdrüke geben. Also muß man das
Nadiren hauptsächlich betrachten, in so fern es auf
den Firnisgrund zum Aezen vorgenommen wird;
wobey es hinlänglich ist, daß der Firnis, so wie es das
Aezen erfodert, mit der Nadel weggenommen werde.

Weil der Firnis sehr dünne aufgetragen, und
weich ist, so hat man nicht nöthig, wie beym Radi-
ren mit der kalten Nadel, sie stark aufzudrüken;
man kann die Nadel bald eben mit der Leichtigkeit
führen, wie die Feder, oder die Reißkohle. Mit-
hin kann ein geübter Zeichner mit eben der Freyheit
und Flüchtigkeit radiren, mit der er auf Papier zeich-
net. Und hierin liegt der Grund, warum man in
mehrern Absichten den radirten Kupferblättern, den
[Spaltenumbruch] Vorzug über die gestochenen geben muß, wovon
schon anderswo gesprochen worden. (*)

Ueber die Handgriffe des Radirens und die Be-
schaffenheit der Nadeln, kann man in dem im Arti-
kel Aezkunst angezeigten Werke des Abr. Boße die
nöthigen Nachrichten finden. Was übrigens in die-
sem Artikel noch anzuführen wäre, findet sich be-
reits in den Artikeln Aezen, Firnis, Gründen und
Kupfersiecherkunst.

R e.
(Musik.)

Die zweyte in der Solmisation gebräuchliche Sylbe,
die allemal den zweyten Ton des aretinischen Hex-
achords anzeiget, der dem Mi-Fa vorhergeht.
Wenn das Hexachord von C anfängt, so ist D das
Re; fängt es von G an, so ist A das Re. (*)

Recitativ.
(Musik.)

Es giebt eine Art des leidenschaftlichen Vortrages
der Rede, die zwischen dem eigentlichen Gesang, und
der gemeinen Declamation das Mittel hält; sie ge-
schieht wie der Gesang in bestimmten zu einer Ton-
leiter gehörigen Tönen, aber ohne genaue Beobach-
tung alles Metrischen und Rhythmischen des eigent-
lichen Gesanges. Diese so vorgetragene Rede wird
ein Recitativ genannt. Die Alten unterscheideten
diese drey Gattungen des Vortrages so, daß sie
dem Gesang abgesezte Töne zuschrieben, der De-
clamation aneinanderhangende, das Recitativ aber
mitten zwischen beyde sezten. Martianus Capella
nennt diese drey Arten genus vocis - continuum,
divisum, medium,
und er thut hinzu, die lezte Art,
nämlich das Recitativ, sey die, die man zum Vortrag
der Gedichte brauche. Diesemnach hätten die Alten,
ihre Gedichte nach Art unsers Recitatives vorgetra-
gen; und man kann hieraus erklären, warum in
den alten Zeiten das Studium der Dichtkunst von
der Musik unzertrennlich gewesen. Die bloße De-
clamation wurd bey den Alten auch notirt, aber
blos durch Accente, nicht durch musicalische Töne.

Dieses
(*) Ra-
dere.
(*) S
Gründen,
Firnis zum
Aezen.
(*) S
Aezkunst.
(*) S.
Solmisa-
tion.
R.


[Spaltenumbruch]
Radiren.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Mit dieſem urſpruͤnglich lateiniſchen Worte, (*) das
eigentlich auskrazen oder abkrazen bedeutet, druͤket
man die Arbeit aus, mit der ein Zeichner vermit-
telſt einer ſtaͤhlernen Nadel eine Zeichnung auf eine
kupferne Platte einreißt. Dieſes geſchiehet haupt-
ſaͤchlich auf eine, mit Firnisgrund uͤberzogene Plat-
te (*), wo mit der Nadel der Firnisgrund, ſo
wie es die Zeichnung erfodert, bis auf das Kupfer
weggekrazt wird, damit das Aezwaſſer, das man
hernach uͤber die gegruͤndete Platte gießt, die mit
der Nadel geriſſenen Striche auf dem Kupfer aus-
freſſen, oder einaͤzen koͤnne. Man radirt aber auch
auf die bloße Platte, ohne Firnis: dieſes nennen
einige mit der kalten Nadel arbeiten; das iſt mit
der Nadel die Zeichnung in das Kupfer einreiſſen.
Es geſchieht in zweyerley Abſicht. Gemeiniglich,
wenn eine Platte ſchon geaͤzt, und ein Probedruk da-
von gemacht iſt, um der Zeichnung hier und da nach-
zuhelfen, und noch fehlende Striche hereinzubringen;
aber man radirt auch kleine Zeichnungen ganz mit
der kalten Nadel, ſo wie man mit dem Grabſtichel
gleich auf das bloße Kupfer ſticht. Weil aber der
Zeichner auf dieſe Weiſe nicht tief in das Kupfer reiſ-
ſen kann, und mit mehr oder weniger Kraft auf die
Nadel druͤken muß, ſo koͤnnen nur kleine und fluͤch-
tige Zeichnungen ſo radirt werden, die hernach auch
nur ſehr wenig Abdruͤke geben. Alſo muß man das
Nadiren hauptſaͤchlich betrachten, in ſo fern es auf
den Firnisgrund zum Aezen vorgenommen wird;
wobey es hinlaͤnglich iſt, daß der Firnis, ſo wie es das
Aezen erfodert, mit der Nadel weggenommen werde.

Weil der Firnis ſehr duͤnne aufgetragen, und
weich iſt, ſo hat man nicht noͤthig, wie beym Radi-
ren mit der kalten Nadel, ſie ſtark aufzudruͤken;
man kann die Nadel bald eben mit der Leichtigkeit
fuͤhren, wie die Feder, oder die Reißkohle. Mit-
hin kann ein geuͤbter Zeichner mit eben der Freyheit
und Fluͤchtigkeit radiren, mit der er auf Papier zeich-
net. Und hierin liegt der Grund, warum man in
mehrern Abſichten den radirten Kupferblaͤttern, den
[Spaltenumbruch] Vorzug uͤber die geſtochenen geben muß, wovon
ſchon anderswo geſprochen worden. (*)

Ueber die Handgriffe des Radirens und die Be-
ſchaffenheit der Nadeln, kann man in dem im Arti-
kel Aezkunſt angezeigten Werke des Abr. Boße die
noͤthigen Nachrichten finden. Was uͤbrigens in die-
ſem Artikel noch anzufuͤhren waͤre, findet ſich be-
reits in den Artikeln Aezen, Firnis, Gruͤnden und
Kupferſiecherkunſt.

R e.
(Muſik.)

Die zweyte in der Solmiſation gebraͤuchliche Sylbe,
die allemal den zweyten Ton des aretiniſchen Hex-
achords anzeiget, der dem Mi-Fa vorhergeht.
Wenn das Hexachord von C anfaͤngt, ſo iſt D das
Re; faͤngt es von G an, ſo iſt A das Re. (*)

Recitativ.
(Muſik.)

Es giebt eine Art des leidenſchaftlichen Vortrages
der Rede, die zwiſchen dem eigentlichen Geſang, und
der gemeinen Declamation das Mittel haͤlt; ſie ge-
ſchieht wie der Geſang in beſtimmten zu einer Ton-
leiter gehoͤrigen Toͤnen, aber ohne genaue Beobach-
tung alles Metriſchen und Rhythmiſchen des eigent-
lichen Geſanges. Dieſe ſo vorgetragene Rede wird
ein Recitativ genannt. Die Alten unterſcheideten
dieſe drey Gattungen des Vortrages ſo, daß ſie
dem Geſang abgeſezte Toͤne zuſchrieben, der De-
clamation aneinanderhangende, das Recitativ aber
mitten zwiſchen beyde ſezten. Martianus Capella
nennt dieſe drey Arten genus vocis - continuum,
diviſum, medium,
und er thut hinzu, die lezte Art,
naͤmlich das Recitativ, ſey die, die man zum Vortrag
der Gedichte brauche. Dieſemnach haͤtten die Alten,
ihre Gedichte nach Art unſers Recitatives vorgetra-
gen; und man kann hieraus erklaͤren, warum in
den alten Zeiten das Studium der Dichtkunſt von
der Muſik unzertrennlich geweſen. Die bloße De-
clamation wurd bey den Alten auch notirt, aber
blos durch Accente, nicht durch muſicaliſche Toͤne.

Dieſes
(*) Ra-
dere.
(*) S
Gruͤnden,
Firnis zum
Aezen.
(*) S
Aezkunſt.
(*) S.
Solmiſa-
tion.
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[942[924]/0360] R. Radiren. (Zeichnende Kuͤnſte.) Mit dieſem urſpruͤnglich lateiniſchen Worte, (*) das eigentlich auskrazen oder abkrazen bedeutet, druͤket man die Arbeit aus, mit der ein Zeichner vermit- telſt einer ſtaͤhlernen Nadel eine Zeichnung auf eine kupferne Platte einreißt. Dieſes geſchiehet haupt- ſaͤchlich auf eine, mit Firnisgrund uͤberzogene Plat- te (*), wo mit der Nadel der Firnisgrund, ſo wie es die Zeichnung erfodert, bis auf das Kupfer weggekrazt wird, damit das Aezwaſſer, das man hernach uͤber die gegruͤndete Platte gießt, die mit der Nadel geriſſenen Striche auf dem Kupfer aus- freſſen, oder einaͤzen koͤnne. Man radirt aber auch auf die bloße Platte, ohne Firnis: dieſes nennen einige mit der kalten Nadel arbeiten; das iſt mit der Nadel die Zeichnung in das Kupfer einreiſſen. Es geſchieht in zweyerley Abſicht. Gemeiniglich, wenn eine Platte ſchon geaͤzt, und ein Probedruk da- von gemacht iſt, um der Zeichnung hier und da nach- zuhelfen, und noch fehlende Striche hereinzubringen; aber man radirt auch kleine Zeichnungen ganz mit der kalten Nadel, ſo wie man mit dem Grabſtichel gleich auf das bloße Kupfer ſticht. Weil aber der Zeichner auf dieſe Weiſe nicht tief in das Kupfer reiſ- ſen kann, und mit mehr oder weniger Kraft auf die Nadel druͤken muß, ſo koͤnnen nur kleine und fluͤch- tige Zeichnungen ſo radirt werden, die hernach auch nur ſehr wenig Abdruͤke geben. Alſo muß man das Nadiren hauptſaͤchlich betrachten, in ſo fern es auf den Firnisgrund zum Aezen vorgenommen wird; wobey es hinlaͤnglich iſt, daß der Firnis, ſo wie es das Aezen erfodert, mit der Nadel weggenommen werde. Weil der Firnis ſehr duͤnne aufgetragen, und weich iſt, ſo hat man nicht noͤthig, wie beym Radi- ren mit der kalten Nadel, ſie ſtark aufzudruͤken; man kann die Nadel bald eben mit der Leichtigkeit fuͤhren, wie die Feder, oder die Reißkohle. Mit- hin kann ein geuͤbter Zeichner mit eben der Freyheit und Fluͤchtigkeit radiren, mit der er auf Papier zeich- net. Und hierin liegt der Grund, warum man in mehrern Abſichten den radirten Kupferblaͤttern, den Vorzug uͤber die geſtochenen geben muß, wovon ſchon anderswo geſprochen worden. (*) Ueber die Handgriffe des Radirens und die Be- ſchaffenheit der Nadeln, kann man in dem im Arti- kel Aezkunſt angezeigten Werke des Abr. Boße die noͤthigen Nachrichten finden. Was uͤbrigens in die- ſem Artikel noch anzufuͤhren waͤre, findet ſich be- reits in den Artikeln Aezen, Firnis, Gruͤnden und Kupferſiecherkunſt. R e. (Muſik.) Die zweyte in der Solmiſation gebraͤuchliche Sylbe, die allemal den zweyten Ton des aretiniſchen Hex- achords anzeiget, der dem Mi-Fa vorhergeht. Wenn das Hexachord von C anfaͤngt, ſo iſt D das Re; faͤngt es von G an, ſo iſt A das Re. (*) Recitativ. (Muſik.) Es giebt eine Art des leidenſchaftlichen Vortrages der Rede, die zwiſchen dem eigentlichen Geſang, und der gemeinen Declamation das Mittel haͤlt; ſie ge- ſchieht wie der Geſang in beſtimmten zu einer Ton- leiter gehoͤrigen Toͤnen, aber ohne genaue Beobach- tung alles Metriſchen und Rhythmiſchen des eigent- lichen Geſanges. Dieſe ſo vorgetragene Rede wird ein Recitativ genannt. Die Alten unterſcheideten dieſe drey Gattungen des Vortrages ſo, daß ſie dem Geſang abgeſezte Toͤne zuſchrieben, der De- clamation aneinanderhangende, das Recitativ aber mitten zwiſchen beyde ſezten. Martianus Capella nennt dieſe drey Arten genus vocis - continuum, diviſum, medium, und er thut hinzu, die lezte Art, naͤmlich das Recitativ, ſey die, die man zum Vortrag der Gedichte brauche. Dieſemnach haͤtten die Alten, ihre Gedichte nach Art unſers Recitatives vorgetra- gen; und man kann hieraus erklaͤren, warum in den alten Zeiten das Studium der Dichtkunſt von der Muſik unzertrennlich geweſen. Die bloße De- clamation wurd bey den Alten auch notirt, aber blos durch Accente, nicht durch muſicaliſche Toͤne. Dieſes (*) Ra- dere. (*) S Gruͤnden, Firnis zum Aezen. (*) S Aezkunſt. (*) S. Solmiſa- tion.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 942[924]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/360>, abgerufen am 29.03.2024.