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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Begriff der rationellen Landwirthschaft.
§. 5.

Die handwerksmäßige oder mechanische Erlernung besteht in der nach-
ahmenden Uebung der Handgriffe, des Augenmaaßes, und des Taktes oder der Zeit-
wahrnehmung. Sie ist eine bloße Abrichtung, und der handwerksmäßige Landwirth
kann bloß nachahmen, und bei seinen gewohnten, nach Raum und Zeit mehr oder
minder modificirten Handgriffen bleiben, wovon er keinen Verstandsbegriff hat oder
zu haben braucht.

§. 6.

Kunst ist Darstellung der Idee in der Wirklichkeit. Der bloß kunstmäßige
Landwirth nimmt die Idee oder die Regel seines Verfahrens von anderen auf Glau-
ben an. Die kunstmäßige Erlernung besteht also in dem Auffassen fremder
Ideen, oder in der Erlernung von Regeln, und in der Uebung, diese Regeln in Aus-
führung zu bringen.

§. 7.

Die wissenschaftliche Lehre setzt keine positive Regeln fest, sondern sie ent-
wickelt die Gründe, nach welchen man für jeden vorkommenden speciellen Fall --
den sie scharf unterscheiden lehrt -- das möglich beste Verfahren selbst erfindet. Die
Kunst führt ein gegebenes und angenommenes Gesetz aus, die Wissenschaft giebt
selbst das Gesetz.

§. 8.

Nur die wissenschaftliche Lehre allein kann allgemein gültig und allumfassend
seyn, und zur Erreichung des Höchsten unter allen und jeden Verhältnissen führen.
Alle positive Regeln und Erlernungen sind nur auf bestimmte Lagen anwendbar, und
jede bedarf besonderer, die nur die Wissenschaft so geben kann, daß das möglich
Beste in jedem Fall erreicht werde. Der höhere Ackerbau kann also allein rationeller
Ackerbau genannt werden, und beides ist eins.

Wie der Schiffer, der mit Compaß und Charte das Weltmeer umsegelt -- mit
deren Hülfe jeden Wind und Strömung benutzt, um sich seinem Ziele, wenn gleich
oft durch manche Umwege und langsamen Schritts zu nähern, Klippen und Hinder-
nisse sicher umgeht, in jeder Lage die vortheilhafteste Richtung wählt, und immer
glücklich in möglich kürzester Zeit den Hafen erreicht -- sich zu dem Küstenfahrer

Begriff der rationellen Landwirthſchaft.
§. 5.

Die handwerksmaͤßige oder mechaniſche Erlernung beſteht in der nach-
ahmenden Uebung der Handgriffe, des Augenmaaßes, und des Taktes oder der Zeit-
wahrnehmung. Sie iſt eine bloße Abrichtung, und der handwerksmaͤßige Landwirth
kann bloß nachahmen, und bei ſeinen gewohnten, nach Raum und Zeit mehr oder
minder modificirten Handgriffen bleiben, wovon er keinen Verſtandsbegriff hat oder
zu haben braucht.

§. 6.

Kunſt iſt Darſtellung der Idee in der Wirklichkeit. Der bloß kunſtmaͤßige
Landwirth nimmt die Idee oder die Regel ſeines Verfahrens von anderen auf Glau-
ben an. Die kunſtmaͤßige Erlernung beſteht alſo in dem Auffaſſen fremder
Ideen, oder in der Erlernung von Regeln, und in der Uebung, dieſe Regeln in Aus-
fuͤhrung zu bringen.

§. 7.

Die wiſſenſchaftliche Lehre ſetzt keine poſitive Regeln feſt, ſondern ſie ent-
wickelt die Gruͤnde, nach welchen man fuͤr jeden vorkommenden ſpeciellen Fall —
den ſie ſcharf unterſcheiden lehrt — das moͤglich beſte Verfahren ſelbſt erfindet. Die
Kunſt fuͤhrt ein gegebenes und angenommenes Geſetz aus, die Wiſſenſchaft giebt
ſelbſt das Geſetz.

§. 8.

Nur die wiſſenſchaftliche Lehre allein kann allgemein guͤltig und allumfaſſend
ſeyn, und zur Erreichung des Hoͤchſten unter allen und jeden Verhaͤltniſſen fuͤhren.
Alle poſitive Regeln und Erlernungen ſind nur auf beſtimmte Lagen anwendbar, und
jede bedarf beſonderer, die nur die Wiſſenſchaft ſo geben kann, daß das moͤglich
Beſte in jedem Fall erreicht werde. Der hoͤhere Ackerbau kann alſo allein rationeller
Ackerbau genannt werden, und beides iſt eins.

Wie der Schiffer, der mit Compaß und Charte das Weltmeer umſegelt — mit
deren Huͤlfe jeden Wind und Stroͤmung benutzt, um ſich ſeinem Ziele, wenn gleich
oft durch manche Umwege und langſamen Schritts zu naͤhern, Klippen und Hinder-
niſſe ſicher umgeht, in jeder Lage die vortheilhafteſte Richtung waͤhlt, und immer
gluͤcklich in moͤglich kuͤrzeſter Zeit den Hafen erreicht — ſich zu dem Kuͤſtenfahrer

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[4/0034] Begriff der rationellen Landwirthſchaft. §. 5. Die handwerksmaͤßige oder mechaniſche Erlernung beſteht in der nach- ahmenden Uebung der Handgriffe, des Augenmaaßes, und des Taktes oder der Zeit- wahrnehmung. Sie iſt eine bloße Abrichtung, und der handwerksmaͤßige Landwirth kann bloß nachahmen, und bei ſeinen gewohnten, nach Raum und Zeit mehr oder minder modificirten Handgriffen bleiben, wovon er keinen Verſtandsbegriff hat oder zu haben braucht. §. 6. Kunſt iſt Darſtellung der Idee in der Wirklichkeit. Der bloß kunſtmaͤßige Landwirth nimmt die Idee oder die Regel ſeines Verfahrens von anderen auf Glau- ben an. Die kunſtmaͤßige Erlernung beſteht alſo in dem Auffaſſen fremder Ideen, oder in der Erlernung von Regeln, und in der Uebung, dieſe Regeln in Aus- fuͤhrung zu bringen. §. 7. Die wiſſenſchaftliche Lehre ſetzt keine poſitive Regeln feſt, ſondern ſie ent- wickelt die Gruͤnde, nach welchen man fuͤr jeden vorkommenden ſpeciellen Fall — den ſie ſcharf unterſcheiden lehrt — das moͤglich beſte Verfahren ſelbſt erfindet. Die Kunſt fuͤhrt ein gegebenes und angenommenes Geſetz aus, die Wiſſenſchaft giebt ſelbſt das Geſetz. §. 8. Nur die wiſſenſchaftliche Lehre allein kann allgemein guͤltig und allumfaſſend ſeyn, und zur Erreichung des Hoͤchſten unter allen und jeden Verhaͤltniſſen fuͤhren. Alle poſitive Regeln und Erlernungen ſind nur auf beſtimmte Lagen anwendbar, und jede bedarf beſonderer, die nur die Wiſſenſchaft ſo geben kann, daß das moͤglich Beſte in jedem Fall erreicht werde. Der hoͤhere Ackerbau kann alſo allein rationeller Ackerbau genannt werden, und beides iſt eins. Wie der Schiffer, der mit Compaß und Charte das Weltmeer umſegelt — mit deren Huͤlfe jeden Wind und Stroͤmung benutzt, um ſich ſeinem Ziele, wenn gleich oft durch manche Umwege und langſamen Schritts zu naͤhern, Klippen und Hinder- niſſe ſicher umgeht, in jeder Lage die vortheilhafteſte Richtung waͤhlt, und immer gluͤcklich in moͤglich kuͤrzeſter Zeit den Hafen erreicht — ſich zu dem Kuͤſtenfahrer

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809/34>, abgerufen am 29.03.2024.