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Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723.

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le von diesen Juristischen Händeln publiciren könte, ehe ich mich unter die Zahl der nimmer Weisen rechnen dörffte. Allein ich will mit dieser Antwort so bald in Anfang dieser meiner Vorrede keinen Menschen erschrecken, sondern den deutlichen Verstand meines obigen Vorsatzes von Unterlassung fernerer Schrifften, und meines jetzigen Vorhabens etwas umständlicher melden.

Ich bin von Jugend auff schlecht und recht, aber dabey allezeit eines freymüthigen und frölichen Sinnes gewesen, und vermeinete also nicht, da ich vor dreyßig Jahren meine schertz-und ernsthaffte Gedancken monatlich in Leipzig publicirte, daß so ein Lermen daraus entstehen und diejenigen, denen ich darinnen die Wahrheit gesagt hatte, so erbittert wieder mich werden solten, als es leyder geschahe. Die Ursach meiner Einfalt war, daß ich nach der gemeinen noch itzo herrschenden doctrin feste glaubte, die scala praedicamentalis träffe so richtig ein, als das einmahl eins, und daß Petrus, Paulus, Johannes so wenig von einander unterschieden wäre, als unter denen Thieren, die individua von einer Art oder specie infima. Und wie ich also meines Orts gar wohl leiden konte, wenn mir jemand, auch in etwas beissenden Schertz die Warheit sagte, wenn aber jemand ohne Vernunfft oder judicio mich tadeln wolte, ich mehr Mitleiden mit ihm hatte, als daß ich mich über ihn erzürnen solte; also meinete ich auch, es wären andre Menschen nothwendig eben so geartet. Aber meine Verfolgung und Austreibung aus meinem Vaterlande lehrte mich ein anders, u. ich fing damals am ersten an, wiewohl noch etwas dunckel, zu erkennen, daß die Menschen so vielfältig von einander unterschieden wären, als die Thiere insgesamt, und beflisse mich demnach von der Zeit an, die Natur der Menschen besser erkennen zu lernen, und die aus dem gemeinen Irrthum herfliessende vielfältige irrige Conclusiones nebst andern falschen Lehren zu wiederlegen. Ich erkennete aber nicht lange darauf, daß die Satyrische Schreib-Art zwar auch ein Mittel wäre, die tieff eingewurtzelten Irrthümer vielen Leuten zu erkennen zu geben; aber daß sie doch bey denen, die allzusehr an die Irrthümer gewohnt, und bey denen sie etwas feste sässen, keine Besserung leichtlich würckte, sondern sie vielmehr wieder die War-

le von diesen Juristischen Händeln publiciren könte, ehe ich mich unter die Zahl der nimmer Weisen rechnen dörffte. Allein ich will mit dieser Antwort so bald in Anfang dieser meiner Vorrede keinen Menschen erschrecken, sondern den deutlichen Verstand meines obigen Vorsatzes von Unterlassung fernerer Schrifften, und meines jetzigen Vorhabens etwas umständlicher melden.

Ich bin von Jugend auff schlecht und recht, aber dabey allezeit eines freymüthigen und frölichen Sinnes gewesen, und vermeinete also nicht, da ich vor dreyßig Jahren meine schertz-und ernsthaffte Gedancken monatlich in Leipzig publicirte, daß so ein Lermen daraus entstehen und diejenigen, denen ich darinnen die Wahrheit gesagt hatte, so erbittert wieder mich werden solten, als es leyder geschahe. Die Ursach meiner Einfalt war, daß ich nach der gemeinen noch itzo herrschenden doctrin feste glaubte, die scala praedicamentalis träffe so richtig ein, als das einmahl eins, und daß Petrus, Paulus, Johannes so wenig von einander unterschieden wäre, als unter denen Thieren, die individua von einer Art oder specie infima. Und wie ich also meines Orts gar wohl leiden konte, wenn mir jemand, auch in etwas beissenden Schertz die Warheit sagte, wenn aber jemand ohne Vernunfft oder judicio mich tadeln wolte, ich mehr Mitleiden mit ihm hatte, als daß ich mich über ihn erzürnen solte; also meinete ich auch, es wären andre Menschen nothwendig eben so geartet. Aber meine Verfolgung und Austreibung aus meinem Vaterlande lehrte mich ein anders, u. ich fing damals am ersten an, wiewohl noch etwas dunckel, zu erkennen, daß die Menschen so vielfältig von einander unterschieden wären, als die Thiere insgesamt, und beflisse mich demnach von der Zeit an, die Natur der Menschen besser erkennen zu lernen, und die aus dem gemeinen Irrthum herfliessende vielfältige irrige Conclusiones nebst andern falschen Lehren zu wiederlegen. Ich erkennete aber nicht lange darauf, daß die Satyrische Schreib-Art zwar auch ein Mittel wäre, die tieff eingewurtzelten Irrthümer vielen Leuten zu erkennen zu geben; aber daß sie doch bey denen, die allzusehr an die Irrthümer gewohnt, und bey denen sie etwas feste sässen, keine Besserung leichtlich würckte, sondern sie vielmehr wieder die War-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte01_1723/4>, abgerufen am 19.04.2024.