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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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lieben wolle! Kann er seine Seele zurück-
lassen?

Du kennst Amalien, ich habe Dir so oft von
ihr gesprochen: ich bin ihr trenlos, meineidig,
nenne Du es, wie Du willst, ich brauche kei-
nen Nahmen dafür, denn ich habe nicht nöthig,
mir es zur Tugend, oder zum Verbrechen anzu-
rechnen, ich kann der Allmacht meiner Gefühle
nicht widerstehn. -- Louise Blainville ist ein
Engel, sie nicht lieben, heißt die Liebe selbst
verhöhnen; ich würde Amalien nie geliebt ha-
ben, wenn ich sie nicht lieben müßte; ich wäre
taub und blind für so viel Schönheit und Edel-
muth; kein fühlendes Geschöpf darf sich ihr
nähern, ohne der freundlichen Gottheit zu hul-
digen, die aus jedem Blicke, aus jeder Geber-
de spricht.

Es war ein schöner Abend, ich war mit
ihr im Garten des Grafen Melun, wir gingen
lange einsam auf und ab. Balder, sie ist das
edelste weibliche Geschöpf, das ich bis itzt ge-
kannt habe! so viel Natur und Herzensgüte!
Ich saß im stummen Entzücken in einer däm-
mernden Laube neben ihr; die Blumen dufteten

Lovell, I. Bd. K

lieben wolle! Kann er ſeine Seele zuruͤck-
laſſen?

Du kennſt Amalien, ich habe Dir ſo oft von
ihr geſprochen: ich bin ihr trenlos, meineidig,
nenne Du es, wie Du willſt, ich brauche kei-
nen Nahmen dafuͤr, denn ich habe nicht noͤthig,
mir es zur Tugend, oder zum Verbrechen anzu-
rechnen, ich kann der Allmacht meiner Gefuͤhle
nicht widerſtehn. — Louiſe Blainville iſt ein
Engel, ſie nicht lieben, heißt die Liebe ſelbſt
verhoͤhnen; ich wuͤrde Amalien nie geliebt ha-
ben, wenn ich ſie nicht lieben muͤßte; ich waͤre
taub und blind fuͤr ſo viel Schoͤnheit und Edel-
muth; kein fuͤhlendes Geſchoͤpf darf ſich ihr
naͤhern, ohne der freundlichen Gottheit zu hul-
digen, die aus jedem Blicke, aus jeder Geber-
de ſpricht.

Es war ein ſchoͤner Abend, ich war mit
ihr im Garten des Grafen Melun, wir gingen
lange einſam auf und ab. Balder, ſie iſt das
edelſte weibliche Geſchoͤpf, das ich bis itzt ge-
kannt habe! ſo viel Natur und Herzensguͤte!
Ich ſaß im ſtummen Entzuͤcken in einer daͤm-
mernden Laube neben ihr; die Blumen dufteten

Lovell, I. Bd. K
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[145[143]/0153] lieben wolle! Kann er ſeine Seele zuruͤck- laſſen? Du kennſt Amalien, ich habe Dir ſo oft von ihr geſprochen: ich bin ihr trenlos, meineidig, nenne Du es, wie Du willſt, ich brauche kei- nen Nahmen dafuͤr, denn ich habe nicht noͤthig, mir es zur Tugend, oder zum Verbrechen anzu- rechnen, ich kann der Allmacht meiner Gefuͤhle nicht widerſtehn. — Louiſe Blainville iſt ein Engel, ſie nicht lieben, heißt die Liebe ſelbſt verhoͤhnen; ich wuͤrde Amalien nie geliebt ha- ben, wenn ich ſie nicht lieben muͤßte; ich waͤre taub und blind fuͤr ſo viel Schoͤnheit und Edel- muth; kein fuͤhlendes Geſchoͤpf darf ſich ihr naͤhern, ohne der freundlichen Gottheit zu hul- digen, die aus jedem Blicke, aus jeder Geber- de ſpricht. Es war ein ſchoͤner Abend, ich war mit ihr im Garten des Grafen Melun, wir gingen lange einſam auf und ab. Balder, ſie iſt das edelſte weibliche Geſchoͤpf, das ich bis itzt ge- kannt habe! ſo viel Natur und Herzensguͤte! Ich ſaß im ſtummen Entzuͤcken in einer daͤm- mernden Laube neben ihr; die Blumen dufteten Lovell, I. Bd. K

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 145[143]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/153>, abgerufen am 29.03.2024.