Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
28.
Fragmore an seinen Neffen Mortimer.


Ich fange diesen Brief mit zitternder Hand
an, kaum in der Hofnung, ihn zu vollenden, so
sehr haben plötzlich ein Fieber, und alle Anfälle
des Alters meine Kräfte erschöpft. -- Alle an-
genehmen Empfindungen haben schon von mir
Abschied genommen und unaufhörliche Schmer-
zen machen mir mein Grab wünschenswerth.
Die einzige Freude, die mir noch nicht gleich-
gültig geworden ist, wäre, Dich noch einmahl
zu sehn: doch ich will es nicht hoffen, denn es
ist fast unmöglich; wünschest Du aber, lieber
Mortimer, mich noch vor meinem Tode zu sehn,
so eile. Itzt auf meinem Bette wünsche ich,
daß die französischen Chausseen noch besser wä-
ren, als sie sind; ich habe eine so innige Sehn-
sucht, das Wesen noch einmahl zu sehn, welches
ich einzig liebe, daß ich mich oft ärgre, daß
Du nicht schon vor mir stehst, daß Du über-
haupt aus England gereiset bist und daß ich
Dich so in die Welt habe hineinreisen lassen.

28.
Fragmore an ſeinen Neffen Mortimer.


Ich fange dieſen Brief mit zitternder Hand
an, kaum in der Hofnung, ihn zu vollenden, ſo
ſehr haben ploͤtzlich ein Fieber, und alle Anfaͤlle
des Alters meine Kraͤfte erſchoͤpft. — Alle an-
genehmen Empfindungen haben ſchon von mir
Abſchied genommen und unaufhoͤrliche Schmer-
zen machen mir mein Grab wuͤnſchenswerth.
Die einzige Freude, die mir noch nicht gleich-
guͤltig geworden iſt, waͤre, Dich noch einmahl
zu ſehn: doch ich will es nicht hoffen, denn es
iſt faſt unmoͤglich; wuͤnſcheſt Du aber, lieber
Mortimer, mich noch vor meinem Tode zu ſehn,
ſo eile. Itzt auf meinem Bette wuͤnſche ich,
daß die franzoͤſiſchen Chauſſeen noch beſſer waͤ-
ren, als ſie ſind; ich habe eine ſo innige Sehn-
ſucht, das Weſen noch einmahl zu ſehn, welches
ich einzig liebe, daß ich mich oft aͤrgre, daß
Du nicht ſchon vor mir ſtehſt, daß Du uͤber-
haupt aus England gereiſet biſt und daß ich
Dich ſo in die Welt habe hineinreiſen laſſen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0189" n="181[179]"/>
        <div n="2">
          <head>28.<lb/>
Fragmore an &#x017F;einen Neffen Mortimer.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">London.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch fange die&#x017F;en Brief mit zitternder Hand<lb/>
an, kaum in der Hofnung, ihn zu vollenden, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr haben plo&#x0364;tzlich ein Fieber, und alle Anfa&#x0364;lle<lb/>
des Alters meine Kra&#x0364;fte er&#x017F;cho&#x0364;pft. &#x2014; Alle an-<lb/>
genehmen Empfindungen haben &#x017F;chon von mir<lb/>
Ab&#x017F;chied genommen und unaufho&#x0364;rliche Schmer-<lb/>
zen machen mir mein Grab wu&#x0364;n&#x017F;chenswerth.<lb/>
Die einzige Freude, die mir noch nicht gleich-<lb/>
gu&#x0364;ltig geworden i&#x017F;t, wa&#x0364;re, <hi rendition="#g">Dich</hi> noch einmahl<lb/>
zu &#x017F;ehn: doch ich will es nicht hoffen, denn es<lb/>
i&#x017F;t fa&#x017F;t unmo&#x0364;glich; wu&#x0364;n&#x017F;che&#x017F;t Du aber, lieber<lb/>
Mortimer, mich noch vor meinem Tode zu &#x017F;ehn,<lb/>
&#x017F;o eile. Itzt auf meinem Bette wu&#x0364;n&#x017F;che ich,<lb/>
daß die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Chau&#x017F;&#x017F;een noch be&#x017F;&#x017F;er wa&#x0364;-<lb/>
ren, als &#x017F;ie &#x017F;ind; ich habe eine &#x017F;o innige Sehn-<lb/>
&#x017F;ucht, das We&#x017F;en noch einmahl zu &#x017F;ehn, welches<lb/>
ich einzig liebe, daß ich mich oft a&#x0364;rgre, daß<lb/>
Du nicht &#x017F;chon vor mir &#x017F;teh&#x017F;t, daß Du u&#x0364;ber-<lb/>
haupt aus England gerei&#x017F;et bi&#x017F;t und daß ich<lb/>
Dich &#x017F;o in die Welt habe hineinrei&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181[179]/0189] 28. Fragmore an ſeinen Neffen Mortimer. London. Ich fange dieſen Brief mit zitternder Hand an, kaum in der Hofnung, ihn zu vollenden, ſo ſehr haben ploͤtzlich ein Fieber, und alle Anfaͤlle des Alters meine Kraͤfte erſchoͤpft. — Alle an- genehmen Empfindungen haben ſchon von mir Abſchied genommen und unaufhoͤrliche Schmer- zen machen mir mein Grab wuͤnſchenswerth. Die einzige Freude, die mir noch nicht gleich- guͤltig geworden iſt, waͤre, Dich noch einmahl zu ſehn: doch ich will es nicht hoffen, denn es iſt faſt unmoͤglich; wuͤnſcheſt Du aber, lieber Mortimer, mich noch vor meinem Tode zu ſehn, ſo eile. Itzt auf meinem Bette wuͤnſche ich, daß die franzoͤſiſchen Chauſſeen noch beſſer waͤ- ren, als ſie ſind; ich habe eine ſo innige Sehn- ſucht, das Weſen noch einmahl zu ſehn, welches ich einzig liebe, daß ich mich oft aͤrgre, daß Du nicht ſchon vor mir ſtehſt, daß Du uͤber- haupt aus England gereiſet biſt und daß ich Dich ſo in die Welt habe hineinreiſen laſſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/189
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 181[179]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/189>, abgerufen am 29.03.2024.