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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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9.
William Lovell an Eduard Burton.


Lieber Eduard, ich bin heut noch zu voll von
den mannichfaltigen Eindrücken, die alles um-
her auf mich macht, um Dir einen langen
Brief schreiben zu können. Die Asche eines
Heldenalters liegt unter meinen Füßen, mit
ernster Größe sprechen mich die erhabenen Rui-
nen der Vorzeit an, die Kunstwerke der neuern
Welt erzwingen meine Anbetung. Ich lebe hier
wie in einem unendlich großen Tempel, der hei-
lige Schauer auf mich herabgießt; bei jedem
Schritte betret' ich eine Stelle, wo einst ein
verehrungswürdiger Römer ging, oder wo eine
große Handlung vorfiel. Ein Drang zu Thaten
weht mich aus jeder Bildsäule an, begeisternde
Schauder wohnen in den Trümmern aus der
großen Heroenzeit, in der Abenddämmerung
denk' ich oft auf den einsamen Plätzen hinter
einer eingefallenen Mauer den Geist eines alten
Römers zu sehn und fahre dann vor meinem ei-
genen Gedanken zurück.


9.
William Lovell an Eduard Burton.


Lieber Eduard, ich bin heut noch zu voll von
den mannichfaltigen Eindruͤcken, die alles um-
her auf mich macht, um Dir einen langen
Brief ſchreiben zu koͤnnen. Die Aſche eines
Heldenalters liegt unter meinen Fuͤßen, mit
ernſter Groͤße ſprechen mich die erhabenen Rui-
nen der Vorzeit an, die Kunſtwerke der neuern
Welt erzwingen meine Anbetung. Ich lebe hier
wie in einem unendlich großen Tempel, der hei-
lige Schauer auf mich herabgießt; bei jedem
Schritte betret’ ich eine Stelle, wo einſt ein
verehrungswuͤrdiger Roͤmer ging, oder wo eine
große Handlung vorfiel. Ein Drang zu Thaten
weht mich aus jeder Bildſaͤule an, begeiſternde
Schauder wohnen in den Truͤmmern aus der
großen Heroenzeit, in der Abenddaͤmmerung
denk’ ich oft auf den einſamen Plaͤtzen hinter
einer eingefallenen Mauer den Geiſt eines alten
Roͤmers zu ſehn und fahre dann vor meinem ei-
genen Gedanken zuruͤck.


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[242[240]/0250] 9. William Lovell an Eduard Burton. Rom. Lieber Eduard, ich bin heut noch zu voll von den mannichfaltigen Eindruͤcken, die alles um- her auf mich macht, um Dir einen langen Brief ſchreiben zu koͤnnen. Die Aſche eines Heldenalters liegt unter meinen Fuͤßen, mit ernſter Groͤße ſprechen mich die erhabenen Rui- nen der Vorzeit an, die Kunſtwerke der neuern Welt erzwingen meine Anbetung. Ich lebe hier wie in einem unendlich großen Tempel, der hei- lige Schauer auf mich herabgießt; bei jedem Schritte betret’ ich eine Stelle, wo einſt ein verehrungswuͤrdiger Roͤmer ging, oder wo eine große Handlung vorfiel. Ein Drang zu Thaten weht mich aus jeder Bildſaͤule an, begeiſternde Schauder wohnen in den Truͤmmern aus der großen Heroenzeit, in der Abenddaͤmmerung denk’ ich oft auf den einſamen Plaͤtzen hinter einer eingefallenen Mauer den Geiſt eines alten Roͤmers zu ſehn und fahre dann vor meinem ei- genen Gedanken zuruͤck.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 242[240]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/250>, abgerufen am 24.04.2024.