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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
und auch Peter. Er ging durch ein anmuthiges
Thal und verlor sich hinter einigen Hügeln in
das Land hinein; da setzte er sich nieder und sah
viele schöne Blumen um sich stehn. Alle blickten
ihn wie mit freundlichen, lieblichen Augen an, und
er dachte innig an Magelonen, und wie sie ihn ge-
liebt hatte. Wie kann der Liebende, rief er aus,
sich nur jemals einsam fühlen? Erinnern mich
nicht diese blauen Kelche an ihre holdseligen Augen,
dieses goldene Blatt an ihr Haar, die Pracht die-
ser Lilie und Rose neben einander, an ihre zarten
Wangen? Ist es doch, als wenn der Wind in
den Blumen sich bewegt, und es, wie auf Saiten
versuchen will, ihren süßen Namen auszusprechen;
Quellen und Bäume nennen ihn, für die übri-
gen Menschen unverständlich, aber mir laut und
vernehmlich.

Er erinnerte sich eines Gesanges, den er vor
langer Zeit gedichtet hatte, und wiederholte ihn jetzt:

Süß ists, mit Gedanken gehn,
Die uns zur Geliebten leiten,
Wo von blumbewachsnen Höhn,
Sonnenstrahlen sich verbreiten.
Lilien sagen: unser Licht
Ist es, was die Wange schmücket;
Unsern Schein die Liebste blicket:
So das blaue Veilchen spricht.
Und mit sanfter Röthe lächeln
Rosen ob dem Uebermuth,
Kühle Abendwinde fächeln
Durch die liebevolle Gluth.

All

Erſte Abtheilung.
und auch Peter. Er ging durch ein anmuthiges
Thal und verlor ſich hinter einigen Huͤgeln in
das Land hinein; da ſetzte er ſich nieder und ſah
viele ſchoͤne Blumen um ſich ſtehn. Alle blickten
ihn wie mit freundlichen, lieblichen Augen an, und
er dachte innig an Magelonen, und wie ſie ihn ge-
liebt hatte. Wie kann der Liebende, rief er aus,
ſich nur jemals einſam fuͤhlen? Erinnern mich
nicht dieſe blauen Kelche an ihre holdſeligen Augen,
dieſes goldene Blatt an ihr Haar, die Pracht die-
ſer Lilie und Roſe neben einander, an ihre zarten
Wangen? Iſt es doch, als wenn der Wind in
den Blumen ſich bewegt, und es, wie auf Saiten
verſuchen will, ihren ſuͤßen Namen auszuſprechen;
Quellen und Baͤume nennen ihn, fuͤr die uͤbri-
gen Menſchen unverſtaͤndlich, aber mir laut und
vernehmlich.

Er erinnerte ſich eines Geſanges, den er vor
langer Zeit gedichtet hatte, und wiederholte ihn jetzt:

Suͤß iſts, mit Gedanken gehn,
Die uns zur Geliebten leiten,
Wo von blumbewachsnen Hoͤhn,
Sonnenſtrahlen ſich verbreiten.
Lilien ſagen: unſer Licht
Iſt es, was die Wange ſchmuͤcket;
Unſern Schein die Liebſte blicket:
So das blaue Veilchen ſpricht.
Und mit ſanfter Roͤthe laͤcheln
Roſen ob dem Uebermuth,
Kuͤhle Abendwinde faͤcheln
Durch die liebevolle Gluth.

All
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[384/0395] Erſte Abtheilung. und auch Peter. Er ging durch ein anmuthiges Thal und verlor ſich hinter einigen Huͤgeln in das Land hinein; da ſetzte er ſich nieder und ſah viele ſchoͤne Blumen um ſich ſtehn. Alle blickten ihn wie mit freundlichen, lieblichen Augen an, und er dachte innig an Magelonen, und wie ſie ihn ge- liebt hatte. Wie kann der Liebende, rief er aus, ſich nur jemals einſam fuͤhlen? Erinnern mich nicht dieſe blauen Kelche an ihre holdſeligen Augen, dieſes goldene Blatt an ihr Haar, die Pracht die- ſer Lilie und Roſe neben einander, an ihre zarten Wangen? Iſt es doch, als wenn der Wind in den Blumen ſich bewegt, und es, wie auf Saiten verſuchen will, ihren ſuͤßen Namen auszuſprechen; Quellen und Baͤume nennen ihn, fuͤr die uͤbri- gen Menſchen unverſtaͤndlich, aber mir laut und vernehmlich. Er erinnerte ſich eines Geſanges, den er vor langer Zeit gedichtet hatte, und wiederholte ihn jetzt: Suͤß iſts, mit Gedanken gehn, Die uns zur Geliebten leiten, Wo von blumbewachsnen Hoͤhn, Sonnenſtrahlen ſich verbreiten. Lilien ſagen: unſer Licht Iſt es, was die Wange ſchmuͤcket; Unſern Schein die Liebſte blicket: So das blaue Veilchen ſpricht. Und mit ſanfter Roͤthe laͤcheln Roſen ob dem Uebermuth, Kuͤhle Abendwinde faͤcheln Durch die liebevolle Gluth. All

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/395>, abgerufen am 25.04.2024.