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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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sie zuerst in die Höhe sproßte. So musicirt
jedes Vögelein seine eigenthümlichen Lieder.
Freilich will es unter ihnen auch je zuwei¬
len einer dem andern nach- und zuvorthun;
aber sie verfehlen doch nie so sehr ihren
Weg, wie es dem Menschen nur gar zu oft
geschieht.

So will ich mich denn der Zeit und mir
selber überlassen. Soll ein Künstler, kann
ein edler Mahler aus mir werden, so ge¬
schieht es gewiß; mein Freund Rudolf
lacht täglich über meine unschlüssige Ängst¬
lichkeit, die sich auch nach und nach verliert.
Im reinen Sinne spiegeln sich alle Empfin¬
dungen, und lassen nachher eine Spur zu¬
rück, und selbst was das Gemüth nicht auf¬
bewahrt, nährt heimlicherweise den Sinn
der Kunst und ist nicht verloren. Das trö¬
stet mich und hemmt die Beklemmungen,
die mich sonst nur gar zu oft überwältigten.

ſie zuerſt in die Höhe ſproßte. So muſicirt
jedes Vögelein ſeine eigenthümlichen Lieder.
Freilich will es unter ihnen auch je zuwei¬
len einer dem andern nach- und zuvorthun;
aber ſie verfehlen doch nie ſo ſehr ihren
Weg, wie es dem Menſchen nur gar zu oft
geſchieht.

So will ich mich denn der Zeit und mir
ſelber überlaſſen. Soll ein Künſtler, kann
ein edler Mahler aus mir werden, ſo ge¬
ſchieht es gewiß; mein Freund Rudolf
lacht täglich über meine unſchlüſſige Ängſt¬
lichkeit, die ſich auch nach und nach verliert.
Im reinen Sinne ſpiegeln ſich alle Empfin¬
dungen, und laſſen nachher eine Spur zu¬
rück, und ſelbſt was das Gemüth nicht auf¬
bewahrt, nährt heimlicherweiſe den Sinn
der Kunſt und iſt nicht verloren. Das trö¬
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[12/0020] ſie zuerſt in die Höhe ſproßte. So muſicirt jedes Vögelein ſeine eigenthümlichen Lieder. Freilich will es unter ihnen auch je zuwei¬ len einer dem andern nach- und zuvorthun; aber ſie verfehlen doch nie ſo ſehr ihren Weg, wie es dem Menſchen nur gar zu oft geſchieht. So will ich mich denn der Zeit und mir ſelber überlaſſen. Soll ein Künſtler, kann ein edler Mahler aus mir werden, ſo ge¬ ſchieht es gewiß; mein Freund Rudolf lacht täglich über meine unſchlüſſige Ängſt¬ lichkeit, die ſich auch nach und nach verliert. Im reinen Sinne ſpiegeln ſich alle Empfin¬ dungen, und laſſen nachher eine Spur zu¬ rück, und ſelbſt was das Gemüth nicht auf¬ bewahrt, nährt heimlicherweiſe den Sinn der Kunſt und iſt nicht verloren. Das trö¬ ſtet mich und hemmt die Beklemmungen, die mich ſonſt nur gar zu oft überwältigten.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/20>, abgerufen am 28.03.2024.