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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die sächsische Verfassung.
gaben noch ein Jahr lang forterheben. Ebenso behutsam war auch der
Abschnitt über die Menschenrechte gehalten, der als ein Zugeständniß an
den aufgeklärten Zeitgeist doch nicht ganz fehlen durfte.

König Anton ließ Alles geduldig über sich ergehen. Nur durch die
beiden Artikel, welche die Kirchen der Oberaufsicht des Staates unter-
warfen und die Zulassung der Jesuiten sowie aller anderen geistlichen
Orden für alle Zukunft verboten, fühlte er sich tief verletzt, weil ihre
Fassung ein kränkendes Mißtrauen gegen den katholischen Hof verrieth.
Erst auf das Zureden seines Neffen Johann entschloß er sich, auch diese
Sätze zu genehmigen. Der Prinz war selbst streng gläubiger Katholik
und blieb in seiner Anschauung der deutschen Geschichte den alten habs-
burgisch-albertinischen Traditionen immer treu; doch er wußte auch, was
die Dynastie ihrem hart lutherischen Volke schuldig war, und behandelte
die Kirchenpolitik ohne confessionelle Engherzigkeit. Am 4. September 1831
empfingen die alten Stände aus der Hand des Königs die Verfassungs-
urkunde, und nach dem Vorbilde der Pariser Julifeier wurde nunmehr
alljährlich das Constitutionsfest durch Bürgerparaden, Schmäuse und
jubelnde Reden verherrlicht.

Wie lächerlich auch diese Großsprechereien zuweilen klangen, die ersten
zehn Jahre der neuen Verfassung waren doch unzweifelhaft die glücklich-
sten, welche das Königreich unter dem Deutschen Bunde verlebt hat. Das
nach Fächern gegliederte Staatsministerium, das jetzt die Leitung der ge-
sammten Verwaltung übernahm, war so reich an guten Kräften wie kaum
ein anderes in den deutschen Mittelstaaten und besaß an dem Finanz-
minister v. Zeschau einen staatsmännischen Kopf, der in den großen Ver-
hältnissen des preußischen Dienstes geschult, Lindenau's idealistischen
Schwung durch nüchternen Geschäftssinn ermäßigte. Auch in den anderen
höheren Aemtern wirkten tüchtige Männer, wie Wietersheim, Merbach,
Günther; der alte Reichthum des Landes an Talenten durfte sich jetzt
etwas freier entfalten. Wer schärfer zusah konnte freilich wahrnehmen,
daß die alte kursächsische Adelsoligarchie in milderer Form noch immer
fortbestand. Die Minister gehörten allesammt zu dem engen Kreise jener
alteingesessenen Geschlechter, welche sich seit dreihundert Jahren in die
Regierung zu theilen pflegten. Nur der Cultusminister Müller war bür-
gerlich -- ein märchenhafter Fall im alten Sachsen -- und es blieb fortan
die Regel, daß zur Beschwichtigung der Beamten und der Liberalen von
Zeit zu Zeit ein bürgerlicher Minister ernannt, die wichtigsten Stellen
aber stets dem Adel vorbehalten wurden. Eine der preußischen nachge-
bildete Städteordnung gab der neuen Volksvertretung einen festen Unter-
bau. Im selben Jahre (1832) erschien das musterhafte Gesetz über die
Ablösungen und Gemeinheitstheilungen, das mit den feudalen Lasten weit
gründlicher aufräumte, als es bisher in Preußen gelungen war; nach
Lindenau's Plänen wurde eine Landrentenbank eingerichtet, welche die

Die ſächſiſche Verfaſſung.
gaben noch ein Jahr lang forterheben. Ebenſo behutſam war auch der
Abſchnitt über die Menſchenrechte gehalten, der als ein Zugeſtändniß an
den aufgeklärten Zeitgeiſt doch nicht ganz fehlen durfte.

König Anton ließ Alles geduldig über ſich ergehen. Nur durch die
beiden Artikel, welche die Kirchen der Oberaufſicht des Staates unter-
warfen und die Zulaſſung der Jeſuiten ſowie aller anderen geiſtlichen
Orden für alle Zukunft verboten, fühlte er ſich tief verletzt, weil ihre
Faſſung ein kränkendes Mißtrauen gegen den katholiſchen Hof verrieth.
Erſt auf das Zureden ſeines Neffen Johann entſchloß er ſich, auch dieſe
Sätze zu genehmigen. Der Prinz war ſelbſt ſtreng gläubiger Katholik
und blieb in ſeiner Anſchauung der deutſchen Geſchichte den alten habs-
burgiſch-albertiniſchen Traditionen immer treu; doch er wußte auch, was
die Dynaſtie ihrem hart lutheriſchen Volke ſchuldig war, und behandelte
die Kirchenpolitik ohne confeſſionelle Engherzigkeit. Am 4. September 1831
empfingen die alten Stände aus der Hand des Königs die Verfaſſungs-
urkunde, und nach dem Vorbilde der Pariſer Julifeier wurde nunmehr
alljährlich das Conſtitutionsfeſt durch Bürgerparaden, Schmäuſe und
jubelnde Reden verherrlicht.

Wie lächerlich auch dieſe Großſprechereien zuweilen klangen, die erſten
zehn Jahre der neuen Verfaſſung waren doch unzweifelhaft die glücklich-
ſten, welche das Königreich unter dem Deutſchen Bunde verlebt hat. Das
nach Fächern gegliederte Staatsminiſterium, das jetzt die Leitung der ge-
ſammten Verwaltung übernahm, war ſo reich an guten Kräften wie kaum
ein anderes in den deutſchen Mittelſtaaten und beſaß an dem Finanz-
miniſter v. Zeſchau einen ſtaatsmänniſchen Kopf, der in den großen Ver-
hältniſſen des preußiſchen Dienſtes geſchult, Lindenau’s idealiſtiſchen
Schwung durch nüchternen Geſchäftsſinn ermäßigte. Auch in den anderen
höheren Aemtern wirkten tüchtige Männer, wie Wietersheim, Merbach,
Günther; der alte Reichthum des Landes an Talenten durfte ſich jetzt
etwas freier entfalten. Wer ſchärfer zuſah konnte freilich wahrnehmen,
daß die alte kurſächſiſche Adelsoligarchie in milderer Form noch immer
fortbeſtand. Die Miniſter gehörten alleſammt zu dem engen Kreiſe jener
alteingeſeſſenen Geſchlechter, welche ſich ſeit dreihundert Jahren in die
Regierung zu theilen pflegten. Nur der Cultusminiſter Müller war bür-
gerlich — ein märchenhafter Fall im alten Sachſen — und es blieb fortan
die Regel, daß zur Beſchwichtigung der Beamten und der Liberalen von
Zeit zu Zeit ein bürgerlicher Miniſter ernannt, die wichtigſten Stellen
aber ſtets dem Adel vorbehalten wurden. Eine der preußiſchen nachge-
bildete Städteordnung gab der neuen Volksvertretung einen feſten Unter-
bau. Im ſelben Jahre (1832) erſchien das muſterhafte Geſetz über die
Ablöſungen und Gemeinheitstheilungen, das mit den feudalen Laſten weit
gründlicher aufräumte, als es bisher in Preußen gelungen war; nach
Lindenau’s Plänen wurde eine Landrentenbank eingerichtet, welche die

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[151/0165] Die ſächſiſche Verfaſſung. gaben noch ein Jahr lang forterheben. Ebenſo behutſam war auch der Abſchnitt über die Menſchenrechte gehalten, der als ein Zugeſtändniß an den aufgeklärten Zeitgeiſt doch nicht ganz fehlen durfte. König Anton ließ Alles geduldig über ſich ergehen. Nur durch die beiden Artikel, welche die Kirchen der Oberaufſicht des Staates unter- warfen und die Zulaſſung der Jeſuiten ſowie aller anderen geiſtlichen Orden für alle Zukunft verboten, fühlte er ſich tief verletzt, weil ihre Faſſung ein kränkendes Mißtrauen gegen den katholiſchen Hof verrieth. Erſt auf das Zureden ſeines Neffen Johann entſchloß er ſich, auch dieſe Sätze zu genehmigen. Der Prinz war ſelbſt ſtreng gläubiger Katholik und blieb in ſeiner Anſchauung der deutſchen Geſchichte den alten habs- burgiſch-albertiniſchen Traditionen immer treu; doch er wußte auch, was die Dynaſtie ihrem hart lutheriſchen Volke ſchuldig war, und behandelte die Kirchenpolitik ohne confeſſionelle Engherzigkeit. Am 4. September 1831 empfingen die alten Stände aus der Hand des Königs die Verfaſſungs- urkunde, und nach dem Vorbilde der Pariſer Julifeier wurde nunmehr alljährlich das Conſtitutionsfeſt durch Bürgerparaden, Schmäuſe und jubelnde Reden verherrlicht. Wie lächerlich auch dieſe Großſprechereien zuweilen klangen, die erſten zehn Jahre der neuen Verfaſſung waren doch unzweifelhaft die glücklich- ſten, welche das Königreich unter dem Deutſchen Bunde verlebt hat. Das nach Fächern gegliederte Staatsminiſterium, das jetzt die Leitung der ge- ſammten Verwaltung übernahm, war ſo reich an guten Kräften wie kaum ein anderes in den deutſchen Mittelſtaaten und beſaß an dem Finanz- miniſter v. Zeſchau einen ſtaatsmänniſchen Kopf, der in den großen Ver- hältniſſen des preußiſchen Dienſtes geſchult, Lindenau’s idealiſtiſchen Schwung durch nüchternen Geſchäftsſinn ermäßigte. Auch in den anderen höheren Aemtern wirkten tüchtige Männer, wie Wietersheim, Merbach, Günther; der alte Reichthum des Landes an Talenten durfte ſich jetzt etwas freier entfalten. Wer ſchärfer zuſah konnte freilich wahrnehmen, daß die alte kurſächſiſche Adelsoligarchie in milderer Form noch immer fortbeſtand. Die Miniſter gehörten alleſammt zu dem engen Kreiſe jener alteingeſeſſenen Geſchlechter, welche ſich ſeit dreihundert Jahren in die Regierung zu theilen pflegten. Nur der Cultusminiſter Müller war bür- gerlich — ein märchenhafter Fall im alten Sachſen — und es blieb fortan die Regel, daß zur Beſchwichtigung der Beamten und der Liberalen von Zeit zu Zeit ein bürgerlicher Miniſter ernannt, die wichtigſten Stellen aber ſtets dem Adel vorbehalten wurden. Eine der preußiſchen nachge- bildete Städteordnung gab der neuen Volksvertretung einen feſten Unter- bau. Im ſelben Jahre (1832) erſchien das muſterhafte Geſetz über die Ablöſungen und Gemeinheitstheilungen, das mit den feudalen Laſten weit gründlicher aufräumte, als es bisher in Preußen gelungen war; nach Lindenau’s Plänen wurde eine Landrentenbank eingerichtet, welche die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/165>, abgerufen am 29.03.2024.