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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
Deutschland, daß in dieser Westmark, wo alle Welt des Deutschen Bundes
spottete, mindestens die schwarzweiße Fahne noch verhaßt und gefürchtet
blieb. Der Sohn eines holländischen Generals und bis zum Jahre 1806
selbst holländischer Offizier, war Dumoulin im preußischen Dienste bald
ganz zum Deutschen geworden; er hatte sich in den schweren napoleonischen
Zeiten das Vertrauen Gneisenau's erworben und dann bei der Erhebung
Deutschlands wacker mitgeholfen. Sein neues Amt übernahm er mit
dem Bewußtsein, daß ihm die Grenzhut des Vaterlandes anvertraut sei;
er führte die Geschäfte des Gouvernements, da der Gouverneur, der
tapfere alte Landgraf Ludwig von Hessen-Homburg nach Fürstenbrauch
den größten Theil des Jahres auf Reisen verbrachte, und erschreckte die
Belgier durch seine genaue Kenntniß der niederländischen Verhältnisse,
die Diplomaten des Bundestags durch den soldatischen Freimuth seiner
Berichte.

Und welch ein Aufgabe hatte er zu lösen! Neun Jahre lang blieb
die Festung in beständigem Belagerungszustande, rings von Feinden ein-
geschlossen. Für die Garnison freilich erzwang sich der General den freien
Verkehr mit Trier und dem heimathlichen Hinterlande, aber auch nur für
die Garnison; jeder Waarenballen, der an die Einwohner einging, unterlag
den belgischen Zöllen und wurde von den Zollbeamten der Rebellen mit
berechneter Bosheit mißhandelt. Handel und Wandel stockten gänzlich; die
Wirksamkeit der Rechtspflege endete an den Grenzen des Festungsrayons,
da der Bundestag die Behörden der Belgier nicht anerkannte; selbst der
Postverkehr mit Deutschland hörte auf, und Dumoulin mußte die Briefe
der Einwohner durch seine Ordonnanzen befördern lassen. An die alten
Wälle, die in gewaltigen Zikzaklinien die Felsenthäler der Elze und des
Petrusbachs überragten, wagten sich die Belgier nicht heran; dafür ver-
suchten sie durch schlechte Künste Verrätherei anzuzetteln. Bald mußte
der General einen Belgier, der einen preußischen Soldaten zur Desertion
verleiten wollte, ausprügeln lassen -- was nach Kriegsrecht erlaubt war
und sehr heilsam wirkte -- bald eine Brigade belgischer Zollwächter im
Festungsbezirke gefangen nehmen, bald die Miliz-Aushebungen der Belgier
untersagen oder ihren Holzfreveln steuern. Dazu von hüben und drüben
beständige Versuche Freicorps zu bilden; wiederholte Verhaftungen, heute
von der einen morgen von der anderen Seite angefochten; und ein wider-
wärtiger Briefwechsel mit dem belgischen Militärgouverneur General Tabor
in Arlon, der erst nach scharfen Zurechtweisungen einsah, daß man einen
preußischen General nicht ebenso schnöde behandeln durfte wie den Deutschen
Bund. Aber auch der holländische Civil-Gouverneur in der Festung selbst,
General Gödecke, machte dem tapferen Preußen zu schaffen; er begünstigte
erst unter der Hand die Umtriebe der kleinen oranischen Partei, dann
verlangte er Schonung für die gefangenen Belgier, da sein König noch
immer hoffte die meuterische Provinz durch Güte zu gewinnen; dann for-

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Deutſchland, daß in dieſer Weſtmark, wo alle Welt des Deutſchen Bundes
ſpottete, mindeſtens die ſchwarzweiße Fahne noch verhaßt und gefürchtet
blieb. Der Sohn eines holländiſchen Generals und bis zum Jahre 1806
ſelbſt holländiſcher Offizier, war Dumoulin im preußiſchen Dienſte bald
ganz zum Deutſchen geworden; er hatte ſich in den ſchweren napoleoniſchen
Zeiten das Vertrauen Gneiſenau’s erworben und dann bei der Erhebung
Deutſchlands wacker mitgeholfen. Sein neues Amt übernahm er mit
dem Bewußtſein, daß ihm die Grenzhut des Vaterlandes anvertraut ſei;
er führte die Geſchäfte des Gouvernements, da der Gouverneur, der
tapfere alte Landgraf Ludwig von Heſſen-Homburg nach Fürſtenbrauch
den größten Theil des Jahres auf Reiſen verbrachte, und erſchreckte die
Belgier durch ſeine genaue Kenntniß der niederländiſchen Verhältniſſe,
die Diplomaten des Bundestags durch den ſoldatiſchen Freimuth ſeiner
Berichte.

Und welch ein Aufgabe hatte er zu löſen! Neun Jahre lang blieb
die Feſtung in beſtändigem Belagerungszuſtande, rings von Feinden ein-
geſchloſſen. Für die Garniſon freilich erzwang ſich der General den freien
Verkehr mit Trier und dem heimathlichen Hinterlande, aber auch nur für
die Garniſon; jeder Waarenballen, der an die Einwohner einging, unterlag
den belgiſchen Zöllen und wurde von den Zollbeamten der Rebellen mit
berechneter Bosheit mißhandelt. Handel und Wandel ſtockten gänzlich; die
Wirkſamkeit der Rechtspflege endete an den Grenzen des Feſtungsrayons,
da der Bundestag die Behörden der Belgier nicht anerkannte; ſelbſt der
Poſtverkehr mit Deutſchland hörte auf, und Dumoulin mußte die Briefe
der Einwohner durch ſeine Ordonnanzen befördern laſſen. An die alten
Wälle, die in gewaltigen Zikzaklinien die Felſenthäler der Elze und des
Petrusbachs überragten, wagten ſich die Belgier nicht heran; dafür ver-
ſuchten ſie durch ſchlechte Künſte Verrätherei anzuzetteln. Bald mußte
der General einen Belgier, der einen preußiſchen Soldaten zur Deſertion
verleiten wollte, ausprügeln laſſen — was nach Kriegsrecht erlaubt war
und ſehr heilſam wirkte — bald eine Brigade belgiſcher Zollwächter im
Feſtungsbezirke gefangen nehmen, bald die Miliz-Aushebungen der Belgier
unterſagen oder ihren Holzfreveln ſteuern. Dazu von hüben und drüben
beſtändige Verſuche Freicorps zu bilden; wiederholte Verhaftungen, heute
von der einen morgen von der anderen Seite angefochten; und ein wider-
wärtiger Briefwechſel mit dem belgiſchen Militärgouverneur General Tabor
in Arlon, der erſt nach ſcharfen Zurechtweiſungen einſah, daß man einen
preußiſchen General nicht ebenſo ſchnöde behandeln durfte wie den Deutſchen
Bund. Aber auch der holländiſche Civil-Gouverneur in der Feſtung ſelbſt,
General Gödecke, machte dem tapferen Preußen zu ſchaffen; er begünſtigte
erſt unter der Hand die Umtriebe der kleinen oraniſchen Partei, dann
verlangte er Schonung für die gefangenen Belgier, da ſein König noch
immer hoffte die meuteriſche Provinz durch Güte zu gewinnen; dann for-

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[318/0332] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. Deutſchland, daß in dieſer Weſtmark, wo alle Welt des Deutſchen Bundes ſpottete, mindeſtens die ſchwarzweiße Fahne noch verhaßt und gefürchtet blieb. Der Sohn eines holländiſchen Generals und bis zum Jahre 1806 ſelbſt holländiſcher Offizier, war Dumoulin im preußiſchen Dienſte bald ganz zum Deutſchen geworden; er hatte ſich in den ſchweren napoleoniſchen Zeiten das Vertrauen Gneiſenau’s erworben und dann bei der Erhebung Deutſchlands wacker mitgeholfen. Sein neues Amt übernahm er mit dem Bewußtſein, daß ihm die Grenzhut des Vaterlandes anvertraut ſei; er führte die Geſchäfte des Gouvernements, da der Gouverneur, der tapfere alte Landgraf Ludwig von Heſſen-Homburg nach Fürſtenbrauch den größten Theil des Jahres auf Reiſen verbrachte, und erſchreckte die Belgier durch ſeine genaue Kenntniß der niederländiſchen Verhältniſſe, die Diplomaten des Bundestags durch den ſoldatiſchen Freimuth ſeiner Berichte. Und welch ein Aufgabe hatte er zu löſen! Neun Jahre lang blieb die Feſtung in beſtändigem Belagerungszuſtande, rings von Feinden ein- geſchloſſen. Für die Garniſon freilich erzwang ſich der General den freien Verkehr mit Trier und dem heimathlichen Hinterlande, aber auch nur für die Garniſon; jeder Waarenballen, der an die Einwohner einging, unterlag den belgiſchen Zöllen und wurde von den Zollbeamten der Rebellen mit berechneter Bosheit mißhandelt. Handel und Wandel ſtockten gänzlich; die Wirkſamkeit der Rechtspflege endete an den Grenzen des Feſtungsrayons, da der Bundestag die Behörden der Belgier nicht anerkannte; ſelbſt der Poſtverkehr mit Deutſchland hörte auf, und Dumoulin mußte die Briefe der Einwohner durch ſeine Ordonnanzen befördern laſſen. An die alten Wälle, die in gewaltigen Zikzaklinien die Felſenthäler der Elze und des Petrusbachs überragten, wagten ſich die Belgier nicht heran; dafür ver- ſuchten ſie durch ſchlechte Künſte Verrätherei anzuzetteln. Bald mußte der General einen Belgier, der einen preußiſchen Soldaten zur Deſertion verleiten wollte, ausprügeln laſſen — was nach Kriegsrecht erlaubt war und ſehr heilſam wirkte — bald eine Brigade belgiſcher Zollwächter im Feſtungsbezirke gefangen nehmen, bald die Miliz-Aushebungen der Belgier unterſagen oder ihren Holzfreveln ſteuern. Dazu von hüben und drüben beſtändige Verſuche Freicorps zu bilden; wiederholte Verhaftungen, heute von der einen morgen von der anderen Seite angefochten; und ein wider- wärtiger Briefwechſel mit dem belgiſchen Militärgouverneur General Tabor in Arlon, der erſt nach ſcharfen Zurechtweiſungen einſah, daß man einen preußiſchen General nicht ebenſo ſchnöde behandeln durfte wie den Deutſchen Bund. Aber auch der holländiſche Civil-Gouverneur in der Feſtung ſelbſt, General Gödecke, machte dem tapferen Preußen zu ſchaffen; er begünſtigte erſt unter der Hand die Umtriebe der kleinen oraniſchen Partei, dann verlangte er Schonung für die gefangenen Belgier, da ſein König noch immer hoffte die meuteriſche Provinz durch Güte zu gewinnen; dann for-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/332>, abgerufen am 25.04.2024.