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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Flottwell's Denkschrift.
im Palaste Radziwill umhergetragen wurden, und betheuerte kleinlaut, schon
bisher seien diese Güter auch an polnische Erwerber verkauft worden, was
aber nur in ganz seltenen Ausnahmefällen geschehen war;*) fortan, so
verhieß er, würde jeder Unterschied zwischen den beiden Nationen hinweg-
fallen. Wie sollte solche Nachgiebigkeit auf diese Adelskreise wirken, deren
Damen bei der Verhaftung Dunin's Trauerkleider angelegt hatten um
sie beim Tode des alten Königs schleunigst wieder auszuziehen!

Mittlerweile verließ Flottwell das Großherzogthum und übersandte
dem Monarchen (15. März) noch eine Denkschrift über seine zehnjährige
Verwaltung, ein herrliches Zeugniß für den Freimuth, die Einsicht, die
Thatkraft des alten Beamtenthums. Ganz unumwunden sprach er hier
aus, um der menschlichen Gesittung willen hätte er die deutsche Bildung
befördert, die dem preußischen Staatsleben widerstrebenden polnischen Ge-
wohnheiten zu bekämpfen gesucht; dann schilderte er mit gerechtem
Selbstgefühle, was alles in dieser schönsten Zeit der Posener Landesge-
schichte geleistet worden. Wie nachdrücklich hatte vor wenigen Jahren der
alte König seine getreuen Beamten belobt, als Flottwell ihm nachgewiesen,
die scheinbare Zunahme der Vergehen in der Provinz sei nicht ein Zeichen
wachsender Verwilderung, sondern ein Ergebniß des wachsamen Kampfes,
welchen die neugebildeten dreißig Land- und Stadtgerichte mitsammt den
neuen Distrikts-Commissären wider die polnische Gesetzlosigkeit führten. So
einfach vermochte der Sohn nicht zu handeln; seine Gutherzigkeit und
seine Neigung für das Absonderliche verwickelten ihn stets in Widersprüche,
welche den Verdacht der Falschheit hervorriefen. Er dankte dem scheiden-
den Oberpräsidenten auf's wärmste für den Bericht, wie für seine kräftige
patriotische Verwaltung, und verlieh ihm einen hohen Orden.**) Die pol-
nischen Edelleute murrten, denn Flottwell's Denkschrift ward ihnen, ver-
muthlich aus den befreundeten Hofkreisen, bald verrathen und erschien allen
wie das frechste Selbstbekenntniß deutscher Zwingherrschaft. Doch zur
nämlichen Zeit erklärte Friedrich Wilhelm dem neuen Oberpräsidenten
Grafen Arnim-Boitzenburg seine bestimmte Absicht dies soeben belobte
alte Verwaltungssystem aufzugeben.

Er wünschte womöglich alle Oberpräsidentenstellen der Monarchie
mit vornehmen Grundherren zu besetzen, die nach der Weise englischer
Lordlieutenants den Adel der Landschaft in ihrem gastfreien Hause versammeln
sollten. Da das durchaus in demokratischen Sitten aufgewachsene preu-
ßische Volk wohl dem königlichen Beamten, doch keineswegs dem Edelmanne
Ehrerbietung zu zeigen pflegte, so mußte dieser Plan schon in anderen
Provinzen auf manches Hemmniß stoßen. Um wie viel mehr in Posen,
wo nur der Adel und der Clerus unzuverlässig, die Mehrzahl der kleinen

*) s. o. IV. 558.
**) Cabinetsordre an Flottwell, 11. Mai 1841.

Flottwell’s Denkſchrift.
im Palaſte Radziwill umhergetragen wurden, und betheuerte kleinlaut, ſchon
bisher ſeien dieſe Güter auch an polniſche Erwerber verkauft worden, was
aber nur in ganz ſeltenen Ausnahmefällen geſchehen war;*) fortan, ſo
verhieß er, würde jeder Unterſchied zwiſchen den beiden Nationen hinweg-
fallen. Wie ſollte ſolche Nachgiebigkeit auf dieſe Adelskreiſe wirken, deren
Damen bei der Verhaftung Dunin’s Trauerkleider angelegt hatten um
ſie beim Tode des alten Königs ſchleunigſt wieder auszuziehen!

Mittlerweile verließ Flottwell das Großherzogthum und überſandte
dem Monarchen (15. März) noch eine Denkſchrift über ſeine zehnjährige
Verwaltung, ein herrliches Zeugniß für den Freimuth, die Einſicht, die
Thatkraft des alten Beamtenthums. Ganz unumwunden ſprach er hier
aus, um der menſchlichen Geſittung willen hätte er die deutſche Bildung
befördert, die dem preußiſchen Staatsleben widerſtrebenden polniſchen Ge-
wohnheiten zu bekämpfen geſucht; dann ſchilderte er mit gerechtem
Selbſtgefühle, was alles in dieſer ſchönſten Zeit der Poſener Landesge-
ſchichte geleiſtet worden. Wie nachdrücklich hatte vor wenigen Jahren der
alte König ſeine getreuen Beamten belobt, als Flottwell ihm nachgewieſen,
die ſcheinbare Zunahme der Vergehen in der Provinz ſei nicht ein Zeichen
wachſender Verwilderung, ſondern ein Ergebniß des wachſamen Kampfes,
welchen die neugebildeten dreißig Land- und Stadtgerichte mitſammt den
neuen Diſtrikts-Commiſſären wider die polniſche Geſetzloſigkeit führten. So
einfach vermochte der Sohn nicht zu handeln; ſeine Gutherzigkeit und
ſeine Neigung für das Abſonderliche verwickelten ihn ſtets in Widerſprüche,
welche den Verdacht der Falſchheit hervorriefen. Er dankte dem ſcheiden-
den Oberpräſidenten auf’s wärmſte für den Bericht, wie für ſeine kräftige
patriotiſche Verwaltung, und verlieh ihm einen hohen Orden.**) Die pol-
niſchen Edelleute murrten, denn Flottwell’s Denkſchrift ward ihnen, ver-
muthlich aus den befreundeten Hofkreiſen, bald verrathen und erſchien allen
wie das frechſte Selbſtbekenntniß deutſcher Zwingherrſchaft. Doch zur
nämlichen Zeit erklärte Friedrich Wilhelm dem neuen Oberpräſidenten
Grafen Arnim-Boitzenburg ſeine beſtimmte Abſicht dies ſoeben belobte
alte Verwaltungsſyſtem aufzugeben.

Er wünſchte womöglich alle Oberpräſidentenſtellen der Monarchie
mit vornehmen Grundherren zu beſetzen, die nach der Weiſe engliſcher
Lordlieutenants den Adel der Landſchaft in ihrem gaſtfreien Hauſe verſammeln
ſollten. Da das durchaus in demokratiſchen Sitten aufgewachſene preu-
ßiſche Volk wohl dem königlichen Beamten, doch keineswegs dem Edelmanne
Ehrerbietung zu zeigen pflegte, ſo mußte dieſer Plan ſchon in anderen
Provinzen auf manches Hemmniß ſtoßen. Um wie viel mehr in Poſen,
wo nur der Adel und der Clerus unzuverläſſig, die Mehrzahl der kleinen

*) ſ. o. IV. 558.
**) Cabinetsordre an Flottwell, 11. Mai 1841.
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[149/0163] Flottwell’s Denkſchrift. im Palaſte Radziwill umhergetragen wurden, und betheuerte kleinlaut, ſchon bisher ſeien dieſe Güter auch an polniſche Erwerber verkauft worden, was aber nur in ganz ſeltenen Ausnahmefällen geſchehen war; *) fortan, ſo verhieß er, würde jeder Unterſchied zwiſchen den beiden Nationen hinweg- fallen. Wie ſollte ſolche Nachgiebigkeit auf dieſe Adelskreiſe wirken, deren Damen bei der Verhaftung Dunin’s Trauerkleider angelegt hatten um ſie beim Tode des alten Königs ſchleunigſt wieder auszuziehen! Mittlerweile verließ Flottwell das Großherzogthum und überſandte dem Monarchen (15. März) noch eine Denkſchrift über ſeine zehnjährige Verwaltung, ein herrliches Zeugniß für den Freimuth, die Einſicht, die Thatkraft des alten Beamtenthums. Ganz unumwunden ſprach er hier aus, um der menſchlichen Geſittung willen hätte er die deutſche Bildung befördert, die dem preußiſchen Staatsleben widerſtrebenden polniſchen Ge- wohnheiten zu bekämpfen geſucht; dann ſchilderte er mit gerechtem Selbſtgefühle, was alles in dieſer ſchönſten Zeit der Poſener Landesge- ſchichte geleiſtet worden. Wie nachdrücklich hatte vor wenigen Jahren der alte König ſeine getreuen Beamten belobt, als Flottwell ihm nachgewieſen, die ſcheinbare Zunahme der Vergehen in der Provinz ſei nicht ein Zeichen wachſender Verwilderung, ſondern ein Ergebniß des wachſamen Kampfes, welchen die neugebildeten dreißig Land- und Stadtgerichte mitſammt den neuen Diſtrikts-Commiſſären wider die polniſche Geſetzloſigkeit führten. So einfach vermochte der Sohn nicht zu handeln; ſeine Gutherzigkeit und ſeine Neigung für das Abſonderliche verwickelten ihn ſtets in Widerſprüche, welche den Verdacht der Falſchheit hervorriefen. Er dankte dem ſcheiden- den Oberpräſidenten auf’s wärmſte für den Bericht, wie für ſeine kräftige patriotiſche Verwaltung, und verlieh ihm einen hohen Orden. **) Die pol- niſchen Edelleute murrten, denn Flottwell’s Denkſchrift ward ihnen, ver- muthlich aus den befreundeten Hofkreiſen, bald verrathen und erſchien allen wie das frechſte Selbſtbekenntniß deutſcher Zwingherrſchaft. Doch zur nämlichen Zeit erklärte Friedrich Wilhelm dem neuen Oberpräſidenten Grafen Arnim-Boitzenburg ſeine beſtimmte Abſicht dies ſoeben belobte alte Verwaltungsſyſtem aufzugeben. Er wünſchte womöglich alle Oberpräſidentenſtellen der Monarchie mit vornehmen Grundherren zu beſetzen, die nach der Weiſe engliſcher Lordlieutenants den Adel der Landſchaft in ihrem gaſtfreien Hauſe verſammeln ſollten. Da das durchaus in demokratiſchen Sitten aufgewachſene preu- ßiſche Volk wohl dem königlichen Beamten, doch keineswegs dem Edelmanne Ehrerbietung zu zeigen pflegte, ſo mußte dieſer Plan ſchon in anderen Provinzen auf manches Hemmniß ſtoßen. Um wie viel mehr in Poſen, wo nur der Adel und der Clerus unzuverläſſig, die Mehrzahl der kleinen *) ſ. o. IV. 558. **) Cabinetsordre an Flottwell, 11. Mai 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/163>, abgerufen am 28.03.2024.