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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
Monarch ihnen nach freiem Ermessen vorlegte, unmaßgebliche Rathschläge
ertheilen? Der König meinte unzweifelhaft das Letztere, er dachte nach
seiner patriarchalischen Weise die Preußen erst durch die Schule der Aus-
schuß-Berathungen zu erziehen um ihnen späterhin noch größere ständische
Rechte zu gewähren. Doch wer konnte die Rathschlüsse dieser geheimniß-
vollen Staatskunst ergründen?

Sehr nachdrücklich erklärte sich der Thronfolger wider das Vorhaben
des Königs. Dem klaren Blicke des Prinzen von Preußen entging nicht,
wie unbedacht man das Volk erregte und die Hoffnungen der anwachsen-
den constitutionellen Partei aufstachelte, wenn immer nur Tropfen für
Tropfen kleine Gewährungen aus dem verborgenen Borne königlicher
Gnade herniedersickerten. Ihm lag vornehmlich an einer ruhigen, stätigen
Entwicklung. Darum, so sprach er, solle man nur erst die neuen Aus-
schüsse der einzelnen Provinziallandtage in Wirksamkeit setzen und abwarten
wie sie sich bewährten. Was könne eine verfrühte Berufung der Ver-
einigten Ausschüsse, ohne einen erheblichen Gegenstand der Berathung,
anders bewirken als falsche Erwartungen? Besser also, man verschiebe
die Einberufung bis man wichtige Gesetzentwürfe vorzulegen habe; dann
biete sich von selbst die rechte Gelegenheit, um die lange Reihe der stän-
dischen Versprechungen endlich abzuschließen und ganz bestimmt zu erklären:
"daß das Gebäude der ständischen Einrichtungen hiermit vollendet und eine
weitere Concession nicht zu erwarten sei." Die Meinung des Prinzen
ging demnach dahin, daß die Vereinigten Ausschüsse, nachdem sie einmal
leider durch den Befehl des Königs geschaffen waren, dereinst als die
Versammlung der Reichsstände anerkannt und mit sehr bescheidenen Rechten
ausgestattet werden sollten. In ähnlichem Sinne äußerte sich der zunächst
betheiligte Minister des Innern Graf Arnim. Doch auf die Meinung
der Minister kam in diesen Jahren wenig an. Der Monarch regierte
nicht nur selbst; er verstand auch die Dinge also einzufädeln, daß seine
Rathgeber zumeist vor halbvollendeten Thatsachen standen. So stimmte
auch jetzt die große Mehrzahl der Versammelten dem königlichen Plane
zu, manche mit der bescheidenen Erklärung: der Beschluß Sr. Majestät
stehe ja fest und sei schon in weiteren Kreisen bekannt geworden. General
Boyen meinte mit dem Freimuthe des alten Soldaten: die Vereinigten
Ausschüsse würden immerhin die freiere Entfaltung des ständischen
Lebens fördern und ganz könne sich Preußen dem Einflusse der benachbarten
constitutionellen Staaten nicht mehr entziehen.*)

Eine Cabinetsordre vom 19. August entbot nunmehr die Vereinigten
Ausschüsse zum 18. Oct. nach Berlin. In vieldeutigen Worten, ohne
alle juristische Schärfe ward darin ausgesprochen: die Vereinigung der

*) Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums und der Ständischen Immediat-
commission vom 11. Juni; Arnim an Thile, 12. Juni 1842.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Monarch ihnen nach freiem Ermeſſen vorlegte, unmaßgebliche Rathſchläge
ertheilen? Der König meinte unzweifelhaft das Letztere, er dachte nach
ſeiner patriarchaliſchen Weiſe die Preußen erſt durch die Schule der Aus-
ſchuß-Berathungen zu erziehen um ihnen ſpäterhin noch größere ſtändiſche
Rechte zu gewähren. Doch wer konnte die Rathſchlüſſe dieſer geheimniß-
vollen Staatskunſt ergründen?

Sehr nachdrücklich erklärte ſich der Thronfolger wider das Vorhaben
des Königs. Dem klaren Blicke des Prinzen von Preußen entging nicht,
wie unbedacht man das Volk erregte und die Hoffnungen der anwachſen-
den conſtitutionellen Partei aufſtachelte, wenn immer nur Tropfen für
Tropfen kleine Gewährungen aus dem verborgenen Borne königlicher
Gnade herniederſickerten. Ihm lag vornehmlich an einer ruhigen, ſtätigen
Entwicklung. Darum, ſo ſprach er, ſolle man nur erſt die neuen Aus-
ſchüſſe der einzelnen Provinziallandtage in Wirkſamkeit ſetzen und abwarten
wie ſie ſich bewährten. Was könne eine verfrühte Berufung der Ver-
einigten Ausſchüſſe, ohne einen erheblichen Gegenſtand der Berathung,
anders bewirken als falſche Erwartungen? Beſſer alſo, man verſchiebe
die Einberufung bis man wichtige Geſetzentwürfe vorzulegen habe; dann
biete ſich von ſelbſt die rechte Gelegenheit, um die lange Reihe der ſtän-
diſchen Verſprechungen endlich abzuſchließen und ganz beſtimmt zu erklären:
„daß das Gebäude der ſtändiſchen Einrichtungen hiermit vollendet und eine
weitere Conceſſion nicht zu erwarten ſei.“ Die Meinung des Prinzen
ging demnach dahin, daß die Vereinigten Ausſchüſſe, nachdem ſie einmal
leider durch den Befehl des Königs geſchaffen waren, dereinſt als die
Verſammlung der Reichsſtände anerkannt und mit ſehr beſcheidenen Rechten
ausgeſtattet werden ſollten. In ähnlichem Sinne äußerte ſich der zunächſt
betheiligte Miniſter des Innern Graf Arnim. Doch auf die Meinung
der Miniſter kam in dieſen Jahren wenig an. Der Monarch regierte
nicht nur ſelbſt; er verſtand auch die Dinge alſo einzufädeln, daß ſeine
Rathgeber zumeiſt vor halbvollendeten Thatſachen ſtanden. So ſtimmte
auch jetzt die große Mehrzahl der Verſammelten dem königlichen Plane
zu, manche mit der beſcheidenen Erklärung: der Beſchluß Sr. Majeſtät
ſtehe ja feſt und ſei ſchon in weiteren Kreiſen bekannt geworden. General
Boyen meinte mit dem Freimuthe des alten Soldaten: die Vereinigten
Ausſchüſſe würden immerhin die freiere Entfaltung des ſtändiſchen
Lebens fördern und ganz könne ſich Preußen dem Einfluſſe der benachbarten
conſtitutionellen Staaten nicht mehr entziehen.*)

Eine Cabinetsordre vom 19. Auguſt entbot nunmehr die Vereinigten
Ausſchüſſe zum 18. Oct. nach Berlin. In vieldeutigen Worten, ohne
alle juriſtiſche Schärfe ward darin ausgeſprochen: die Vereinigung der

*) Protokoll der Sitzung des Staatsminiſteriums und der Ständiſchen Immediat-
commiſſion vom 11. Juni; Arnim an Thile, 12. Juni 1842.
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[182/0196] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. Monarch ihnen nach freiem Ermeſſen vorlegte, unmaßgebliche Rathſchläge ertheilen? Der König meinte unzweifelhaft das Letztere, er dachte nach ſeiner patriarchaliſchen Weiſe die Preußen erſt durch die Schule der Aus- ſchuß-Berathungen zu erziehen um ihnen ſpäterhin noch größere ſtändiſche Rechte zu gewähren. Doch wer konnte die Rathſchlüſſe dieſer geheimniß- vollen Staatskunſt ergründen? Sehr nachdrücklich erklärte ſich der Thronfolger wider das Vorhaben des Königs. Dem klaren Blicke des Prinzen von Preußen entging nicht, wie unbedacht man das Volk erregte und die Hoffnungen der anwachſen- den conſtitutionellen Partei aufſtachelte, wenn immer nur Tropfen für Tropfen kleine Gewährungen aus dem verborgenen Borne königlicher Gnade herniederſickerten. Ihm lag vornehmlich an einer ruhigen, ſtätigen Entwicklung. Darum, ſo ſprach er, ſolle man nur erſt die neuen Aus- ſchüſſe der einzelnen Provinziallandtage in Wirkſamkeit ſetzen und abwarten wie ſie ſich bewährten. Was könne eine verfrühte Berufung der Ver- einigten Ausſchüſſe, ohne einen erheblichen Gegenſtand der Berathung, anders bewirken als falſche Erwartungen? Beſſer alſo, man verſchiebe die Einberufung bis man wichtige Geſetzentwürfe vorzulegen habe; dann biete ſich von ſelbſt die rechte Gelegenheit, um die lange Reihe der ſtän- diſchen Verſprechungen endlich abzuſchließen und ganz beſtimmt zu erklären: „daß das Gebäude der ſtändiſchen Einrichtungen hiermit vollendet und eine weitere Conceſſion nicht zu erwarten ſei.“ Die Meinung des Prinzen ging demnach dahin, daß die Vereinigten Ausſchüſſe, nachdem ſie einmal leider durch den Befehl des Königs geſchaffen waren, dereinſt als die Verſammlung der Reichsſtände anerkannt und mit ſehr beſcheidenen Rechten ausgeſtattet werden ſollten. In ähnlichem Sinne äußerte ſich der zunächſt betheiligte Miniſter des Innern Graf Arnim. Doch auf die Meinung der Miniſter kam in dieſen Jahren wenig an. Der Monarch regierte nicht nur ſelbſt; er verſtand auch die Dinge alſo einzufädeln, daß ſeine Rathgeber zumeiſt vor halbvollendeten Thatſachen ſtanden. So ſtimmte auch jetzt die große Mehrzahl der Verſammelten dem königlichen Plane zu, manche mit der beſcheidenen Erklärung: der Beſchluß Sr. Majeſtät ſtehe ja feſt und ſei ſchon in weiteren Kreiſen bekannt geworden. General Boyen meinte mit dem Freimuthe des alten Soldaten: die Vereinigten Ausſchüſſe würden immerhin die freiere Entfaltung des ſtändiſchen Lebens fördern und ganz könne ſich Preußen dem Einfluſſe der benachbarten conſtitutionellen Staaten nicht mehr entziehen. *) Eine Cabinetsordre vom 19. Auguſt entbot nunmehr die Vereinigten Ausſchüſſe zum 18. Oct. nach Berlin. In vieldeutigen Worten, ohne alle juriſtiſche Schärfe ward darin ausgeſprochen: die Vereinigung der *) Protokoll der Sitzung des Staatsminiſteriums und der Ständiſchen Immediat- commiſſion vom 11. Juni; Arnim an Thile, 12. Juni 1842.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/196>, abgerufen am 29.03.2024.