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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
prangte. Dies Testament bezeichnete Schön selbst als sein Lieblingskind,
auf diesen Rechtstitel begründete er vornehmlich seinen historischen Ruhm.
Als er im Jahre 1817 die Bildung eines constitutionellen Ministeriums
vorschlug, wurde dies längst vergessene Aktenstück zum ersten male von
unbekannter Hand in einem liberalen Blatte veröffentlicht*); und bei
einiger Menschenkenntniß durfte man wohl vermuthen, daß auch diesmal,
bei der wiederholten feierlichen Vorführung des Lieblingskindes, jene liberalen
Schriftsteller und jungen Freimaurer, welche jederzeit zu Schön's Ver-
fügung standen, irgendwie mitgewirkt hatten. Die liberale Presse benutzte
natürlich die willkommene Gelegenheit um die undankbare Mitwelt an
die Verdienste des ostpreußischen Staatsmannes zu erinnern; die Polizei-
behörden aber wurden ängstlich und ließen das gefährliche Bild aus den
Buchläden entfernen. Nunmehr sendete Schön dem Könige das Facsimile
der Urkunde, das allerdings bewies, daß er selbst jene Abschiedsworte
Stein's im Wesentlichen verfaßt hatte; in seinem begleitenden Briefe
suchte er den doktrinären, unbestimmten Sätzen des Testamentes einen
möglichst harmlosen Sinn unterzulegen.

So hatte er Alles umsichtig für den Hauptschlag vorbereitet. We-
nige Tage nachher schickte er dem Monarchen eine anonyme Schrift
von sechs Druckseiten: Woher und Wohin? Ihr leitender Gedanke war
entlehnt aus einem Artikel über das Preußenthum, welchen Arnold Ruge
kürzlich unter der Maske "eines Württembergers" in den Deutschen Jahr-
büchern veröffentlicht hatte. Schön hielt diesen Aufsatz für ein Werk von
Strauß und eignete sich daraus die Behauptung an, daß Preußen als
Staat bisher katholisch geblieben sei, von einem politischen Priesterstande
geleitet werde. In starken Zügen führte er aus, der große Friedrich hätte
einst ein "kaum denkfähiges Volk" vorgefunden und durch seine Diener-
schaft zu erziehen gesucht; diese Dienerschaft aber habe sich mit der
Zeit überhoben, insbesondere den Grundadel durch eine unerträgliche Be-
vormundung erbittert, das ganze Volk am Gängelbande geleitet, die Städte-
ordnung wie die Provinzialstände verkümmert, die Landwehr "dem Beam-
ten-Militär" näher gebracht. Deshalb seien die vor dem Volke stehenden
begüterten Männer des Königsberger Landtages aufgetreten, um "General-
Stände" zu fordern, welche einen großen Theil der Verwaltung sich zu-
eignen, die Zahl der Beamten vermindern, Verschwendungen entgegen-
treten, die Landwehr wieder dem Volke annähern, allen Kabalen und
Polizeikünsten ein schnelles Ende bereiten und, kraft ihrer Kenntniß der
Volksverhältnisse, auch die Meinung des Volks stets für sich haben würden.
"Nur durch General-Stände -- so schlossen die Blätter -- kann und wird
in unserem Lande ein öffentliches Leben entstehen und gedeihen ... Wenn
man die Zeit nicht nimmt wie sie ist, und das Gute daraus ergreift und

*) s. o. I. 330. II. 199 ff.

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
prangte. Dies Teſtament bezeichnete Schön ſelbſt als ſein Lieblingskind,
auf dieſen Rechtstitel begründete er vornehmlich ſeinen hiſtoriſchen Ruhm.
Als er im Jahre 1817 die Bildung eines conſtitutionellen Miniſteriums
vorſchlug, wurde dies längſt vergeſſene Aktenſtück zum erſten male von
unbekannter Hand in einem liberalen Blatte veröffentlicht*); und bei
einiger Menſchenkenntniß durfte man wohl vermuthen, daß auch diesmal,
bei der wiederholten feierlichen Vorführung des Lieblingskindes, jene liberalen
Schriftſteller und jungen Freimaurer, welche jederzeit zu Schön’s Ver-
fügung ſtanden, irgendwie mitgewirkt hatten. Die liberale Preſſe benutzte
natürlich die willkommene Gelegenheit um die undankbare Mitwelt an
die Verdienſte des oſtpreußiſchen Staatsmannes zu erinnern; die Polizei-
behörden aber wurden ängſtlich und ließen das gefährliche Bild aus den
Buchläden entfernen. Nunmehr ſendete Schön dem Könige das Facſimile
der Urkunde, das allerdings bewies, daß er ſelbſt jene Abſchiedsworte
Stein’s im Weſentlichen verfaßt hatte; in ſeinem begleitenden Briefe
ſuchte er den doktrinären, unbeſtimmten Sätzen des Teſtamentes einen
möglichſt harmloſen Sinn unterzulegen.

So hatte er Alles umſichtig für den Hauptſchlag vorbereitet. We-
nige Tage nachher ſchickte er dem Monarchen eine anonyme Schrift
von ſechs Druckſeiten: Woher und Wohin? Ihr leitender Gedanke war
entlehnt aus einem Artikel über das Preußenthum, welchen Arnold Ruge
kürzlich unter der Maske „eines Württembergers“ in den Deutſchen Jahr-
büchern veröffentlicht hatte. Schön hielt dieſen Aufſatz für ein Werk von
Strauß und eignete ſich daraus die Behauptung an, daß Preußen als
Staat bisher katholiſch geblieben ſei, von einem politiſchen Prieſterſtande
geleitet werde. In ſtarken Zügen führte er aus, der große Friedrich hätte
einſt ein „kaum denkfähiges Volk“ vorgefunden und durch ſeine Diener-
ſchaft zu erziehen geſucht; dieſe Dienerſchaft aber habe ſich mit der
Zeit überhoben, insbeſondere den Grundadel durch eine unerträgliche Be-
vormundung erbittert, das ganze Volk am Gängelbande geleitet, die Städte-
ordnung wie die Provinzialſtände verkümmert, die Landwehr „dem Beam-
ten-Militär“ näher gebracht. Deshalb ſeien die vor dem Volke ſtehenden
begüterten Männer des Königsberger Landtages aufgetreten, um „General-
Stände“ zu fordern, welche einen großen Theil der Verwaltung ſich zu-
eignen, die Zahl der Beamten vermindern, Verſchwendungen entgegen-
treten, die Landwehr wieder dem Volke annähern, allen Kabalen und
Polizeikünſten ein ſchnelles Ende bereiten und, kraft ihrer Kenntniß der
Volksverhältniſſe, auch die Meinung des Volks ſtets für ſich haben würden.
„Nur durch General-Stände — ſo ſchloſſen die Blätter — kann und wird
in unſerem Lande ein öffentliches Leben entſtehen und gedeihen … Wenn
man die Zeit nicht nimmt wie ſie iſt, und das Gute daraus ergreift und

*) ſ. o. I. 330. II. 199 ff.
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[56/0070] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. prangte. Dies Teſtament bezeichnete Schön ſelbſt als ſein Lieblingskind, auf dieſen Rechtstitel begründete er vornehmlich ſeinen hiſtoriſchen Ruhm. Als er im Jahre 1817 die Bildung eines conſtitutionellen Miniſteriums vorſchlug, wurde dies längſt vergeſſene Aktenſtück zum erſten male von unbekannter Hand in einem liberalen Blatte veröffentlicht *); und bei einiger Menſchenkenntniß durfte man wohl vermuthen, daß auch diesmal, bei der wiederholten feierlichen Vorführung des Lieblingskindes, jene liberalen Schriftſteller und jungen Freimaurer, welche jederzeit zu Schön’s Ver- fügung ſtanden, irgendwie mitgewirkt hatten. Die liberale Preſſe benutzte natürlich die willkommene Gelegenheit um die undankbare Mitwelt an die Verdienſte des oſtpreußiſchen Staatsmannes zu erinnern; die Polizei- behörden aber wurden ängſtlich und ließen das gefährliche Bild aus den Buchläden entfernen. Nunmehr ſendete Schön dem Könige das Facſimile der Urkunde, das allerdings bewies, daß er ſelbſt jene Abſchiedsworte Stein’s im Weſentlichen verfaßt hatte; in ſeinem begleitenden Briefe ſuchte er den doktrinären, unbeſtimmten Sätzen des Teſtamentes einen möglichſt harmloſen Sinn unterzulegen. So hatte er Alles umſichtig für den Hauptſchlag vorbereitet. We- nige Tage nachher ſchickte er dem Monarchen eine anonyme Schrift von ſechs Druckſeiten: Woher und Wohin? Ihr leitender Gedanke war entlehnt aus einem Artikel über das Preußenthum, welchen Arnold Ruge kürzlich unter der Maske „eines Württembergers“ in den Deutſchen Jahr- büchern veröffentlicht hatte. Schön hielt dieſen Aufſatz für ein Werk von Strauß und eignete ſich daraus die Behauptung an, daß Preußen als Staat bisher katholiſch geblieben ſei, von einem politiſchen Prieſterſtande geleitet werde. In ſtarken Zügen führte er aus, der große Friedrich hätte einſt ein „kaum denkfähiges Volk“ vorgefunden und durch ſeine Diener- ſchaft zu erziehen geſucht; dieſe Dienerſchaft aber habe ſich mit der Zeit überhoben, insbeſondere den Grundadel durch eine unerträgliche Be- vormundung erbittert, das ganze Volk am Gängelbande geleitet, die Städte- ordnung wie die Provinzialſtände verkümmert, die Landwehr „dem Beam- ten-Militär“ näher gebracht. Deshalb ſeien die vor dem Volke ſtehenden begüterten Männer des Königsberger Landtages aufgetreten, um „General- Stände“ zu fordern, welche einen großen Theil der Verwaltung ſich zu- eignen, die Zahl der Beamten vermindern, Verſchwendungen entgegen- treten, die Landwehr wieder dem Volke annähern, allen Kabalen und Polizeikünſten ein ſchnelles Ende bereiten und, kraft ihrer Kenntniß der Volksverhältniſſe, auch die Meinung des Volks ſtets für ſich haben würden. „Nur durch General-Stände — ſo ſchloſſen die Blätter — kann und wird in unſerem Lande ein öffentliches Leben entſtehen und gedeihen … Wenn man die Zeit nicht nimmt wie ſie iſt, und das Gute daraus ergreift und *) ſ. o. I. 330. II. 199 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/70>, abgerufen am 28.03.2024.