Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Stärke. Übrigens suchen Sie, mein Herr, mir den ascendant
schon abzulauern: daß Sie sich so sehr schwach gegen mich
stellen, mich so hoch über sich setzen; dadurch machen Sie
mich zum Idole, und sich zum lebenden Menschen, dem es
unter andern auch wohl thut, sich zu sammlen, zu bewundren,
zu fürchten, zu beten. Ist nun der kleine Hausgott nicht
von Gold oder Marmor, und glaubt in seiner gehirnlosen
Brust seiner eignen Anbetung, so wird er sein eigner -- und
noch Andrer Narr. Ich habe mich, in der großen allgemeinen
Weltnoth, einem Gotte ganz gewidmet; und so oft ich
noch gerettet worden bin, so ist es der, der mich gerettet hat,
die Wahrheit. Auch von Ihnen soll sie mich diesmal retten:
denn sie ist's, die mich zwingt, und mir zuredet, aufrichtig
gegen Sie zu sein. Diese Aufrichtigkeit muß Sie beruhigen,
befriedigen und verstummen machen. Oder ich bin wirklich
werth, in einem Kapellchen zu stehen, und die Augen vor mei-
ner eignen Glorie zu schließen. Votre amie la plus bete.

R. L.


An Gustav von Brinckmann.


Falsch, grundfalsch -- angenommen Sie hätten mehr als
Sie wissen daraus gelernt -- daß Sie aus diesem Buch et-
was hätten erfahren können, was Sie nicht wüßten; es müßte
denn Geschichte sein. Falsch, grundfalsch, daß ich die vier
Bände nicht durchlesen werde; denn ich werde gewiß etwas
daraus lernen. Falsch, grundfalsch, daß Sie nicht glauben

an

Stärke. Übrigens ſuchen Sie, mein Herr, mir den ascendant
ſchon abzulauern: daß Sie ſich ſo ſehr ſchwach gegen mich
ſtellen, mich ſo hoch über ſich ſetzen; dadurch machen Sie
mich zum Idole, und ſich zum lebenden Menſchen, dem es
unter andern auch wohl thut, ſich zu ſammlen, zu bewundren,
zu fürchten, zu beten. Iſt nun der kleine Hausgott nicht
von Gold oder Marmor, und glaubt in ſeiner gehirnloſen
Bruſt ſeiner eignen Anbetung, ſo wird er ſein eigner — und
noch Andrer Narr. Ich habe mich, in der großen allgemeinen
Weltnoth, einem Gotte ganz gewidmet; und ſo oft ich
noch gerettet worden bin, ſo iſt es der, der mich gerettet hat,
die Wahrheit. Auch von Ihnen ſoll ſie mich diesmal retten:
denn ſie iſt’s, die mich zwingt, und mir zuredet, aufrichtig
gegen Sie zu ſein. Dieſe Aufrichtigkeit muß Sie beruhigen,
befriedigen und verſtummen machen. Oder ich bin wirklich
werth, in einem Kapellchen zu ſtehen, und die Augen vor mei-
ner eignen Glorie zu ſchließen. Votre amie la plus bête.

R. L.


An Guſtav von Brinckmann.


Falſch, grundfalſch — angenommen Sie hätten mehr als
Sie wiſſen daraus gelernt — daß Sie aus dieſem Buch et-
was hätten erfahren können, was Sie nicht wüßten; es müßte
denn Geſchichte ſein. Falſch, grundfalſch, daß ich die vier
Bände nicht durchleſen werde; denn ich werde gewiß etwas
daraus lernen. Falſch, grundfalſch, daß Sie nicht glauben

an
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="128"/>
Stärke. Übrigens &#x017F;uchen Sie, mein Herr, mir den <hi rendition="#aq">ascendant</hi><lb/>
&#x017F;chon abzulauern: daß Sie &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;chwach gegen mich<lb/>
&#x017F;tellen, mich &#x017F;o hoch über &#x017F;ich &#x017F;etzen; dadurch machen Sie<lb/>
mich zum Idole, und <hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi> zum lebenden Men&#x017F;chen, dem es<lb/>
unter andern auch wohl thut, &#x017F;ich zu &#x017F;ammlen, zu bewundren,<lb/>
zu fürchten, zu beten. I&#x017F;t nun der kleine Hausgott nicht<lb/>
von Gold oder Marmor, und glaubt in &#x017F;einer gehirnlo&#x017F;en<lb/>
Bru&#x017F;t &#x017F;einer eignen Anbetung, &#x017F;o wird er &#x017F;ein eigner &#x2014; und<lb/>
noch Andrer Narr. Ich habe mich, in der großen allgemeinen<lb/>
Weltnoth, <hi rendition="#g">einem</hi> Gotte <hi rendition="#g">ganz</hi> gewidmet; und &#x017F;o <hi rendition="#g">oft</hi> ich<lb/>
noch gerettet worden bin, &#x017F;o i&#x017F;t es der, der mich gerettet hat,<lb/>
die Wahrheit. Auch von Ihnen &#x017F;oll &#x017F;ie mich diesmal retten:<lb/>
denn &#x017F;ie i&#x017F;t&#x2019;s, die mich zwingt, und mir zuredet, aufrichtig<lb/>
gegen Sie zu &#x017F;ein. Die&#x017F;e Aufrichtigkeit muß Sie beruhigen,<lb/>
befriedigen und ver&#x017F;tummen machen. Oder ich bin wirklich<lb/>
werth, in einem Kapellchen zu &#x017F;tehen, und die Augen vor mei-<lb/>
ner eignen Glorie zu &#x017F;chließen. <hi rendition="#aq">Votre amie la plus bête.</hi></p><lb/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et">R. L.</hi> </salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Gu&#x017F;tav von Brinckmann.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 19. März 1795.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Fal&#x017F;ch, grundfal&#x017F;ch &#x2014; angenommen Sie hätten mehr als<lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en daraus gelernt &#x2014; daß Sie aus die&#x017F;em Buch et-<lb/>
was hätten erfahren können, was Sie nicht wüßten; es müßte<lb/>
denn Ge&#x017F;chichte &#x017F;ein. Fal&#x017F;ch, grundfal&#x017F;ch, daß ich die vier<lb/>
Bände nicht durchle&#x017F;en werde; denn ich werde gewiß etwas<lb/>
daraus lernen. Fal&#x017F;ch, grundfal&#x017F;ch, daß Sie nicht glauben<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">an</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0142] Stärke. Übrigens ſuchen Sie, mein Herr, mir den ascendant ſchon abzulauern: daß Sie ſich ſo ſehr ſchwach gegen mich ſtellen, mich ſo hoch über ſich ſetzen; dadurch machen Sie mich zum Idole, und ſich zum lebenden Menſchen, dem es unter andern auch wohl thut, ſich zu ſammlen, zu bewundren, zu fürchten, zu beten. Iſt nun der kleine Hausgott nicht von Gold oder Marmor, und glaubt in ſeiner gehirnloſen Bruſt ſeiner eignen Anbetung, ſo wird er ſein eigner — und noch Andrer Narr. Ich habe mich, in der großen allgemeinen Weltnoth, einem Gotte ganz gewidmet; und ſo oft ich noch gerettet worden bin, ſo iſt es der, der mich gerettet hat, die Wahrheit. Auch von Ihnen ſoll ſie mich diesmal retten: denn ſie iſt’s, die mich zwingt, und mir zuredet, aufrichtig gegen Sie zu ſein. Dieſe Aufrichtigkeit muß Sie beruhigen, befriedigen und verſtummen machen. Oder ich bin wirklich werth, in einem Kapellchen zu ſtehen, und die Augen vor mei- ner eignen Glorie zu ſchließen. Votre amie la plus bête. R. L. An Guſtav von Brinckmann. Berlin, den 19. März 1795. Falſch, grundfalſch — angenommen Sie hätten mehr als Sie wiſſen daraus gelernt — daß Sie aus dieſem Buch et- was hätten erfahren können, was Sie nicht wüßten; es müßte denn Geſchichte ſein. Falſch, grundfalſch, daß ich die vier Bände nicht durchleſen werde; denn ich werde gewiß etwas daraus lernen. Falſch, grundfalſch, daß Sie nicht glauben an

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/142
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/142>, abgerufen am 25.04.2024.