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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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es giebt aber fast keinen reinen; sie haben meist noch Ver-
stand genug, unehrlich zu sein.




Nun weiß ich mit einemmale, warum es mich so empört,
wenn ein Mensch, was ihm ungesund ist, immer wieder ge-
nießt; nicht allein, weil es von der unangenehmsten Wirkung
und thierisch ist; sondern weil es nicht einmal thierisch ist;
die Thiere wissen, was ihnen heilsam ist, und vermeiden das
Gegentheil. Es heißt die Vernunft selbst auf eine thierische
Weise gebrauchen, dieses natürliche Gefühl zu übertäuben und
nicht zu achten.



Die meisten Leute wissen gar nicht, was das ist: Schätzen
und Verehren. Sie bedienen sich aber doch sehr häufig des
Ausdrucks -- und Einer macht den Andern immer irrer; aber
ganz behaglich im Irren. Abscheulich. --



Es schwert beinah auf jedem Menschen eine Verdammniß;
sie begreifen sie aber nicht; sie fühlen sie beinah nicht. Ich
kenne meine, und es thut mir nicht leid. Unheilbar!



Wenn es einem lange schlecht geht, mit Einem Worte, in
einem gewissen Alter, wird man ganz blasirt über Schlechtes
-- wie ich neulich zu P. sagte, -- das sind aber schlechte
Leute, die es über Gutes werden. --



es giebt aber faſt keinen reinen; ſie haben meiſt noch Ver-
ſtand genug, unehrlich zu ſein.




Nun weiß ich mit einemmale, warum es mich ſo empört,
wenn ein Menſch, was ihm ungeſund iſt, immer wieder ge-
nießt; nicht allein, weil es von der unangenehmſten Wirkung
und thieriſch iſt; ſondern weil es nicht einmal thieriſch iſt;
die Thiere wiſſen, was ihnen heilſam iſt, und vermeiden das
Gegentheil. Es heißt die Vernunft ſelbſt auf eine thieriſche
Weiſe gebrauchen, dieſes natürliche Gefühl zu übertäuben und
nicht zu achten.



Die meiſten Leute wiſſen gar nicht, was das iſt: Schätzen
und Verehren. Sie bedienen ſich aber doch ſehr häufig des
Ausdrucks — und Einer macht den Andern immer irrer; aber
ganz behaglich im Irren. Abſcheulich. —



Es ſchwert beinah auf jedem Menſchen eine Verdammniß;
ſie begreifen ſie aber nicht; ſie fühlen ſie beinah nicht. Ich
kenne meine, und es thut mir nicht leid. Unheilbar!



Wenn es einem lange ſchlecht geht, mit Einem Worte, in
einem gewiſſen Alter, wird man ganz blaſirt über Schlechtes
— wie ich neulich zu P. ſagte, — das ſind aber ſchlechte
Leute, die es über Gutes werden. —



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[268/0282] es giebt aber faſt keinen reinen; ſie haben meiſt noch Ver- ſtand genug, unehrlich zu ſein. 1805. Nun weiß ich mit einemmale, warum es mich ſo empört, wenn ein Menſch, was ihm ungeſund iſt, immer wieder ge- nießt; nicht allein, weil es von der unangenehmſten Wirkung und thieriſch iſt; ſondern weil es nicht einmal thieriſch iſt; die Thiere wiſſen, was ihnen heilſam iſt, und vermeiden das Gegentheil. Es heißt die Vernunft ſelbſt auf eine thieriſche Weiſe gebrauchen, dieſes natürliche Gefühl zu übertäuben und nicht zu achten. Die meiſten Leute wiſſen gar nicht, was das iſt: Schätzen und Verehren. Sie bedienen ſich aber doch ſehr häufig des Ausdrucks — und Einer macht den Andern immer irrer; aber ganz behaglich im Irren. Abſcheulich. — Es ſchwert beinah auf jedem Menſchen eine Verdammniß; ſie begreifen ſie aber nicht; ſie fühlen ſie beinah nicht. Ich kenne meine, und es thut mir nicht leid. Unheilbar! Wenn es einem lange ſchlecht geht, mit Einem Worte, in einem gewiſſen Alter, wird man ganz blaſirt über Schlechtes — wie ich neulich zu P. ſagte, — das ſind aber ſchlechte Leute, die es über Gutes werden. —

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/282>, abgerufen am 28.03.2024.