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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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weiß ihm meines Wissens noch keine gedruckte Zeile Dank.
Wer da nicht die Gegend sieht, von der Goethe spricht, dem
fehlt die Camera obscura, von der Jean Paul spricht; und
Goethe hat es so eingerichtet, daß sie wirklich beinahe fehlen
kann, und nur der sie nicht sieht, den man etwa zweimal hin-
tereinander an denselben Ort führen, und ihm einbilden kann,
es seien verschiedene. --


-- Ich dachte, Jean Paul wüßte nichts mehr von mir!
und das bischen, was er wissen könnte, wäre böse! Ich schrieb
ihm zuletzt über die Weiber, die er immer vorkommen läßt,
und verlangte andere. Das, dacht' ich, hätte ihn gebissen!
nämlich mich für dumm und vorwitzig zu halten. Er ist aber
ganz gut. Wie du ihn schilderst -- dick ist er also jetzt?
Daß seine Meinungen sich so biegen, steht hell und klar in
seiner Ästhetik und Levana, schlechte Bücher. Anpochende,
aufhauende Meinungen fürchtet er, und daher imponiren sie
ihm auch. Und da die letzten grade so waren, so fügte er sich
unter, mit zu vieler Liebe, wie ein bestraftes, fürchtendes Kind.
Dabei ist seine Arbeit spinnenartig, und gleich kommt jeder
Vorrath in sein neuestes Gewebe. So hat ihn auch die kühne
Richtung der neumodischen Empfindsamkeit, nach Altmodischem,
als Katholizism u. dgl. erschreckt; und seine kriecht ihr etwas
nach, ihr eignes natürliches Gehege vergessend. Der muß sich
für allein halten, um Original zu bleiben; jedes, viel, alles,
kann er mit dieser Gabe nicht ergreifen. Sein Traum einer
Wahnwitzigen ist göttlich, und seit recht lange mal wieder

weiß ihm meines Wiſſens noch keine gedruckte Zeile Dank.
Wer da nicht die Gegend ſieht, von der Goethe ſpricht, dem
fehlt die Camera obscura, von der Jean Paul ſpricht; und
Goethe hat es ſo eingerichtet, daß ſie wirklich beinahe fehlen
kann, und nur der ſie nicht ſieht, den man etwa zweimal hin-
tereinander an denſelben Ort führen, und ihm einbilden kann,
es ſeien verſchiedene. —


— Ich dachte, Jean Paul wüßte nichts mehr von mir!
und das bischen, was er wiſſen könnte, wäre böſe! Ich ſchrieb
ihm zuletzt über die Weiber, die er immer vorkommen läßt,
und verlangte andere. Das, dacht’ ich, hätte ihn gebiſſen!
nämlich mich für dumm und vorwitzig zu halten. Er iſt aber
ganz gut. Wie du ihn ſchilderſt — dick iſt er alſo jetzt?
Daß ſeine Meinungen ſich ſo biegen, ſteht hell und klar in
ſeiner Äſthetik und Levana, ſchlechte Bücher. Anpochende,
aufhauende Meinungen fürchtet er, und daher imponiren ſie
ihm auch. Und da die letzten grade ſo waren, ſo fügte er ſich
unter, mit zu vieler Liebe, wie ein beſtraftes, fürchtendes Kind.
Dabei iſt ſeine Arbeit ſpinnenartig, und gleich kommt jeder
Vorrath in ſein neueſtes Gewebe. So hat ihn auch die kühne
Richtung der neumodiſchen Empfindſamkeit, nach Altmodiſchem,
als Katholizism u. dgl. erſchreckt; und ſeine kriecht ihr etwas
nach, ihr eignes natürliches Gehege vergeſſend. Der muß ſich
für allein halten, um Original zu bleiben; jedes, viel, alles,
kann er mit dieſer Gabe nicht ergreifen. Sein Traum einer
Wahnwitzigen iſt göttlich, und ſeit recht lange mal wieder

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[367/0381] weiß ihm meines Wiſſens noch keine gedruckte Zeile Dank. Wer da nicht die Gegend ſieht, von der Goethe ſpricht, dem fehlt die Camera obscura, von der Jean Paul ſpricht; und Goethe hat es ſo eingerichtet, daß ſie wirklich beinahe fehlen kann, und nur der ſie nicht ſieht, den man etwa zweimal hin- tereinander an denſelben Ort führen, und ihm einbilden kann, es ſeien verſchiedene. — Den 9. November 1808. — Ich dachte, Jean Paul wüßte nichts mehr von mir! und das bischen, was er wiſſen könnte, wäre böſe! Ich ſchrieb ihm zuletzt über die Weiber, die er immer vorkommen läßt, und verlangte andere. Das, dacht’ ich, hätte ihn gebiſſen! nämlich mich für dumm und vorwitzig zu halten. Er iſt aber ganz gut. Wie du ihn ſchilderſt — dick iſt er alſo jetzt? Daß ſeine Meinungen ſich ſo biegen, ſteht hell und klar in ſeiner Äſthetik und Levana, ſchlechte Bücher. Anpochende, aufhauende Meinungen fürchtet er, und daher imponiren ſie ihm auch. Und da die letzten grade ſo waren, ſo fügte er ſich unter, mit zu vieler Liebe, wie ein beſtraftes, fürchtendes Kind. Dabei iſt ſeine Arbeit ſpinnenartig, und gleich kommt jeder Vorrath in ſein neueſtes Gewebe. So hat ihn auch die kühne Richtung der neumodiſchen Empfindſamkeit, nach Altmodiſchem, als Katholizism u. dgl. erſchreckt; und ſeine kriecht ihr etwas nach, ihr eignes natürliches Gehege vergeſſend. Der muß ſich für allein halten, um Original zu bleiben; jedes, viel, alles, kann er mit dieſer Gabe nicht ergreifen. Sein Traum einer Wahnwitzigen iſt göttlich, und ſeit recht lange mal wieder

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/381>, abgerufen am 28.03.2024.