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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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Spiel oder wie eine den sonst unaufhaltsamen Fortgang der Handlung
unterbrechende Episode oder wie eine zur Ruhe einladende Pause, wie freund-
licher Sonnenstrahl zu den intensiver, unruhiger vorwärtsdrängenden und
darum auch undurchsichtigern Hauptsätzen hinzu oder zwischen sie hinein,
indem es das Gewöhnliche ist, daß die Hauptsätze als der wichtigere und
selbständigere Theil des Ganzen, nachdem ihnen im Trio ein ergänzendes,
milderndes Gegenbild gegenübergestellt worden ist, am Schluß wiederholt
werden, um sie damit eben als das, was sie sind, als die Hauptbestand-
theile, auf welchen vorzugsweise das Gewicht des Ganzen ruht, erscheinen
zu lassen. Auszuschließen ist aber auch die andere Art des Contrastes nicht;
das Trio kann auch als Mittelstück auftreten, in welchem die Bewegung
sich zusammennimmt, steigert und höher anschwillt (wie in dem bemerkens-
werthen zweiten Satz des Menuetttrio der großen Mozart'schen Cdur-Sym-
phonie) oder doch wenigstens ernster, innerlicher, intensiver, gedrungener
wird (wie im Mittelsatze des Scherzo von Beethoven's Adur-Symphonie).
Doch bleibt immer die erstere Art die der Grundidee dieser ganzen Musik-
form entsprechendere; die Bewegtheit mitten in die Ruhe hereingeworfen
hat etwas Unerwartetes, Befremdendes, während die Ruhe eine ihr voraus-
gehende Bewegung naturgemäß ablöst. -- Aus dem Wesen des dreitheili-
gen Tonstücks mit Trio folgt von selbst, daß es wie die Einzelmelodie
ebensowohl selbständig wie als Theil eines größern Ganzen auftreten kann.
Durch das Eine oder Andere wird jedoch an seinem eigenthümlichen Cha-
rakter contrastirender Ergänzung nichts geändert, zu welcher hier das in
§. 780 erwähnte Verhältniß der Gegenbildlichkeit zwischen erstem und zwei-
tem Theile fortgebildet ist.

§. 788.

Den Uebergang von dem durch Anreihung und Combination entstehenden
Tonstück zu dem auf thematischer Ausführung beruhenden bildet die Rondo-
form
. Hier erweitert sich der Hauptgedanke zu einem oder mehrern unterge-
ordneten Uebengedanken, worauf der Hauptgedanke und ihm folgend die Ue-
bengedanken, im Einzelnen verschieden gewendet und erweitert, jedoch mit
Festhaltung der Grundtonart für den erstern, sich mehrmals wiederholen, bis das
Ganze mit ihm oder einem ihn enthaltenden größern Schlußsatz zu Ende geht.

Das Rondo, schon durch seinen Namen sich als Hauptart der cyclischen
Musik charakterisirend, schließt sich sehr nahe an den dreitheiligen Satz mit
Trio an, sofern auch bei diesem die Haupttheile nach dem Trio sich wieder-
holen. Es unterscheidet sich aber von ihm doch wiederum wesentlich dadurch,
daß es nur Einen Hauptgedanken hat und dagegen mehrere Nebengedanken

Spiel oder wie eine den ſonſt unaufhaltſamen Fortgang der Handlung
unterbrechende Epiſode oder wie eine zur Ruhe einladende Pauſe, wie freund-
licher Sonnenſtrahl zu den intenſiver, unruhiger vorwärtsdrängenden und
darum auch undurchſichtigern Hauptſätzen hinzu oder zwiſchen ſie hinein,
indem es das Gewöhnliche iſt, daß die Hauptſätze als der wichtigere und
ſelbſtändigere Theil des Ganzen, nachdem ihnen im Trio ein ergänzendes,
milderndes Gegenbild gegenübergeſtellt worden iſt, am Schluß wiederholt
werden, um ſie damit eben als das, was ſie ſind, als die Hauptbeſtand-
theile, auf welchen vorzugsweiſe das Gewicht des Ganzen ruht, erſcheinen
zu laſſen. Auszuſchließen iſt aber auch die andere Art des Contraſtes nicht;
das Trio kann auch als Mittelſtück auftreten, in welchem die Bewegung
ſich zuſammennimmt, ſteigert und höher anſchwillt (wie in dem bemerkens-
werthen zweiten Satz des Menuetttrio der großen Mozart’ſchen Cdur-Sym-
phonie) oder doch wenigſtens ernſter, innerlicher, intenſiver, gedrungener
wird (wie im Mittelſatze des Scherzo von Beethoven’s Adur-Symphonie).
Doch bleibt immer die erſtere Art die der Grundidee dieſer ganzen Muſik-
form entſprechendere; die Bewegtheit mitten in die Ruhe hereingeworfen
hat etwas Unerwartetes, Befremdendes, während die Ruhe eine ihr voraus-
gehende Bewegung naturgemäß ablöst. — Aus dem Weſen des dreitheili-
gen Tonſtücks mit Trio folgt von ſelbſt, daß es wie die Einzelmelodie
ebenſowohl ſelbſtändig wie als Theil eines größern Ganzen auftreten kann.
Durch das Eine oder Andere wird jedoch an ſeinem eigenthümlichen Cha-
rakter contraſtirender Ergänzung nichts geändert, zu welcher hier das in
§. 780 erwähnte Verhältniß der Gegenbildlichkeit zwiſchen erſtem und zwei-
tem Theile fortgebildet iſt.

§. 788.

Den Uebergang von dem durch Anreihung und Combination entſtehenden
Tonſtück zu dem auf thematiſcher Ausführung beruhenden bildet die Rondo-
form
. Hier erweitert ſich der Hauptgedanke zu einem oder mehrern unterge-
ordneten Uebengedanken, worauf der Hauptgedanke und ihm folgend die Ue-
bengedanken, im Einzelnen verſchieden gewendet und erweitert, jedoch mit
Feſthaltung der Grundtonart für den erſtern, ſich mehrmals wiederholen, bis das
Ganze mit ihm oder einem ihn enthaltenden größern Schlußſatz zu Ende geht.

Das Rondo, ſchon durch ſeinen Namen ſich als Hauptart der cycliſchen
Muſik charakteriſirend, ſchließt ſich ſehr nahe an den dreitheiligen Satz mit
Trio an, ſofern auch bei dieſem die Haupttheile nach dem Trio ſich wieder-
holen. Es unterſcheidet ſich aber von ihm doch wiederum weſentlich dadurch,
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[954/0192] Spiel oder wie eine den ſonſt unaufhaltſamen Fortgang der Handlung unterbrechende Epiſode oder wie eine zur Ruhe einladende Pauſe, wie freund- licher Sonnenſtrahl zu den intenſiver, unruhiger vorwärtsdrängenden und darum auch undurchſichtigern Hauptſätzen hinzu oder zwiſchen ſie hinein, indem es das Gewöhnliche iſt, daß die Hauptſätze als der wichtigere und ſelbſtändigere Theil des Ganzen, nachdem ihnen im Trio ein ergänzendes, milderndes Gegenbild gegenübergeſtellt worden iſt, am Schluß wiederholt werden, um ſie damit eben als das, was ſie ſind, als die Hauptbeſtand- theile, auf welchen vorzugsweiſe das Gewicht des Ganzen ruht, erſcheinen zu laſſen. Auszuſchließen iſt aber auch die andere Art des Contraſtes nicht; das Trio kann auch als Mittelſtück auftreten, in welchem die Bewegung ſich zuſammennimmt, ſteigert und höher anſchwillt (wie in dem bemerkens- werthen zweiten Satz des Menuetttrio der großen Mozart’ſchen Cdur-Sym- phonie) oder doch wenigſtens ernſter, innerlicher, intenſiver, gedrungener wird (wie im Mittelſatze des Scherzo von Beethoven’s Adur-Symphonie). Doch bleibt immer die erſtere Art die der Grundidee dieſer ganzen Muſik- form entſprechendere; die Bewegtheit mitten in die Ruhe hereingeworfen hat etwas Unerwartetes, Befremdendes, während die Ruhe eine ihr voraus- gehende Bewegung naturgemäß ablöst. — Aus dem Weſen des dreitheili- gen Tonſtücks mit Trio folgt von ſelbſt, daß es wie die Einzelmelodie ebenſowohl ſelbſtändig wie als Theil eines größern Ganzen auftreten kann. Durch das Eine oder Andere wird jedoch an ſeinem eigenthümlichen Cha- rakter contraſtirender Ergänzung nichts geändert, zu welcher hier das in §. 780 erwähnte Verhältniß der Gegenbildlichkeit zwiſchen erſtem und zwei- tem Theile fortgebildet iſt. §. 788. Den Uebergang von dem durch Anreihung und Combination entſtehenden Tonſtück zu dem auf thematiſcher Ausführung beruhenden bildet die Rondo- form. Hier erweitert ſich der Hauptgedanke zu einem oder mehrern unterge- ordneten Uebengedanken, worauf der Hauptgedanke und ihm folgend die Ue- bengedanken, im Einzelnen verſchieden gewendet und erweitert, jedoch mit Feſthaltung der Grundtonart für den erſtern, ſich mehrmals wiederholen, bis das Ganze mit ihm oder einem ihn enthaltenden größern Schlußſatz zu Ende geht. Das Rondo, ſchon durch ſeinen Namen ſich als Hauptart der cycliſchen Muſik charakteriſirend, ſchließt ſich ſehr nahe an den dreitheiligen Satz mit Trio an, ſofern auch bei dieſem die Haupttheile nach dem Trio ſich wieder- holen. Es unterſcheidet ſich aber von ihm doch wiederum weſentlich dadurch, daß es nur Einen Hauptgedanken hat und dagegen mehrere Nebengedanken

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 954. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/192>, abgerufen am 19.04.2024.