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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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elementarische Tonkräfte bei, welche in ihrer Art ähnlich wie die Orgel der
Tonmasse einen Zusatz des Durchschlagenden, Uebergreifenden, des höchst-
möglichen Stärkegrades und Klangreichthums verleihen, mit dem eine
Empfindung ausgesprochen werden soll.

§. 807.

In der Instrumentalmusik treten die Instrumente entweder monodisch oder
mehrstimmig oder allstimmig auf, d. h. entweder als Einzelstimmen, theils
unbegleitet, theils begleitet, oder verbunden zu kleinern oder größern Gruppen
theils gleicher, theils gemischter Gattung, oder endlich vereinigt zu einem Ganzen
der Instrumente, zum Orchester, das wenigstens die wichtigsten Gattungen der-
selben umschließt, so daß mit ihm ein voller Chor von Instrumenten, in welchem
alle Instrumentalkräfte zusammenwirken, gegeben ist, -- Solo-, mehr-
stimmiger, Orchestersatz
.

In §. 795 ist bemerkt, daß bei der Eintheilung der Instrumentalmusik
die formellen Theilungsprinzipien vorwiegen, weil ihr eigenthümliches Ge-
biet eben die freie Formenmannigfaltigkeit ist. Schon §. 805 und 806
enthalten mittelbar zugleich eine Seite dieser formellen Eintheilung, indem
die Lehre von den Charakteren und Klangfarben der verschiedenen Instrumente
bereits verschiedene Gattungen und Arten von Instrumentalmusik, Rohrbläser-
und Blechmusik, Saiten- und Streichorganmusik, Flöten-, Horn-, Violinen-,
Clavier- und Orgelmusik u. s. w. begründen. Hier nun wird die Gliederung
weiter, nach dem Gesichtspunkt der Ein- und Mehrstimmigkeit, fortgesetzt,
und zwar hat sich diese Theilung an die in §. 805 und 806 enthaltene
deßwegen unmittelbar anzuschließen, weil die mit ihr sich ergebende Com-
bination verschiedener Instrumente und verschiedener Instrumentengattungen
selbst wieder neue Gestaltungen der Tonbewegung, der Klangkraft und der
Klangfarbe erzeugt, ganz in derselben Weise, wie die Instrumente überhaupt
zur Menschenstimme hinzutreten als Organe neuer, in dieser noch nicht
gegebener Formen theils der Bewegung, theils der dynamischen Wirkung,
theils eigenthümlicher Klangqualitäten (§. 805). Bei der Vocalmusik war
die Sache einfacher; dort konnte sogleich zu den concreten Gattungen
des monodischen oder mehrstimmigen Lieds, der Arie, der mehrstimmigen
Solosätze, des Chors u. s. w. fortgegangen werden, weil diese Gattungen
einfach daraus erwachsen, daß die Einzelstimme für sich oder mit andern
zusammen auftritt. Hier aber verhält es sich anders; zwischen die Betrach-
tung der concreten Gattungen, Instrumentallied, Tanz, Marsch, Concert,
Symphonie u. s. w. und die Betrachtung der verschiedenen Instrumenten-
arten müssen wir hier einschieben die Erörterung der verschiedenen Com-

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elementariſche Tonkräfte bei, welche in ihrer Art ähnlich wie die Orgel der
Tonmaſſe einen Zuſatz des Durchſchlagenden, Uebergreifenden, des höchſt-
möglichen Stärkegrades und Klangreichthums verleihen, mit dem eine
Empfindung ausgeſprochen werden ſoll.

§. 807.

In der Inſtrumentalmuſik treten die Inſtrumente entweder monodiſch oder
mehrſtimmig oder allſtimmig auf, d. h. entweder als Einzelſtimmen, theils
unbegleitet, theils begleitet, oder verbunden zu kleinern oder größern Gruppen
theils gleicher, theils gemiſchter Gattung, oder endlich vereinigt zu einem Ganzen
der Inſtrumente, zum Orcheſter, das wenigſtens die wichtigſten Gattungen der-
ſelben umſchließt, ſo daß mit ihm ein voller Chor von Inſtrumenten, in welchem
alle Inſtrumentalkräfte zuſammenwirken, gegeben iſt, — Solo-, mehr-
ſtimmiger, Orcheſterſatz
.

In §. 795 iſt bemerkt, daß bei der Eintheilung der Inſtrumentalmuſik
die formellen Theilungsprinzipien vorwiegen, weil ihr eigenthümliches Ge-
biet eben die freie Formenmannigfaltigkeit iſt. Schon §. 805 und 806
enthalten mittelbar zugleich eine Seite dieſer formellen Eintheilung, indem
die Lehre von den Charakteren und Klangfarben der verſchiedenen Inſtrumente
bereits verſchiedene Gattungen und Arten von Inſtrumentalmuſik, Rohrbläſer-
und Blechmuſik, Saiten- und Streichorganmuſik, Flöten-, Horn-, Violinen-,
Clavier- und Orgelmuſik u. ſ. w. begründen. Hier nun wird die Gliederung
weiter, nach dem Geſichtspunkt der Ein- und Mehrſtimmigkeit, fortgeſetzt,
und zwar hat ſich dieſe Theilung an die in §. 805 und 806 enthaltene
deßwegen unmittelbar anzuſchließen, weil die mit ihr ſich ergebende Com-
bination verſchiedener Inſtrumente und verſchiedener Inſtrumentengattungen
ſelbſt wieder neue Geſtaltungen der Tonbewegung, der Klangkraft und der
Klangfarbe erzeugt, ganz in derſelben Weiſe, wie die Inſtrumente überhaupt
zur Menſchenſtimme hinzutreten als Organe neuer, in dieſer noch nicht
gegebener Formen theils der Bewegung, theils der dynamiſchen Wirkung,
theils eigenthümlicher Klangqualitäten (§. 805). Bei der Vocalmuſik war
die Sache einfacher; dort konnte ſogleich zu den concreten Gattungen
des monodiſchen oder mehrſtimmigen Lieds, der Arie, der mehrſtimmigen
Soloſätze, des Chors u. ſ. w. fortgegangen werden, weil dieſe Gattungen
einfach daraus erwachſen, daß die Einzelſtimme für ſich oder mit andern
zuſammen auftritt. Hier aber verhält es ſich anders; zwiſchen die Betrach-
tung der concreten Gattungen, Inſtrumentallied, Tanz, Marſch, Concert,
Symphonie u. ſ. w. und die Betrachtung der verſchiedenen Inſtrumenten-
arten müſſen wir hier einſchieben die Erörterung der verſchiedenen Com-

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[1049/0287] elementariſche Tonkräfte bei, welche in ihrer Art ähnlich wie die Orgel der Tonmaſſe einen Zuſatz des Durchſchlagenden, Uebergreifenden, des höchſt- möglichen Stärkegrades und Klangreichthums verleihen, mit dem eine Empfindung ausgeſprochen werden ſoll. §. 807. In der Inſtrumentalmuſik treten die Inſtrumente entweder monodiſch oder mehrſtimmig oder allſtimmig auf, d. h. entweder als Einzelſtimmen, theils unbegleitet, theils begleitet, oder verbunden zu kleinern oder größern Gruppen theils gleicher, theils gemiſchter Gattung, oder endlich vereinigt zu einem Ganzen der Inſtrumente, zum Orcheſter, das wenigſtens die wichtigſten Gattungen der- ſelben umſchließt, ſo daß mit ihm ein voller Chor von Inſtrumenten, in welchem alle Inſtrumentalkräfte zuſammenwirken, gegeben iſt, — Solo-, mehr- ſtimmiger, Orcheſterſatz. In §. 795 iſt bemerkt, daß bei der Eintheilung der Inſtrumentalmuſik die formellen Theilungsprinzipien vorwiegen, weil ihr eigenthümliches Ge- biet eben die freie Formenmannigfaltigkeit iſt. Schon §. 805 und 806 enthalten mittelbar zugleich eine Seite dieſer formellen Eintheilung, indem die Lehre von den Charakteren und Klangfarben der verſchiedenen Inſtrumente bereits verſchiedene Gattungen und Arten von Inſtrumentalmuſik, Rohrbläſer- und Blechmuſik, Saiten- und Streichorganmuſik, Flöten-, Horn-, Violinen-, Clavier- und Orgelmuſik u. ſ. w. begründen. Hier nun wird die Gliederung weiter, nach dem Geſichtspunkt der Ein- und Mehrſtimmigkeit, fortgeſetzt, und zwar hat ſich dieſe Theilung an die in §. 805 und 806 enthaltene deßwegen unmittelbar anzuſchließen, weil die mit ihr ſich ergebende Com- bination verſchiedener Inſtrumente und verſchiedener Inſtrumentengattungen ſelbſt wieder neue Geſtaltungen der Tonbewegung, der Klangkraft und der Klangfarbe erzeugt, ganz in derſelben Weiſe, wie die Inſtrumente überhaupt zur Menſchenſtimme hinzutreten als Organe neuer, in dieſer noch nicht gegebener Formen theils der Bewegung, theils der dynamiſchen Wirkung, theils eigenthümlicher Klangqualitäten (§. 805). Bei der Vocalmuſik war die Sache einfacher; dort konnte ſogleich zu den concreten Gattungen des monodiſchen oder mehrſtimmigen Lieds, der Arie, der mehrſtimmigen Soloſätze, des Chors u. ſ. w. fortgegangen werden, weil dieſe Gattungen einfach daraus erwachſen, daß die Einzelſtimme für ſich oder mit andern zuſammen auftritt. Hier aber verhält es ſich anders; zwiſchen die Betrach- tung der concreten Gattungen, Inſtrumentallied, Tanz, Marſch, Concert, Symphonie u. ſ. w. und die Betrachtung der verſchiedenen Inſtrumenten- arten müſſen wir hier einſchieben die Erörterung der verſchiedenen Com- 68*

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1049. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/287>, abgerufen am 29.03.2024.