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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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welt handelt, so ist stets hierauf die wesentlichste Rücksicht zu nehmen
und es gilt hier mehr als bei allen anderen Gesichtspunkten der
Wissenschaft der Satz, daß man Charaktere und Thatsachen nicht
zählen, sondern wägen müsse. Eine Aufzählung der Ordnungen,
Familien, Gattungen und Arten, wie sie in historischer Reihenfolge
erschienen, ist deßhalb stets äußerst verdienstlich, die daraus gezogenen
numerischen Zusammenstellungen aber immer insofern fehlerhaft, als
die der Zerstörung unterworfenen Thiere einen unbekannten Faktor
in die Rechnung bringen und außerdem die Größen, welche man ver-
gleicht, keine adäquate Bedeutung haben, da eine Familie in der einen
Klasse oft einen ganz anderen Werth haben kann, als eine Ordnung
in einer anderen und zudem die Meinung der einzelnen Forscher über
den gegenseitigen Werth der Thiergruppen auf das breiteste auseinan-
der gehen.

Faßt man, abgesehen von den Schwierigkeiten, welche die Abgrän-
zung der einzelnen Gesteinformationen und damit der historischen Erd-
epochen dem Geologen bietet, die Bevölkerung der Erde zu einer ge-
wissen Zeit in das Auge, so ergibt sich stets eine gewisse Gruppirung,
die in mancher Beziehung mit derjenigen der Faunen auf der Erde
einige Aehnlichkeit hat. So wie hier weit auseinander liegende Ge-
genden gänzlich verschiedene Arten und Gruppen besitzen, während
näher aneinander gränzende eine gewisse Gleichförmigkeit gewahren
lassen, so zeigen sich auch fern von einander liegende Erdepochen in
auffallender Verschiedenheit, während näher liegende einen gewissen
gleichförmigen Anstrich haben. Daß die Thierbevölkerung im Laufe
der Erdentwicklung sich mannigfach geändert habe, kann keinem Zweifel
unterworfen sein; -- in welchem Sinne dies geschehen sei, ob in fort-
schreitender Entwicklung, ob rückschreitend, darüber sind die Meinun-
gen noch immer getheilt.

Jedenfalls steht fest, daß die jedesmalige Thierbevölkerung auch
dem Zustande der Erde vollkommen entsprach und diesem ebenso ange-
paßt war, als die jetzige Schöpfung ihrer Umgebung. So sehen wir
denn auch in den ersten Belebungszeiten, wo nur geringe Theile des
jetzigen Festlandes aus dem fast die ganze Erde bedeckenden Wasser
hervorragten, nur Wasserthiere, aber keine luftathmenden Geschöpfe
und erst nach und nach erblicken wir mit dem fortschreitenden Empor-
tauchen des festen Landes auch eine zunehmende Ausbildung der luft-
athmenden Thiere. Schon diese Thatsache ist von größter Wichtigkeit.

welt handelt, ſo iſt ſtets hierauf die weſentlichſte Rückſicht zu nehmen
und es gilt hier mehr als bei allen anderen Geſichtspunkten der
Wiſſenſchaft der Satz, daß man Charaktere und Thatſachen nicht
zählen, ſondern wägen müſſe. Eine Aufzählung der Ordnungen,
Familien, Gattungen und Arten, wie ſie in hiſtoriſcher Reihenfolge
erſchienen, iſt deßhalb ſtets äußerſt verdienſtlich, die daraus gezogenen
numeriſchen Zuſammenſtellungen aber immer inſofern fehlerhaft, als
die der Zerſtörung unterworfenen Thiere einen unbekannten Faktor
in die Rechnung bringen und außerdem die Größen, welche man ver-
gleicht, keine adäquate Bedeutung haben, da eine Familie in der einen
Klaſſe oft einen ganz anderen Werth haben kann, als eine Ordnung
in einer anderen und zudem die Meinung der einzelnen Forſcher über
den gegenſeitigen Werth der Thiergruppen auf das breiteſte auseinan-
der gehen.

Faßt man, abgeſehen von den Schwierigkeiten, welche die Abgrän-
zung der einzelnen Geſteinformationen und damit der hiſtoriſchen Erd-
epochen dem Geologen bietet, die Bevölkerung der Erde zu einer ge-
wiſſen Zeit in das Auge, ſo ergibt ſich ſtets eine gewiſſe Gruppirung,
die in mancher Beziehung mit derjenigen der Faunen auf der Erde
einige Aehnlichkeit hat. So wie hier weit auseinander liegende Ge-
genden gänzlich verſchiedene Arten und Gruppen beſitzen, während
näher aneinander gränzende eine gewiſſe Gleichförmigkeit gewahren
laſſen, ſo zeigen ſich auch fern von einander liegende Erdepochen in
auffallender Verſchiedenheit, während näher liegende einen gewiſſen
gleichförmigen Anſtrich haben. Daß die Thierbevölkerung im Laufe
der Erdentwicklung ſich mannigfach geändert habe, kann keinem Zweifel
unterworfen ſein; — in welchem Sinne dies geſchehen ſei, ob in fort-
ſchreitender Entwicklung, ob rückſchreitend, darüber ſind die Meinun-
gen noch immer getheilt.

Jedenfalls ſteht feſt, daß die jedesmalige Thierbevölkerung auch
dem Zuſtande der Erde vollkommen entſprach und dieſem ebenſo ange-
paßt war, als die jetzige Schöpfung ihrer Umgebung. So ſehen wir
denn auch in den erſten Belebungszeiten, wo nur geringe Theile des
jetzigen Feſtlandes aus dem faſt die ganze Erde bedeckenden Waſſer
hervorragten, nur Waſſerthiere, aber keine luftathmenden Geſchöpfe
und erſt nach und nach erblicken wir mit dem fortſchreitenden Empor-
tauchen des feſten Landes auch eine zunehmende Ausbildung der luft-
athmenden Thiere. Schon dieſe Thatſache iſt von größter Wichtigkeit.

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[592/0598] welt handelt, ſo iſt ſtets hierauf die weſentlichſte Rückſicht zu nehmen und es gilt hier mehr als bei allen anderen Geſichtspunkten der Wiſſenſchaft der Satz, daß man Charaktere und Thatſachen nicht zählen, ſondern wägen müſſe. Eine Aufzählung der Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten, wie ſie in hiſtoriſcher Reihenfolge erſchienen, iſt deßhalb ſtets äußerſt verdienſtlich, die daraus gezogenen numeriſchen Zuſammenſtellungen aber immer inſofern fehlerhaft, als die der Zerſtörung unterworfenen Thiere einen unbekannten Faktor in die Rechnung bringen und außerdem die Größen, welche man ver- gleicht, keine adäquate Bedeutung haben, da eine Familie in der einen Klaſſe oft einen ganz anderen Werth haben kann, als eine Ordnung in einer anderen und zudem die Meinung der einzelnen Forſcher über den gegenſeitigen Werth der Thiergruppen auf das breiteſte auseinan- der gehen. Faßt man, abgeſehen von den Schwierigkeiten, welche die Abgrän- zung der einzelnen Geſteinformationen und damit der hiſtoriſchen Erd- epochen dem Geologen bietet, die Bevölkerung der Erde zu einer ge- wiſſen Zeit in das Auge, ſo ergibt ſich ſtets eine gewiſſe Gruppirung, die in mancher Beziehung mit derjenigen der Faunen auf der Erde einige Aehnlichkeit hat. So wie hier weit auseinander liegende Ge- genden gänzlich verſchiedene Arten und Gruppen beſitzen, während näher aneinander gränzende eine gewiſſe Gleichförmigkeit gewahren laſſen, ſo zeigen ſich auch fern von einander liegende Erdepochen in auffallender Verſchiedenheit, während näher liegende einen gewiſſen gleichförmigen Anſtrich haben. Daß die Thierbevölkerung im Laufe der Erdentwicklung ſich mannigfach geändert habe, kann keinem Zweifel unterworfen ſein; — in welchem Sinne dies geſchehen ſei, ob in fort- ſchreitender Entwicklung, ob rückſchreitend, darüber ſind die Meinun- gen noch immer getheilt. Jedenfalls ſteht feſt, daß die jedesmalige Thierbevölkerung auch dem Zuſtande der Erde vollkommen entſprach und dieſem ebenſo ange- paßt war, als die jetzige Schöpfung ihrer Umgebung. So ſehen wir denn auch in den erſten Belebungszeiten, wo nur geringe Theile des jetzigen Feſtlandes aus dem faſt die ganze Erde bedeckenden Waſſer hervorragten, nur Waſſerthiere, aber keine luftathmenden Geſchöpfe und erſt nach und nach erblicken wir mit dem fortſchreitenden Empor- tauchen des feſten Landes auch eine zunehmende Ausbildung der luft- athmenden Thiere. Schon dieſe Thatſache iſt von größter Wichtigkeit.

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/598>, abgerufen am 29.03.2024.