Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

immer nicht an die Geschichte ketten, weil ihm
gar zu winzig und unbedeutend schien, was die
vergangenen Jahrhunderte vollbracht hatten.

Nachdem er lange in sich verschlossen gewesen
war, eilte er an einem schönen Sommerabend
zu Ini. Sie hatte den kleinen Marmorsaal in
ihrem Hause zum Aufenthalt während der Tages¬
hitze bestimmt. Hier strömte ein Springbrunnen
geläutert Quellwasser, der andere gepreßten Oran¬
gensaft, der dritte Zuckeressenz aus mancherlei
Wurzeln des Gartens gezogen. Einen niedlichen
Goldbecher mit Sorbeth, aus den Flüssigkeiten
gemengt, in der Hand, stieg nun Ini auf das
platte Marmordach, wo aus Vasen Blumen
dufteten und ihr Webestuhl sich befand. Sie malte
fertig und bei der kunstvollen Einrichtung des
Stuhles ahmte sie ihre Malereien in Seiden¬
arbeit nach. Wo blieben die Gobelintapeten,
lange zuvor berühmt, neben diesen Geweben!

Guido kam ihr nach auf die Zinne. Mädchen,
rief er, seit ich dich sah, bin ich erkrankt und
genesen, die Lüge wird mir Wahrheit, die Wahr¬
heit Lüge, immer drängt es mich, dich zu sehn
wie das Sehenswerteste, und ich fliehe dich wie
das Furchtbarste. Ich bin in des Aetna Tiefe

immer nicht an die Geſchichte ketten, weil ihm
gar zu winzig und unbedeutend ſchien, was die
vergangenen Jahrhunderte vollbracht hatten.

Nachdem er lange in ſich verſchloſſen geweſen
war, eilte er an einem ſchoͤnen Sommerabend
zu Ini. Sie hatte den kleinen Marmorſaal in
ihrem Hauſe zum Aufenthalt waͤhrend der Tages¬
hitze beſtimmt. Hier ſtroͤmte ein Springbrunnen
gelaͤutert Quellwaſſer, der andere gepreßten Oran¬
genſaft, der dritte Zuckereſſenz aus mancherlei
Wurzeln des Gartens gezogen. Einen niedlichen
Goldbecher mit Sorbeth, aus den Fluͤſſigkeiten
gemengt, in der Hand, ſtieg nun Ini auf das
platte Marmordach, wo aus Vaſen Blumen
dufteten und ihr Webeſtuhl ſich befand. Sie malte
fertig und bei der kunſtvollen Einrichtung des
Stuhles ahmte ſie ihre Malereien in Seiden¬
arbeit nach. Wo blieben die Gobelintapeten,
lange zuvor beruͤhmt, neben dieſen Geweben!

Guido kam ihr nach auf die Zinne. Maͤdchen,
rief er, ſeit ich dich ſah, bin ich erkrankt und
geneſen, die Luͤge wird mir Wahrheit, die Wahr¬
heit Luͤge, immer draͤngt es mich, dich zu ſehn
wie das Sehenswerteſte, und ich fliehe dich wie
das Furchtbarſte. Ich bin in des Aetna Tiefe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0021" n="9"/>
immer nicht an die Ge&#x017F;chichte ketten, weil ihm<lb/>
gar zu winzig und unbedeutend &#x017F;chien, was die<lb/>
vergangenen Jahrhunderte vollbracht hatten.</p><lb/>
          <p>Nachdem er lange in &#x017F;ich ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en gewe&#x017F;en<lb/>
war, eilte er an einem &#x017F;cho&#x0364;nen Sommerabend<lb/>
zu Ini. Sie hatte den kleinen Marmor&#x017F;aal in<lb/>
ihrem Hau&#x017F;e zum Aufenthalt wa&#x0364;hrend der Tages¬<lb/>
hitze be&#x017F;timmt. Hier &#x017F;tro&#x0364;mte ein Springbrunnen<lb/>
gela&#x0364;utert Quellwa&#x017F;&#x017F;er, der andere gepreßten Oran¬<lb/>
gen&#x017F;aft, der dritte Zuckere&#x017F;&#x017F;enz aus mancherlei<lb/>
Wurzeln des Gartens gezogen. Einen niedlichen<lb/>
Goldbecher mit Sorbeth, aus den Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeiten<lb/>
gemengt, in der Hand, &#x017F;tieg nun Ini auf das<lb/>
platte Marmordach, wo aus Va&#x017F;en Blumen<lb/>
dufteten und ihr Webe&#x017F;tuhl &#x017F;ich befand. Sie malte<lb/>
fertig und bei der kun&#x017F;tvollen Einrichtung des<lb/>
Stuhles ahmte &#x017F;ie ihre Malereien in Seiden¬<lb/>
arbeit nach. Wo blieben die Gobelintapeten,<lb/>
lange zuvor beru&#x0364;hmt, neben die&#x017F;en Geweben!</p><lb/>
          <p>Guido kam ihr nach auf die Zinne. Ma&#x0364;dchen,<lb/>
rief er, &#x017F;eit ich dich &#x017F;ah, bin ich erkrankt und<lb/>
gene&#x017F;en, die Lu&#x0364;ge wird mir Wahrheit, die Wahr¬<lb/>
heit Lu&#x0364;ge, immer dra&#x0364;ngt es mich, dich zu &#x017F;ehn<lb/>
wie das Sehenswerte&#x017F;te, und ich fliehe dich wie<lb/>
das Furchtbar&#x017F;te. Ich bin in des Aetna Tiefe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0021] immer nicht an die Geſchichte ketten, weil ihm gar zu winzig und unbedeutend ſchien, was die vergangenen Jahrhunderte vollbracht hatten. Nachdem er lange in ſich verſchloſſen geweſen war, eilte er an einem ſchoͤnen Sommerabend zu Ini. Sie hatte den kleinen Marmorſaal in ihrem Hauſe zum Aufenthalt waͤhrend der Tages¬ hitze beſtimmt. Hier ſtroͤmte ein Springbrunnen gelaͤutert Quellwaſſer, der andere gepreßten Oran¬ genſaft, der dritte Zuckereſſenz aus mancherlei Wurzeln des Gartens gezogen. Einen niedlichen Goldbecher mit Sorbeth, aus den Fluͤſſigkeiten gemengt, in der Hand, ſtieg nun Ini auf das platte Marmordach, wo aus Vaſen Blumen dufteten und ihr Webeſtuhl ſich befand. Sie malte fertig und bei der kunſtvollen Einrichtung des Stuhles ahmte ſie ihre Malereien in Seiden¬ arbeit nach. Wo blieben die Gobelintapeten, lange zuvor beruͤhmt, neben dieſen Geweben! Guido kam ihr nach auf die Zinne. Maͤdchen, rief er, ſeit ich dich ſah, bin ich erkrankt und geneſen, die Luͤge wird mir Wahrheit, die Wahr¬ heit Luͤge, immer draͤngt es mich, dich zu ſehn wie das Sehenswerteſte, und ich fliehe dich wie das Furchtbarſte. Ich bin in des Aetna Tiefe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/21
Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/21>, abgerufen am 29.03.2024.