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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Jch wußte nicht, was er wollte mit diesem
Blick, als er sagte: Jst ja doch das Land noch
schön, wie vor drey Jahrtausenden, als an den lor-
beerbeschatteten Ufern man die Blumen pflückte
zum Brautkranz für die schöne Helena, und auf
dem Taygetos die Opferflammen brannten dem ge-
feyerten Gotte!

Dann ward er wieder ein wenig still, und
sagte endlich: Folge mir in meine Wohnung. Jch
folgte schweigend.

Unterwegs erzählt' ich mein früheres Leben.
Der Alte ward immer heiterer, fiel mir wieder in
die Arme, rief: du mußt bey mir bleiben!

Wir wandelten so unsern Weg. Unvermerkt
stand ich unter hohen Felswänden, die ein sinsterer
Geist in regellosem Wurf gestaltet zu haben schien.
Aus verwobenem Myrthengesträuch sprudelt' eine
frische Quelle und wandelte mit melodischem Mur-
meln durch die Felsen.

Jm Schatten hoher Eypressen und Lorbeer-
bäume stand ein freundlich Häuschen, auf dem der
beruhigte Blick sich erhohlte von den wilden Gestal-
ten der Felsklippen.

Jch wußte nicht, was er wollte mit dieſem
Blick, als er ſagte: Jſt ja doch das Land noch
ſchoͤn, wie vor drey Jahrtauſenden, als an den lor-
beerbeſchatteten Ufern man die Blumen pfluͤckte
zum Brautkranz fuͤr die ſchoͤne Helena, und auf
dem Taygetos die Opferflammen brannten dem ge-
feyerten Gotte!

Dann ward er wieder ein wenig ſtill, und
ſagte endlich: Folge mir in meine Wohnung. Jch
folgte ſchweigend.

Unterwegs erzaͤhlt’ ich mein fruͤheres Leben.
Der Alte ward immer heiterer, fiel mir wieder in
die Arme, rief: du mußt bey mir bleiben!

Wir wandelten ſo unſern Weg. Unvermerkt
ſtand ich unter hohen Felswaͤnden, die ein ſinſterer
Geiſt in regelloſem Wurf geſtaltet zu haben ſchien.
Aus verwobenem Myrthengeſtraͤuch ſprudelt’ eine
friſche Quelle und wandelte mit melodiſchem Mur-
meln durch die Felſen.

Jm Schatten hoher Eypreſſen und Lorbeer-
baͤume ſtand ein freundlich Haͤuschen, auf dem der
beruhigte Blick ſich erhohlte von den wilden Geſtal-
ten der Felsklippen.

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[34/0034] Jch wußte nicht, was er wollte mit dieſem Blick, als er ſagte: Jſt ja doch das Land noch ſchoͤn, wie vor drey Jahrtauſenden, als an den lor- beerbeſchatteten Ufern man die Blumen pfluͤckte zum Brautkranz fuͤr die ſchoͤne Helena, und auf dem Taygetos die Opferflammen brannten dem ge- feyerten Gotte! Dann ward er wieder ein wenig ſtill, und ſagte endlich: Folge mir in meine Wohnung. Jch folgte ſchweigend. Unterwegs erzaͤhlt’ ich mein fruͤheres Leben. Der Alte ward immer heiterer, fiel mir wieder in die Arme, rief: du mußt bey mir bleiben! Wir wandelten ſo unſern Weg. Unvermerkt ſtand ich unter hohen Felswaͤnden, die ein ſinſterer Geiſt in regelloſem Wurf geſtaltet zu haben ſchien. Aus verwobenem Myrthengeſtraͤuch ſprudelt’ eine friſche Quelle und wandelte mit melodiſchem Mur- meln durch die Felſen. Jm Schatten hoher Eypreſſen und Lorbeer- baͤume ſtand ein freundlich Haͤuschen, auf dem der beruhigte Blick ſich erhohlte von den wilden Geſtal- ten der Felsklippen.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/34>, abgerufen am 28.03.2024.