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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Der Alte sah mich an, und sagte dumpf: Jhr
Leib liegt unter diesem Hügel, ihre Seele ist bey
Gott.

Jch stürzte besinnungslos über den Hügel.
Der Alte hob mich auf und sprach finster: Du
kommst vom Grabe deines Vaterlandes und ver-
zweifelst am Grabe deines Weibes?

Jch verstand ihn, aber umsonst. Vaterland
und Weib waren mir Eins geworden.

Wo ist mein Kind, rief ich jetzt von neuem
schaudernd. Es lebt, erwiederte Hilarion. Cäcilie
trat aus dem Hause, brachte mir mein Kind.

Ach erlaßt mir, zu erzählen, wie meine Theo-
ne starb! ... Albanier mordeten sie: ich darf, ich
kann nicht weiter sagen.

Den andern Morgen fand ich den Alten nicht
im Bett. Jch eilte ans Fenster: er saß auf Theo-
nens Grabhügel. Jch stürzte auf ihn zu, er hatte
nur noch wenige Kräfte: sein Leben war wie die
balderlöschende Lampe.

Jch sank zu seinen Füßen. Er sprach: Mein
Leben ist zu Ende. Meiner Träume schönster war,

Der Alte ſah mich an, und ſagte dumpf: Jhr
Leib liegt unter dieſem Huͤgel, ihre Seele iſt bey
Gott.

Jch ſtuͤrzte beſinnungslos uͤber den Huͤgel.
Der Alte hob mich auf und ſprach finſter: Du
kommſt vom Grabe deines Vaterlandes und ver-
zweifelſt am Grabe deines Weibes?

Jch verſtand ihn, aber umſonſt. Vaterland
und Weib waren mir Eins geworden.

Wo iſt mein Kind, rief ich jetzt von neuem
ſchaudernd. Es lebt, erwiederte Hilarion. Caͤcilie
trat aus dem Hauſe, brachte mir mein Kind.

Ach erlaßt mir, zu erzaͤhlen, wie meine Theo-
ne ſtarb! … Albanier mordeten ſie: ich darf, ich
kann nicht weiter ſagen.

Den andern Morgen fand ich den Alten nicht
im Bett. Jch eilte ans Fenſter: er ſaß auf Theo-
nens Grabhuͤgel. Jch ſtuͤrzte auf ihn zu, er hatte
nur noch wenige Kraͤfte: ſein Leben war wie die
balderloͤſchende Lampe.

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Leben iſt zu Ende. Meiner Traͤume ſchoͤnſter war,

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[47/0047] Der Alte ſah mich an, und ſagte dumpf: Jhr Leib liegt unter dieſem Huͤgel, ihre Seele iſt bey Gott. Jch ſtuͤrzte beſinnungslos uͤber den Huͤgel. Der Alte hob mich auf und ſprach finſter: Du kommſt vom Grabe deines Vaterlandes und ver- zweifelſt am Grabe deines Weibes? Jch verſtand ihn, aber umſonſt. Vaterland und Weib waren mir Eins geworden. Wo iſt mein Kind, rief ich jetzt von neuem ſchaudernd. Es lebt, erwiederte Hilarion. Caͤcilie trat aus dem Hauſe, brachte mir mein Kind. Ach erlaßt mir, zu erzaͤhlen, wie meine Theo- ne ſtarb! … Albanier mordeten ſie: ich darf, ich kann nicht weiter ſagen. Den andern Morgen fand ich den Alten nicht im Bett. Jch eilte ans Fenſter: er ſaß auf Theo- nens Grabhuͤgel. Jch ſtuͤrzte auf ihn zu, er hatte nur noch wenige Kraͤfte: ſein Leben war wie die balderloͤſchende Lampe. Jch ſank zu ſeinen Fuͤßen. Er ſprach: Mein Leben iſt zu Ende. Meiner Traͤume ſchoͤnſter war,

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/47>, abgerufen am 29.03.2024.