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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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gegen den Demagogen als homo novus, die Überzeugung von
der Überlegenheit parteipolitischer "Erfahrung" - die nun
einmal auch tatsächlich von erheblicher Bedeutung ist - und die
ideologische Besorgnis vor dem Zerbrechen der alten Partei-
traditionen bestimmen ihr Handeln. Und in der Partei haben
sie alle traditionalistischen Elemente für sich. Vor allem der
ländliche, aber auch der kleinbürgerliche Wähler sieht auf den
ihm von alters her vertrauten Honoratiorennamen und mißtraut
dem ihm unbekannten Mann, um freilich, wenn dieser einmal
den Erfolg für sich gehabt hat, nun ihm um so uner-
schütterlicher anzuhängen. Sehen wir uns an einigen Haupt-
beispielen dieses Ringen der beiden Strukturformen und das
namentlich von Ostrogorski geschilderte Hochkommen der ple-
biszitären Form einmal an.

Zunächst England: dort war die Parteiorganisation bis 1868
eine fast reine Honoratioren-Organisation. Die Tories stützten
sich auf dem Lande etwa auf den anglikanischen Pfarrer,
daneben - meist - den Schulmeister und vor allem die Groß-
besitzer der betreffenden county, die Whigs meist auf solche
Leute wie den nonconformistischen Prediger (wo es ihn gab),
den Posthalter, Schmied, Schneider, Seiler, solche Handwerker
also, von denen - weil man mit ihnen am meisten plaudern
kann - politischer Einfluß ausgehen konnte. Jn der Stadt
schieden sich die Parteien teils nach ökonomischen, teils nach
religiösen, teils einfach nach in den Familien überkommenen
Parteimeinungen. Jmmer aber waren Honoratioren die Träger
des politischen Betriebes. Darüber schwebte das Parlament
und die Parteien mit dem Kabinett und mit dem "leader",
der der Vorsitzende des Ministerrates oder der Opposition
war. Dieser leader hatte neben sich die wichtigste berufs-
politische Persönlichkeit der Parteiorganisation: den "Ein-
peitscher" (whip). Jn seinen Händen lag die Ämterpatronage;
an ihn hatten sich also die Stellenjäger zu wenden, er benahm
sich darüber mit den Deputierten der einzelnen Wahlkreise. Jn
diesen begann sich langsam eine Berufspolitikerschicht zu ent-
wickeln, indem lokale Agenten geworben wurden, die zunächst
unbezahlt waren und ungefähr die Stellung unserer "Ver-

gegen den Demagogen als homo novus, die Überzeugung von
der Überlegenheit parteipolitiſcher „Erfahrung“ – die nun
einmal auch tatsächlich von erheblicher Bedeutung iſt – und die
ideologiſche Beſorgnis vor dem Zerbrechen der alten Partei-
traditionen beſtimmen ihr Handeln. Und in der Partei haben
ſie alle traditionaliſtiſchen Elemente für ſich. Vor allem der
ländliche, aber auch der kleinbürgerliche Wähler ſieht auf den
ihm von alters her vertrauten Honoratiorennamen und mißtraut
dem ihm unbekannten Mann, um freilich, wenn dieſer einmal
den Erfolg für ſich gehabt hat, nun ihm um ſo uner-
ſchütterlicher anzuhängen. Sehen wir uns an einigen Haupt-
beiſpielen dieſes Ringen der beiden Strukturformen und das
namentlich von Oſtrogorſki geſchilderte Hochkommen der ple-
biszitären Form einmal an.

Zunächſt England: dort war die Parteiorganiſation bis 1868
eine faſt reine Honoratioren-Organiſation. Die Tories ſtützten
ſich auf dem Lande etwa auf den anglikaniſchen Pfarrer,
daneben – meiſt – den Schulmeiſter und vor allem die Groß-
beſitzer der betreffenden county, die Whigs meiſt auf ſolche
Leute wie den nonconformiſtiſchen Prediger (wo es ihn gab),
den Poſthalter, Schmied, Schneider, Seiler, ſolche Handwerker
alſo, von denen – weil man mit ihnen am meiſten plaudern
kann – politiſcher Einfluß ausgehen konnte. Jn der Stadt
ſchieden ſich die Parteien teils nach ökonomiſchen, teils nach
religiöſen, teils einfach nach in den Familien überkommenen
Parteimeinungen. Jmmer aber waren Honoratioren die Träger
des politiſchen Betriebes. Darüber ſchwebte das Parlament
und die Parteien mit dem Kabinett und mit dem „leader“,
der der Vorſitzende des Miniſterrates oder der Oppoſition
war. Dieſer leader hatte neben ſich die wichtigſte berufs-
politiſche Perſönlichkeit der Parteiorganiſation: den „Ein-
peitſcher“ (whip). Jn ſeinen Händen lag die Ämterpatronage;
an ihn hatten ſich alſo die Stellenjäger zu wenden, er benahm
ſich darüber mit den Deputierten der einzelnen Wahlkreiſe. Jn
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[36/0036] gegen den Demagogen als homo novus, die Überzeugung von der Überlegenheit parteipolitiſcher „Erfahrung“ – die nun einmal auch tatsächlich von erheblicher Bedeutung iſt – und die ideologiſche Beſorgnis vor dem Zerbrechen der alten Partei- traditionen beſtimmen ihr Handeln. Und in der Partei haben ſie alle traditionaliſtiſchen Elemente für ſich. Vor allem der ländliche, aber auch der kleinbürgerliche Wähler ſieht auf den ihm von alters her vertrauten Honoratiorennamen und mißtraut dem ihm unbekannten Mann, um freilich, wenn dieſer einmal den Erfolg für ſich gehabt hat, nun ihm um ſo uner- ſchütterlicher anzuhängen. Sehen wir uns an einigen Haupt- beiſpielen dieſes Ringen der beiden Strukturformen und das namentlich von Oſtrogorſki geſchilderte Hochkommen der ple- biszitären Form einmal an. Zunächſt England: dort war die Parteiorganiſation bis 1868 eine faſt reine Honoratioren-Organiſation. Die Tories ſtützten ſich auf dem Lande etwa auf den anglikaniſchen Pfarrer, daneben – meiſt – den Schulmeiſter und vor allem die Groß- beſitzer der betreffenden county, die Whigs meiſt auf ſolche Leute wie den nonconformiſtiſchen Prediger (wo es ihn gab), den Poſthalter, Schmied, Schneider, Seiler, ſolche Handwerker alſo, von denen – weil man mit ihnen am meiſten plaudern kann – politiſcher Einfluß ausgehen konnte. Jn der Stadt ſchieden ſich die Parteien teils nach ökonomiſchen, teils nach religiöſen, teils einfach nach in den Familien überkommenen Parteimeinungen. Jmmer aber waren Honoratioren die Träger des politiſchen Betriebes. Darüber ſchwebte das Parlament und die Parteien mit dem Kabinett und mit dem „leader“, der der Vorſitzende des Miniſterrates oder der Oppoſition war. Dieſer leader hatte neben ſich die wichtigſte berufs- politiſche Perſönlichkeit der Parteiorganiſation: den „Ein- peitſcher“ (whip). Jn ſeinen Händen lag die Ämterpatronage; an ihn hatten ſich alſo die Stellenjäger zu wenden, er benahm ſich darüber mit den Deputierten der einzelnen Wahlkreiſe. Jn dieſen begann ſich langſam eine Berufspolitikerſchicht zu ent- wickeln, indem lokale Agenten geworben wurden, die zunächſt unbezahlt waren und ungefähr die Stellung unſerer „Ver-

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/36>, abgerufen am 25.04.2024.