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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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Maschine hatte sehr bald Kämpfe mit den bisherigen Macht-
habern zu führen, vor allem mit dem whip, bestand aber, ge-
stützt auf die lokalen Jnteressenten, den Kampf derart siegreich,
daß der whip sich fügen und mit ihr paktieren mußte. Das
Resultat war eine Zentralisation der ganzen Gewalt in der
Hand der wenigen und letztlich der einen Person, die an der
Spitze der Partei stand. Denn in der liberalen Partei war
das ganze System aufgekommen in Verbindung mit dem Empor-
steigen Gladstones zur Macht. Das Faszinierende der Glad-
stoneschen "großen" Demagogie, der feste Glaube der Massen
an den ethischen Gehalt seiner Politik und vor allem an den
ethischen Charakter seiner Persönlichkeit war es, der diese
Maschine so schnell zum Siege über die Honoratioren führte.
Ein cäsaristisch-plebiszitäres Element in der Politik: der Diktator
des Wahlschlachtfeldes, trat auf den Plan. Das äußerte sich
sehr bald. 1877 wurde der Caucus zum erstenmal bei den
staatlichen Wahlen tätig. Mit glänzendem Erfolg: Disraelis
Sturz mitten in seinen großen Erfolgen war das Resultat.
1866 war die Maschine bereits derart vollständig charismatisch
an der Person orientiert, daß, als die Home-rule-Frage auf-
gerollt wurde, der ganze Apparat von oben bis unten nicht
fragte: Stehen wir sachlich auf dem Boden Gladstones?, sondern
einfach auf das Wort Gladstones mit ihm abschwenkte und
sagte: Was er tut, wir folgen ihm - und seinen eigenen
Schöpfer, Chamberlain, im Stich ließ.

Diese Maschinerie bedarf eines erheblichen Personenapparates.
Es sind immerhin wohl 2000 Personen in England, die direkt
von der Politik der Parteien leben. Sehr viel zahlreicher
sind freilich diejenigen, die rein als Stellenjäger oder als Jnter-
essenten in der Politik mitwirken, namentlich innerhalb der
Gemeindepolitik. Neben den ökonomischen Chancen stehen für
den brauchbaren Caucus-Politiker Eitelkeitschancen. "J. P."
oder gar "M. P." zu werden, ist naturgemäß Streben des
höchsten (normalen) Ehrgeizes, und solchen Leuten, die eine
gute Kinderstube aufzuweisen hatten, "gentlemen" waren,
wird das zuteil. Als Höchstes winkte, insbesondere für große
Geldmäzenaten - die Finanzen der Parteien beruhten zu

Maſchine hatte ſehr bald Kämpfe mit den bisherigen Macht-
habern zu führen, vor allem mit dem whip, beſtand aber, ge-
ſtützt auf die lokalen Jntereſſenten, den Kampf derart ſiegreich,
daß der whip ſich fügen und mit ihr paktieren mußte. Das
Reſultat war eine Zentraliſation der ganzen Gewalt in der
Hand der wenigen und letztlich der einen Perſon, die an der
Spitze der Partei ſtand. Denn in der liberalen Partei war
das ganze Syſtem aufgekommen in Verbindung mit dem Empor-
ſteigen Gladſtones zur Macht. Das Faszinierende der Glad-
ſtoneſchen „großen“ Demagogie, der feſte Glaube der Maſſen
an den ethiſchen Gehalt ſeiner Politik und vor allem an den
ethiſchen Charakter ſeiner Perſönlichkeit war es, der dieſe
Maſchine ſo ſchnell zum Siege über die Honoratioren führte.
Ein cäſariſtiſch-plebiszitäres Element in der Politik: der Diktator
des Wahlſchlachtfeldes, trat auf den Plan. Das äußerte ſich
ſehr bald. 1877 wurde der Caucus zum erſtenmal bei den
ſtaatlichen Wahlen tätig. Mit glänzendem Erfolg: Disraelis
Sturz mitten in ſeinen großen Erfolgen war das Reſultat.
1866 war die Maſchine bereits derart vollſtändig charismatiſch
an der Perſon orientiert, daß, als die Home-rule-Frage auf-
gerollt wurde, der ganze Apparat von oben bis unten nicht
fragte: Stehen wir ſachlich auf dem Boden Gladſtones?, ſondern
einfach auf das Wort Gladſtones mit ihm abſchwenkte und
ſagte: Was er tut, wir folgen ihm – und ſeinen eigenen
Schöpfer, Chamberlain, im Stich ließ.

Dieſe Maſchinerie bedarf eines erheblichen Perſonenapparates.
Es ſind immerhin wohl 2000 Perſonen in England, die direkt
von der Politik der Parteien leben. Sehr viel zahlreicher
ſind freilich diejenigen, die rein als Stellenjäger oder als Jnter-
eſſenten in der Politik mitwirken, namentlich innerhalb der
Gemeindepolitik. Neben den ökonomiſchen Chancen ſtehen für
den brauchbaren Caucus-Politiker Eitelkeitſchancen. „J. P.“
oder gar „M. P.“ zu werden, iſt naturgemäß Streben des
höchſten (normalen) Ehrgeizes, und ſolchen Leuten, die eine
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[38/0038] Maſchine hatte ſehr bald Kämpfe mit den bisherigen Macht- habern zu führen, vor allem mit dem whip, beſtand aber, ge- ſtützt auf die lokalen Jntereſſenten, den Kampf derart ſiegreich, daß der whip ſich fügen und mit ihr paktieren mußte. Das Reſultat war eine Zentraliſation der ganzen Gewalt in der Hand der wenigen und letztlich der einen Perſon, die an der Spitze der Partei ſtand. Denn in der liberalen Partei war das ganze Syſtem aufgekommen in Verbindung mit dem Empor- ſteigen Gladſtones zur Macht. Das Faszinierende der Glad- ſtoneſchen „großen“ Demagogie, der feſte Glaube der Maſſen an den ethiſchen Gehalt ſeiner Politik und vor allem an den ethiſchen Charakter ſeiner Perſönlichkeit war es, der dieſe Maſchine ſo ſchnell zum Siege über die Honoratioren führte. Ein cäſariſtiſch-plebiszitäres Element in der Politik: der Diktator des Wahlſchlachtfeldes, trat auf den Plan. Das äußerte ſich ſehr bald. 1877 wurde der Caucus zum erſtenmal bei den ſtaatlichen Wahlen tätig. Mit glänzendem Erfolg: Disraelis Sturz mitten in ſeinen großen Erfolgen war das Reſultat. 1866 war die Maſchine bereits derart vollſtändig charismatiſch an der Perſon orientiert, daß, als die Home-rule-Frage auf- gerollt wurde, der ganze Apparat von oben bis unten nicht fragte: Stehen wir ſachlich auf dem Boden Gladſtones?, ſondern einfach auf das Wort Gladſtones mit ihm abſchwenkte und ſagte: Was er tut, wir folgen ihm – und ſeinen eigenen Schöpfer, Chamberlain, im Stich ließ. Dieſe Maſchinerie bedarf eines erheblichen Perſonenapparates. Es ſind immerhin wohl 2000 Perſonen in England, die direkt von der Politik der Parteien leben. Sehr viel zahlreicher ſind freilich diejenigen, die rein als Stellenjäger oder als Jnter- eſſenten in der Politik mitwirken, namentlich innerhalb der Gemeindepolitik. Neben den ökonomiſchen Chancen ſtehen für den brauchbaren Caucus-Politiker Eitelkeitſchancen. „J. P.“ oder gar „M. P.“ zu werden, iſt naturgemäß Streben des höchſten (normalen) Ehrgeizes, und ſolchen Leuten, die eine gute Kinderſtube aufzuweiſen hatten, «gentlemen» waren, wird das zuteil. Als Höchſtes winkte, insbeſondere für große Geldmäzenaten – die Finanzen der Parteien beruhten zu

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/38>, abgerufen am 29.03.2024.