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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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nicht ausgenommen, zahlreiche Namen nennen, die Tragödien
der politischen Laufbahn bedeuteten, weil der Betreffende Führer-
qualitäten hatte und um eben deswillen von den Honoratioren
nicht geduldet wurde. Diesen Weg der Entwicklung zur
Honoratiorenzunft sind alle unsere Parteien gegangen. Bebel
z. B. war noch ein Führer, dem Temperament und der Lauter-
keit des Charakters nach, so bescheiden sein Jntellekt war.
Die Tatsache, daß er Märtyrer war, daß er das Vertrauen
der Massen niemals täuschte (in deren Augen), hatte zur Folge,
daß er sie schlechthin hinter sich hatte und es keine Macht
innerhalb der Partei gab, die ernsthaft gegen ihn hätte auf-
treten können. Nach seinem Tode hatte das ein Ende, und
die Beamtenherrschaft begann. Gewerkschaftsbeamte, Partei-
sekretäre, Journalisten kamen in die Höhe, Beamteninstinkte
beherrschten die Partei, ein höchst ehrenhaftes Beamtentum
- selten ehrenhaft darf man, mit Rücksicht auf die Ver-
hältnisse anderer Länder, besonders im Hinblick auf die oft
bestechlichen Gewerkschaftsbeamten in Amerika, sagen -, aber
die früher erörterten Konsequenzen der Beamtenherrschaft traten
auch in der Partei ein.

Die bürgerlichen Parteien wurden seit den achtziger Jahren
vollends Honoratiorenzünfte. Gelegentlich zwar mußten die
Parteien zu Reklamezwecken außerparteiliche Jntelligenzen
heranziehen, um sagen zu können: "diese und diese Namen
haben wir". Möglichst vermieden sie es, dieselben in die Wahl
hineinkommen zu lassen, und nur wo es unvermeidlich war,
der Betreffende es sich nicht anders gefallen ließ, geschah es.

Jm Parlamente war der gleiche Geist. Unsere Parlaments-
parteien waren und sind Zünfte. Jede Rede, die gehalten
wird im Plenum des Reichstages, ist vorher durchrezensiert
in der Partei. Das merkt man ihrer unerhörten Langeweile
an. Nur wer als Redner bestellt ist, kann zu Wort kommen.
Ein stärkerer Gegensatz gegen die englische, aber auch - aus
ganz entgegengesetzten Gründen - die französische Gepflogenheit
ist kaum denkbar.

Jetzt ist infolge des gewaltigen Zusammenbruchs, den man
Revolution zu nennen pflegt, vielleicht eine Umwandlung im

nicht ausgenommen, zahlreiche Namen nennen, die Tragödien
der politiſchen Laufbahn bedeuteten, weil der Betreffende Führer-
qualitäten hatte und um eben deswillen von den Honoratioren
nicht geduldet wurde. Dieſen Weg der Entwicklung zur
Honoratiorenzunft ſind alle unſere Parteien gegangen. Bebel
z. B. war noch ein Führer, dem Temperament und der Lauter-
keit des Charakters nach, ſo beſcheiden ſein Jntellekt war.
Die Tatſache, daß er Märtyrer war, daß er das Vertrauen
der Maſſen niemals täuſchte (in deren Augen), hatte zur Folge,
daß er ſie ſchlechthin hinter ſich hatte und es keine Macht
innerhalb der Partei gab, die ernſthaft gegen ihn hätte auf-
treten können. Nach ſeinem Tode hatte das ein Ende, und
die Beamtenherrſchaft begann. Gewerkſchaftsbeamte, Partei-
ſekretäre, Journaliſten kamen in die Höhe, Beamteninſtinkte
beherrſchten die Partei, ein höchſt ehrenhaftes Beamtentum
– ſelten ehrenhaft darf man, mit Rückſicht auf die Ver-
hältniſſe anderer Länder, beſonders im Hinblick auf die oft
beſtechlichen Gewerkſchaftsbeamten in Amerika, ſagen –, aber
die früher erörterten Konſequenzen der Beamtenherrſchaft traten
auch in der Partei ein.

Die bürgerlichen Parteien wurden ſeit den achtziger Jahren
vollends Honoratiorenzünfte. Gelegentlich zwar mußten die
Parteien zu Reklamezwecken außerparteiliche Jntelligenzen
heranziehen, um ſagen zu können: „dieſe und dieſe Namen
haben wir“. Möglichſt vermieden ſie es, dieſelben in die Wahl
hineinkommen zu laſſen, und nur wo es unvermeidlich war,
der Betreffende es ſich nicht anders gefallen ließ, geſchah es.

Jm Parlamente war der gleiche Geiſt. Unſere Parlaments-
parteien waren und ſind Zünfte. Jede Rede, die gehalten
wird im Plenum des Reichſtages, iſt vorher durchrezenſiert
in der Partei. Das merkt man ihrer unerhörten Langeweile
an. Nur wer als Redner beſtellt iſt, kann zu Wort kommen.
Ein ſtärkerer Gegenſatz gegen die engliſche, aber auch – aus
ganz entgegengeſetzten Gründen – die franzöſiſche Gepflogenheit
iſt kaum denkbar.

Jetzt iſt infolge des gewaltigen Zuſammenbruchs, den man
Revolution zu nennen pflegt, vielleicht eine Umwandlung im

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[46/0046] nicht ausgenommen, zahlreiche Namen nennen, die Tragödien der politiſchen Laufbahn bedeuteten, weil der Betreffende Führer- qualitäten hatte und um eben deswillen von den Honoratioren nicht geduldet wurde. Dieſen Weg der Entwicklung zur Honoratiorenzunft ſind alle unſere Parteien gegangen. Bebel z. B. war noch ein Führer, dem Temperament und der Lauter- keit des Charakters nach, ſo beſcheiden ſein Jntellekt war. Die Tatſache, daß er Märtyrer war, daß er das Vertrauen der Maſſen niemals täuſchte (in deren Augen), hatte zur Folge, daß er ſie ſchlechthin hinter ſich hatte und es keine Macht innerhalb der Partei gab, die ernſthaft gegen ihn hätte auf- treten können. Nach ſeinem Tode hatte das ein Ende, und die Beamtenherrſchaft begann. Gewerkſchaftsbeamte, Partei- ſekretäre, Journaliſten kamen in die Höhe, Beamteninſtinkte beherrſchten die Partei, ein höchſt ehrenhaftes Beamtentum – ſelten ehrenhaft darf man, mit Rückſicht auf die Ver- hältniſſe anderer Länder, beſonders im Hinblick auf die oft beſtechlichen Gewerkſchaftsbeamten in Amerika, ſagen –, aber die früher erörterten Konſequenzen der Beamtenherrſchaft traten auch in der Partei ein. Die bürgerlichen Parteien wurden ſeit den achtziger Jahren vollends Honoratiorenzünfte. Gelegentlich zwar mußten die Parteien zu Reklamezwecken außerparteiliche Jntelligenzen heranziehen, um ſagen zu können: „dieſe und dieſe Namen haben wir“. Möglichſt vermieden ſie es, dieſelben in die Wahl hineinkommen zu laſſen, und nur wo es unvermeidlich war, der Betreffende es ſich nicht anders gefallen ließ, geſchah es. Jm Parlamente war der gleiche Geiſt. Unſere Parlaments- parteien waren und ſind Zünfte. Jede Rede, die gehalten wird im Plenum des Reichſtages, iſt vorher durchrezenſiert in der Partei. Das merkt man ihrer unerhörten Langeweile an. Nur wer als Redner beſtellt iſt, kann zu Wort kommen. Ein ſtärkerer Gegenſatz gegen die engliſche, aber auch – aus ganz entgegengeſetzten Gründen – die franzöſiſche Gepflogenheit iſt kaum denkbar. Jetzt iſt infolge des gewaltigen Zuſammenbruchs, den man Revolution zu nennen pflegt, vielleicht eine Umwandlung im

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/46>, abgerufen am 19.04.2024.