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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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kommen umgewandelten so stark in der Majorität sind, dass die
andern nur noch einen verschwindend kleinen Einfluss auf die
Beschaffenheit der Nachkommen ausüben können. Die nütz-
lichen, auf neue Anpassungen abzielenden Charaktere werden
dann bei der normalen Fortpflanzung, d. h. bei der Vermischung
von Individuen der Art untereinander, stets zur vollen Aus-
bildung gelangen, trotzdem im Keimplasma einige nicht ab-
geänderte Ide enthalten sind. Es ist ganz so wie z. B. bei der
Blattähnlichkeit eines oft genannten Schmetterlings, der Kallima
parallecta. Diese Ähnlichkeit ist eine sehr weitgehende, aber
dennoch keine vollkommne; auf die zusammengeklappten Flügel
ist das Bild des Blattes mit Mittel- und Seitenrippe, mit stärker
und schwächer angefaulten, mit trockeneren und feuchteren
Stellen, ja selbst mit einem Thautropfen darauf gemalt, aber
nicht sämmtliche Seitenrippen sind eingezeichnet,
sondern nur einige nach rechts und einige nach links
abgehende
. Dies genügt vollkommen, um verfolgende Vögel zu
täuschen, eine noch genauere Copie der Blattzeichnung würde
die Täuschung nicht mehr erhöhen, die ja nur für eine gewisse
Entfernung wirksam zu sein braucht, deshalb hat sie sich nicht
gesteigert, sondern ist auf diesem Stadium der Ähnlichkeit
zum Stillstand gekommen. Ganz ebenso muss es sich mit der
Umwandlung der Ide des Keimplasma's verhalten, wenn es sich
um eine neue Anpassung der Art handelt; es wird auch hier
nicht der Zustand absoluter, sondern nur der einer relativen
Vollkommenheit erreicht werden, nicht alle, sondern nur der
grössere Theil der Ide kann durch Selection zur Umwandlung
gebracht werden, ein kleinerer Theil muss lange Zeiten und
Generationen hindurch in unverändertem oder wenig veränderten
Zustand mitgeführt werden.


kommen umgewandelten so stark in der Majorität sind, dass die
andern nur noch einen verschwindend kleinen Einfluss auf die
Beschaffenheit der Nachkommen ausüben können. Die nütz-
lichen, auf neue Anpassungen abzielenden Charaktere werden
dann bei der normalen Fortpflanzung, d. h. bei der Vermischung
von Individuen der Art untereinander, stets zur vollen Aus-
bildung gelangen, trotzdem im Keimplasma einige nicht ab-
geänderte Ide enthalten sind. Es ist ganz so wie z. B. bei der
Blattähnlichkeit eines oft genannten Schmetterlings, der Kallima
parallecta. Diese Ähnlichkeit ist eine sehr weitgehende, aber
dennoch keine vollkommne; auf die zusammengeklappten Flügel
ist das Bild des Blattes mit Mittel- und Seitenrippe, mit stärker
und schwächer angefaulten, mit trockeneren und feuchteren
Stellen, ja selbst mit einem Thautropfen darauf gemalt, aber
nicht sämmtliche Seitenrippen sind eingezeichnet,
sondern nur einige nach rechts und einige nach links
abgehende
. Dies genügt vollkommen, um verfolgende Vögel zu
täuschen, eine noch genauere Copie der Blattzeichnung würde
die Täuschung nicht mehr erhöhen, die ja nur für eine gewisse
Entfernung wirksam zu sein braucht, deshalb hat sie sich nicht
gesteigert, sondern ist auf diesem Stadium der Ähnlichkeit
zum Stillstand gekommen. Ganz ebenso muss es sich mit der
Umwandlung der Ide des Keimplasma’s verhalten, wenn es sich
um eine neue Anpassung der Art handelt; es wird auch hier
nicht der Zustand absoluter, sondern nur der einer relativen
Vollkommenheit erreicht werden, nicht alle, sondern nur der
grössere Theil der Ide kann durch Selection zur Umwandlung
gebracht werden, ein kleinerer Theil muss lange Zeiten und
Generationen hindurch in unverändertem oder wenig veränderten
Zustand mitgeführt werden.


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[357/0381] kommen umgewandelten so stark in der Majorität sind, dass die andern nur noch einen verschwindend kleinen Einfluss auf die Beschaffenheit der Nachkommen ausüben können. Die nütz- lichen, auf neue Anpassungen abzielenden Charaktere werden dann bei der normalen Fortpflanzung, d. h. bei der Vermischung von Individuen der Art untereinander, stets zur vollen Aus- bildung gelangen, trotzdem im Keimplasma einige nicht ab- geänderte Ide enthalten sind. Es ist ganz so wie z. B. bei der Blattähnlichkeit eines oft genannten Schmetterlings, der Kallima parallecta. Diese Ähnlichkeit ist eine sehr weitgehende, aber dennoch keine vollkommne; auf die zusammengeklappten Flügel ist das Bild des Blattes mit Mittel- und Seitenrippe, mit stärker und schwächer angefaulten, mit trockeneren und feuchteren Stellen, ja selbst mit einem Thautropfen darauf gemalt, aber nicht sämmtliche Seitenrippen sind eingezeichnet, sondern nur einige nach rechts und einige nach links abgehende. Dies genügt vollkommen, um verfolgende Vögel zu täuschen, eine noch genauere Copie der Blattzeichnung würde die Täuschung nicht mehr erhöhen, die ja nur für eine gewisse Entfernung wirksam zu sein braucht, deshalb hat sie sich nicht gesteigert, sondern ist auf diesem Stadium der Ähnlichkeit zum Stillstand gekommen. Ganz ebenso muss es sich mit der Umwandlung der Ide des Keimplasma’s verhalten, wenn es sich um eine neue Anpassung der Art handelt; es wird auch hier nicht der Zustand absoluter, sondern nur der einer relativen Vollkommenheit erreicht werden, nicht alle, sondern nur der grössere Theil der Ide kann durch Selection zur Umwandlung gebracht werden, ein kleinerer Theil muss lange Zeiten und Generationen hindurch in unverändertem oder wenig veränderten Zustand mitgeführt werden.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/381>, abgerufen am 29.03.2024.