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Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Gestrüpp und Farrenkräuter, wie er spähend die verwegenen braunen Augen von Busch zu Busch rollen ließ und weiter über den gelben Ginster hinaus tief hinein in den Tannenwald hinter der Mühle, der hätte Wunder gemeint: die ganzen Franzosen wären über den Schwarzwald gekommen und stünden einem Vorposten gegenüber.

Am längsten aber verweilte sein Auge auf der Mühle, bis endlich der helle Schein sich von den Bergen auch auf Dach und Räder niedersenkte und es unten lebendig wurde.

Ein Mädchen trat heraus; der Morgenwind wehte ihr frisch entgegen, daß sie rasch mit der Hand nach der Haube fuhr, die geschmückt mit Flitter und Glasperlen wie ein Krönlein um die Stirn lag und die blonden Haare zusammenhielt. Der kurze gefältelte Rock, schwarz mit handbreitem, hochrothem Saum, die weiße Schürze und Fürtuch, die hohen blauen Strümpfe mit weißem Zwickel paßten nicht in die Gegend, die andere Sitte und Trachten hat.

Sie schaute zuerst lange nach der Brücke hin; sie wartete, -- wandte sich aber dann rasch zu dem klaren Brunn, welcher gerade vor der Mühle hervorströmt und, durch eine kurze Röhre gefaßt, den hölzernen Trog füllt und die saftigen Butterblumen ringsherum tränkt.

Schnell wusch sich Anna Marie, oder wie man dort sagt: "die Ammrey", die Augen hell und die Stirne kühl, die weißer war als die Kirschblüthen, die über ihr hingen, und weißer als der Hollunderblust im Gärtchen.

Gestrüpp und Farrenkräuter, wie er spähend die verwegenen braunen Augen von Busch zu Busch rollen ließ und weiter über den gelben Ginster hinaus tief hinein in den Tannenwald hinter der Mühle, der hätte Wunder gemeint: die ganzen Franzosen wären über den Schwarzwald gekommen und stünden einem Vorposten gegenüber.

Am längsten aber verweilte sein Auge auf der Mühle, bis endlich der helle Schein sich von den Bergen auch auf Dach und Räder niedersenkte und es unten lebendig wurde.

Ein Mädchen trat heraus; der Morgenwind wehte ihr frisch entgegen, daß sie rasch mit der Hand nach der Haube fuhr, die geschmückt mit Flitter und Glasperlen wie ein Krönlein um die Stirn lag und die blonden Haare zusammenhielt. Der kurze gefältelte Rock, schwarz mit handbreitem, hochrothem Saum, die weiße Schürze und Fürtuch, die hohen blauen Strümpfe mit weißem Zwickel paßten nicht in die Gegend, die andere Sitte und Trachten hat.

Sie schaute zuerst lange nach der Brücke hin; sie wartete, — wandte sich aber dann rasch zu dem klaren Brunn, welcher gerade vor der Mühle hervorströmt und, durch eine kurze Röhre gefaßt, den hölzernen Trog füllt und die saftigen Butterblumen ringsherum tränkt.

Schnell wusch sich Anna Marie, oder wie man dort sagt: „die Ammrey“, die Augen hell und die Stirne kühl, die weißer war als die Kirschblüthen, die über ihr hingen, und weißer als der Hollunderblust im Gärtchen.

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[0018] Gestrüpp und Farrenkräuter, wie er spähend die verwegenen braunen Augen von Busch zu Busch rollen ließ und weiter über den gelben Ginster hinaus tief hinein in den Tannenwald hinter der Mühle, der hätte Wunder gemeint: die ganzen Franzosen wären über den Schwarzwald gekommen und stünden einem Vorposten gegenüber. Am längsten aber verweilte sein Auge auf der Mühle, bis endlich der helle Schein sich von den Bergen auch auf Dach und Räder niedersenkte und es unten lebendig wurde. Ein Mädchen trat heraus; der Morgenwind wehte ihr frisch entgegen, daß sie rasch mit der Hand nach der Haube fuhr, die geschmückt mit Flitter und Glasperlen wie ein Krönlein um die Stirn lag und die blonden Haare zusammenhielt. Der kurze gefältelte Rock, schwarz mit handbreitem, hochrothem Saum, die weiße Schürze und Fürtuch, die hohen blauen Strümpfe mit weißem Zwickel paßten nicht in die Gegend, die andere Sitte und Trachten hat. Sie schaute zuerst lange nach der Brücke hin; sie wartete, — wandte sich aber dann rasch zu dem klaren Brunn, welcher gerade vor der Mühle hervorströmt und, durch eine kurze Röhre gefaßt, den hölzernen Trog füllt und die saftigen Butterblumen ringsherum tränkt. Schnell wusch sich Anna Marie, oder wie man dort sagt: „die Ammrey“, die Augen hell und die Stirne kühl, die weißer war als die Kirschblüthen, die über ihr hingen, und weißer als der Hollunderblust im Gärtchen.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:16:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:16:28Z)

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Zitationshilfe: Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/18>, abgerufen am 29.03.2024.