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Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sie schien emsig nach Kräutern zu suchen und kam der Stelle immer näher, wo Otto lag.

Ammrey! flüsterte er aus dem Gebüsch, ich bin da und muß dich sprechen. Zuerst wollte sie zurückfliehen, denn sie erschrak; sie faßte sich aber schnell, stürzte die Fackel in den kleinen Sumpf am Quell, daß sie zischend erlosch, und trat dann zu den Erlenbüschen. Um Gottes und aller Heiligen willen, was führt Euch zu dieser Stunde her, Herr Jäger? fragte sie mit zitternder Stimme; wenn mein Vater käme oder -- -- die letzten Worte verschluckte sie und drängte ihn in die dunkelsten Schatten hinein. Ich könnte dich fragen, was suchst du so spät noch nach Kräutern? entgegnete der Jüngling, indem er sie näher an sich zog, und will dir eine Ausflucht ersparen und für dich antworten: weil du einen Verwundeten in der Mühle hast, suchst du Kräuter. Der Förster weiß es, er weiß Alles, und darum bin ich gekommen, dich zu warnen. Es muß zuletzt ein Unglück geben; denn morgen giebt's Kampf mit allen Jägern der Umgegend; ich muß mit; aber halte zum wenigsten deinen Vater zurück, daß er diesmal nicht mitgeht, und mach, daß der Verwundete fort kommt, sonst fällt alle Schuld auf die Mühle. Sie hing wortlos an seiner Brust; nur spät und ganz leise flüsterte sie ihm zu: Ich muß viel leiden. -- O, ich weiß es wohl, rief Otto; Gott weiß, was das Schaf unter den Wölfen soll. Denn es sind nicht bloß Diebe, es sind Mörder. Sie zitterte und bebte, als

Sie schien emsig nach Kräutern zu suchen und kam der Stelle immer näher, wo Otto lag.

Ammrey! flüsterte er aus dem Gebüsch, ich bin da und muß dich sprechen. Zuerst wollte sie zurückfliehen, denn sie erschrak; sie faßte sich aber schnell, stürzte die Fackel in den kleinen Sumpf am Quell, daß sie zischend erlosch, und trat dann zu den Erlenbüschen. Um Gottes und aller Heiligen willen, was führt Euch zu dieser Stunde her, Herr Jäger? fragte sie mit zitternder Stimme; wenn mein Vater käme oder — — die letzten Worte verschluckte sie und drängte ihn in die dunkelsten Schatten hinein. Ich könnte dich fragen, was suchst du so spät noch nach Kräutern? entgegnete der Jüngling, indem er sie näher an sich zog, und will dir eine Ausflucht ersparen und für dich antworten: weil du einen Verwundeten in der Mühle hast, suchst du Kräuter. Der Förster weiß es, er weiß Alles, und darum bin ich gekommen, dich zu warnen. Es muß zuletzt ein Unglück geben; denn morgen giebt's Kampf mit allen Jägern der Umgegend; ich muß mit; aber halte zum wenigsten deinen Vater zurück, daß er diesmal nicht mitgeht, und mach, daß der Verwundete fort kommt, sonst fällt alle Schuld auf die Mühle. Sie hing wortlos an seiner Brust; nur spät und ganz leise flüsterte sie ihm zu: Ich muß viel leiden. — O, ich weiß es wohl, rief Otto; Gott weiß, was das Schaf unter den Wölfen soll. Denn es sind nicht bloß Diebe, es sind Mörder. Sie zitterte und bebte, als

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[0041] Sie schien emsig nach Kräutern zu suchen und kam der Stelle immer näher, wo Otto lag. Ammrey! flüsterte er aus dem Gebüsch, ich bin da und muß dich sprechen. Zuerst wollte sie zurückfliehen, denn sie erschrak; sie faßte sich aber schnell, stürzte die Fackel in den kleinen Sumpf am Quell, daß sie zischend erlosch, und trat dann zu den Erlenbüschen. Um Gottes und aller Heiligen willen, was führt Euch zu dieser Stunde her, Herr Jäger? fragte sie mit zitternder Stimme; wenn mein Vater käme oder — — die letzten Worte verschluckte sie und drängte ihn in die dunkelsten Schatten hinein. Ich könnte dich fragen, was suchst du so spät noch nach Kräutern? entgegnete der Jüngling, indem er sie näher an sich zog, und will dir eine Ausflucht ersparen und für dich antworten: weil du einen Verwundeten in der Mühle hast, suchst du Kräuter. Der Förster weiß es, er weiß Alles, und darum bin ich gekommen, dich zu warnen. Es muß zuletzt ein Unglück geben; denn morgen giebt's Kampf mit allen Jägern der Umgegend; ich muß mit; aber halte zum wenigsten deinen Vater zurück, daß er diesmal nicht mitgeht, und mach, daß der Verwundete fort kommt, sonst fällt alle Schuld auf die Mühle. Sie hing wortlos an seiner Brust; nur spät und ganz leise flüsterte sie ihm zu: Ich muß viel leiden. — O, ich weiß es wohl, rief Otto; Gott weiß, was das Schaf unter den Wölfen soll. Denn es sind nicht bloß Diebe, es sind Mörder. Sie zitterte und bebte, als

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:16:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:16:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/41>, abgerufen am 29.03.2024.