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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
Freunde, ohne Hülfe, ohne Hofnung befreyt zu wer-
den; verurtheilt ungesitteten Barbaren dienstbar zu seyn.
Die unsinnige Leidenschaft meines Herrn wird uns so
gar des einzigen Vergnügens berauben, das unsern Zu-
stand erleichtern könnte. Seitdem ihm meine Entschlos-
senheit die Hofnung benommen seinen Endzwek zu er-
reichen, scheint sich seine Liebe in eine wütende Eifer-
sucht verwandelt zu haben, die sich bemüht, dasjenige
was man selbst nicht geniessen kan, wenigstens keinem
andern zu Theil werden zu lassen. Der Barbar wird
dir keinen Umgang mit mir verstatten, da er mir kaum
sichtbar zu seyn erlaubt. Doch die ungewisse Zukunft
soll mir nicht einen Augenblik von der gegenwärtigen
Wonne rauben. Jch sehe dich, Agathon, und bin
glüklich. Wie begierig hätte ich vor wenigen Stunden
einen Augenblik wie diesen mit meinem Leben erkauft!
Jndem sie dieses sagte, umarmte sie den glüklichen
Agathon mit einer so rührenden Zärtlichkeit, daß die
Entzükung, die ihre Herzen einander mittheilten, eine
zweyte sprachlose Stille hervorbrachte; und wie sollten
wir beschreiben können, was sie empfanden, da der
Mund der Liebe selbst nicht beredt genug war, es aus-
zudruken?

Neuntes

Agathon.
Freunde, ohne Huͤlfe, ohne Hofnung befreyt zu wer-
den; verurtheilt ungeſitteten Barbaren dienſtbar zu ſeyn.
Die unſinnige Leidenſchaft meines Herrn wird uns ſo
gar des einzigen Vergnuͤgens berauben, das unſern Zu-
ſtand erleichtern koͤnnte. Seitdem ihm meine Entſchloſ-
ſenheit die Hofnung benommen ſeinen Endzwek zu er-
reichen, ſcheint ſich ſeine Liebe in eine wuͤtende Eifer-
ſucht verwandelt zu haben, die ſich bemuͤht, dasjenige
was man ſelbſt nicht genieſſen kan, wenigſtens keinem
andern zu Theil werden zu laſſen. Der Barbar wird
dir keinen Umgang mit mir verſtatten, da er mir kaum
ſichtbar zu ſeyn erlaubt. Doch die ungewiſſe Zukunft
ſoll mir nicht einen Augenblik von der gegenwaͤrtigen
Wonne rauben. Jch ſehe dich, Agathon, und bin
gluͤklich. Wie begierig haͤtte ich vor wenigen Stunden
einen Augenblik wie dieſen mit meinem Leben erkauft!
Jndem ſie dieſes ſagte, umarmte ſie den gluͤklichen
Agathon mit einer ſo ruͤhrenden Zaͤrtlichkeit, daß die
Entzuͤkung, die ihre Herzen einander mittheilten, eine
zweyte ſprachloſe Stille hervorbrachte; und wie ſollten
wir beſchreiben koͤnnen, was ſie empfanden, da der
Mund der Liebe ſelbſt nicht beredt genug war, es aus-
zudruken?

Neuntes
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[24/0046] Agathon. Freunde, ohne Huͤlfe, ohne Hofnung befreyt zu wer- den; verurtheilt ungeſitteten Barbaren dienſtbar zu ſeyn. Die unſinnige Leidenſchaft meines Herrn wird uns ſo gar des einzigen Vergnuͤgens berauben, das unſern Zu- ſtand erleichtern koͤnnte. Seitdem ihm meine Entſchloſ- ſenheit die Hofnung benommen ſeinen Endzwek zu er- reichen, ſcheint ſich ſeine Liebe in eine wuͤtende Eifer- ſucht verwandelt zu haben, die ſich bemuͤht, dasjenige was man ſelbſt nicht genieſſen kan, wenigſtens keinem andern zu Theil werden zu laſſen. Der Barbar wird dir keinen Umgang mit mir verſtatten, da er mir kaum ſichtbar zu ſeyn erlaubt. Doch die ungewiſſe Zukunft ſoll mir nicht einen Augenblik von der gegenwaͤrtigen Wonne rauben. Jch ſehe dich, Agathon, und bin gluͤklich. Wie begierig haͤtte ich vor wenigen Stunden einen Augenblik wie dieſen mit meinem Leben erkauft! Jndem ſie dieſes ſagte, umarmte ſie den gluͤklichen Agathon mit einer ſo ruͤhrenden Zaͤrtlichkeit, daß die Entzuͤkung, die ihre Herzen einander mittheilten, eine zweyte ſprachloſe Stille hervorbrachte; und wie ſollten wir beſchreiben koͤnnen, was ſie empfanden, da der Mund der Liebe ſelbſt nicht beredt genug war, es aus- zudruken? Neuntes

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/46>, abgerufen am 19.04.2024.