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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Eilftes Buch, viertes Capitel.
nachdem sie ihn einige Minuten mit verschlingenden Bli-
ken angestarrt hatte, verlohr sie sich auf einmal aus dem
Saal. Sie lief so hastig dem Zimmer ihrer Gebieterin
zu, daß sie ganz ausser Athem kam. Und wer mey-
nen sie wol, gnädige Frau, keuchte sie, daß unten im
Saal ist? Hat es ihnen ihr Herz nicht schon gesagt? --
Diana sey mir gnädig! Was für ein Zufall das ist!
Wer hätte sich das nur im Traum einbilden können?
Jch weiß vor Erstaunen nicht wo ich bin -- Jn der
That däucht mich, du bist nicht recht bey Sinnen, sagte
die Dame ein wenig betroffen; und wer ist denn un-
ten im Saal? -- O! bey den Göttinnen! ich hätte es
bey nahe meinen eignen Augen nicht geglaubt -- aber
ich erkannte ihn auf den ersten Blik, ob er gleich ein
wenig stärker worden ist; es ist nichts gewisser -- er ist
es, er ist es! -- Plage mich nicht länger mit deinem
geheimnißvollen Galimathias, rief die Dame, immer
mehr bestürzt; rede Närrin, wer ist es? -- Aber sie
errathen doch auch gar nichts, gnädige Frau -- wer
ist es? -- Jch sage ihnen, daß Agathon unten im Saal
ist, ja Agathon, es kan nichts gewisser seyn -- er
selbst, oder sein Geist, eines von beyden unfehlbar,
denn die Mutter die ihn gebohren hat, kan ihn nicht
besser kennen, als ich ihn erkannt habe, sobald er den
Mantel von sich warf, worinn er anfangs eingewikelt
war -- Das gute Mädchen würde noch länger in die-
sem Ton fortgeplaudert haben, denn ihr Herz überfloß
von Freude -- wenn sie nicht auf einmal wahrgenom-
men hätte, daß ihre Gebieterin ohnmächtig auf ihren
Sopha zurükgesunken war. Sie hatte einige Mühe sie

wieder

Eilftes Buch, viertes Capitel.
nachdem ſie ihn einige Minuten mit verſchlingenden Bli-
ken angeſtarrt hatte, verlohr ſie ſich auf einmal aus dem
Saal. Sie lief ſo haſtig dem Zimmer ihrer Gebieterin
zu, daß ſie ganz auſſer Athem kam. Und wer mey-
nen ſie wol, gnaͤdige Frau, keuchte ſie, daß unten im
Saal iſt? Hat es ihnen ihr Herz nicht ſchon geſagt? ‒‒
Diana ſey mir gnaͤdig! Was fuͤr ein Zufall das iſt!
Wer haͤtte ſich das nur im Traum einbilden koͤnnen?
Jch weiß vor Erſtaunen nicht wo ich bin ‒‒ Jn der
That daͤucht mich, du biſt nicht recht bey Sinnen, ſagte
die Dame ein wenig betroffen; und wer iſt denn un-
ten im Saal? ‒‒ O! bey den Goͤttinnen! ich haͤtte es
bey nahe meinen eignen Augen nicht geglaubt ‒‒ aber
ich erkannte ihn auf den erſten Blik, ob er gleich ein
wenig ſtaͤrker worden iſt; es iſt nichts gewiſſer ‒‒ er iſt
es, er iſt es! ‒‒ Plage mich nicht laͤnger mit deinem
geheimnißvollen Galimathias, rief die Dame, immer
mehr beſtuͤrzt; rede Naͤrrin, wer iſt es? ‒‒ Aber ſie
errathen doch auch gar nichts, gnaͤdige Frau ‒‒ wer
iſt es? ‒‒ Jch ſage ihnen, daß Agathon unten im Saal
iſt, ja Agathon, es kan nichts gewiſſer ſeyn ‒‒ er
ſelbſt, oder ſein Geiſt, eines von beyden unfehlbar,
denn die Mutter die ihn gebohren hat, kan ihn nicht
beſſer kennen, als ich ihn erkannt habe, ſobald er den
Mantel von ſich warf, worinn er anfangs eingewikelt
war ‒‒ Das gute Maͤdchen wuͤrde noch laͤnger in die-
ſem Ton fortgeplaudert haben, denn ihr Herz uͤberfloß
von Freude ‒‒ wenn ſie nicht auf einmal wahrgenom-
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[335/0337] Eilftes Buch, viertes Capitel. nachdem ſie ihn einige Minuten mit verſchlingenden Bli- ken angeſtarrt hatte, verlohr ſie ſich auf einmal aus dem Saal. Sie lief ſo haſtig dem Zimmer ihrer Gebieterin zu, daß ſie ganz auſſer Athem kam. Und wer mey- nen ſie wol, gnaͤdige Frau, keuchte ſie, daß unten im Saal iſt? Hat es ihnen ihr Herz nicht ſchon geſagt? ‒‒ Diana ſey mir gnaͤdig! Was fuͤr ein Zufall das iſt! Wer haͤtte ſich das nur im Traum einbilden koͤnnen? Jch weiß vor Erſtaunen nicht wo ich bin ‒‒ Jn der That daͤucht mich, du biſt nicht recht bey Sinnen, ſagte die Dame ein wenig betroffen; und wer iſt denn un- ten im Saal? ‒‒ O! bey den Goͤttinnen! ich haͤtte es bey nahe meinen eignen Augen nicht geglaubt ‒‒ aber ich erkannte ihn auf den erſten Blik, ob er gleich ein wenig ſtaͤrker worden iſt; es iſt nichts gewiſſer ‒‒ er iſt es, er iſt es! ‒‒ Plage mich nicht laͤnger mit deinem geheimnißvollen Galimathias, rief die Dame, immer mehr beſtuͤrzt; rede Naͤrrin, wer iſt es? ‒‒ Aber ſie errathen doch auch gar nichts, gnaͤdige Frau ‒‒ wer iſt es? ‒‒ Jch ſage ihnen, daß Agathon unten im Saal iſt, ja Agathon, es kan nichts gewiſſer ſeyn ‒‒ er ſelbſt, oder ſein Geiſt, eines von beyden unfehlbar, denn die Mutter die ihn gebohren hat, kan ihn nicht beſſer kennen, als ich ihn erkannt habe, ſobald er den Mantel von ſich warf, worinn er anfangs eingewikelt war ‒‒ Das gute Maͤdchen wuͤrde noch laͤnger in die- ſem Ton fortgeplaudert haben, denn ihr Herz uͤberfloß von Freude ‒‒ wenn ſie nicht auf einmal wahrgenom- men haͤtte, daß ihre Gebieterin ohnmaͤchtig auf ihren Sopha zuruͤkgeſunken war. Sie hatte einige Muͤhe ſie wieder

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/337>, abgerufen am 24.04.2024.