Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
Achtes Buch, fünftes Capitel.

Ein glüklicher Zufall -- doch, warum wollen
wir dem Zufall zuschreiben, was uns beweisen sollte,
daß eine unsichtbare Macht ist, welche sich immer be-
reit zeigt, der sinkenden Tugend die Hand zu reichen --
fügte es daß Agathon, in diesem zweifelhaften Augen-
blik unter dem Gedränge der Fremden, welche die Han-
delschaft von allen Welt-Gegenden her nach Smyrna
führte, einen Mann erblikte, den er zu Athen vertrau-
lich gekannt, und durch beträchliche Dienstleistungen sich
zu verbinden Gelegenheit gehabt hatte. Es war ein
Kaufmann von Syracus, der mit den Geschiklichkeiten
seiner Profession, einen rechtschaffenen Character, und,
was bey uns, in der einen Hälfte des deutschen Reichs
wenigstens, eine grosse Seltenheit ist, mit beyden die
Liebe der Musen verband; Eigenschaften, welche ihn
dem Agathon desto angenehmer, so wie sie ihn desto
fähiger gemacht hatten, den Werth Agathons zu schäzen.
Der Syracusaner bezeugte die lebhafteste Freude über
eine so angenehm überraschende Zusammenkunft, und
bot unserm Helden seine Dienste mit derjenigen Art an,
welche beweißt, daß man begierig ist, sie angenommen
zu sehen; denn Agathons Verbannung von Athen war
eine zu bekannte Sache, als daß sie in irgend einem
Theil von Griechenlande hätte unbekannt seyn können.

Nach einigen Fragen, und Gegenfragen, wie sie un-
ter Freunden gewöhnlich sind, die sich nach einer ge-
raumen Trennung unvermuthet zusammenfinden, berich-

tete
D 2
Achtes Buch, fuͤnftes Capitel.

Ein gluͤklicher Zufall — doch, warum wollen
wir dem Zufall zuſchreiben, was uns beweiſen ſollte,
daß eine unſichtbare Macht iſt, welche ſich immer be-
reit zeigt, der ſinkenden Tugend die Hand zu reichen —
fuͤgte es daß Agathon, in dieſem zweifelhaften Augen-
blik unter dem Gedraͤnge der Fremden, welche die Han-
delſchaft von allen Welt-Gegenden her nach Smyrna
fuͤhrte, einen Mann erblikte, den er zu Athen vertrau-
lich gekannt, und durch betraͤchliche Dienſtleiſtungen ſich
zu verbinden Gelegenheit gehabt hatte. Es war ein
Kaufmann von Syracus, der mit den Geſchiklichkeiten
ſeiner Profeſſion, einen rechtſchaffenen Character, und,
was bey uns, in der einen Haͤlfte des deutſchen Reichs
wenigſtens, eine groſſe Seltenheit iſt, mit beyden die
Liebe der Muſen verband; Eigenſchaften, welche ihn
dem Agathon deſto angenehmer, ſo wie ſie ihn deſto
faͤhiger gemacht hatten, den Werth Agathons zu ſchaͤzen.
Der Syracuſaner bezeugte die lebhafteſte Freude uͤber
eine ſo angenehm uͤberraſchende Zuſammenkunft, und
bot unſerm Helden ſeine Dienſte mit derjenigen Art an,
welche beweißt, daß man begierig iſt, ſie angenommen
zu ſehen; denn Agathons Verbannung von Athen war
eine zu bekannte Sache, als daß ſie in irgend einem
Theil von Griechenlande haͤtte unbekannt ſeyn koͤnnen.

Nach einigen Fragen, und Gegenfragen, wie ſie un-
ter Freunden gewoͤhnlich ſind, die ſich nach einer ge-
raumen Trennung unvermuthet zuſammenfinden, berich-

tete
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0053" n="51"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Achtes Buch, fu&#x0364;nftes Capitel.</hi> </fw><lb/>
            <p>Ein glu&#x0364;klicher Zufall &#x2014; doch, warum wollen<lb/>
wir dem Zufall zu&#x017F;chreiben, was uns bewei&#x017F;en &#x017F;ollte,<lb/>
daß eine un&#x017F;ichtbare Macht i&#x017F;t, welche &#x017F;ich immer be-<lb/>
reit zeigt, der &#x017F;inkenden Tugend die Hand zu reichen &#x2014;<lb/>
fu&#x0364;gte es daß Agathon, in die&#x017F;em zweifelhaften Augen-<lb/>
blik unter dem Gedra&#x0364;nge der Fremden, welche die Han-<lb/>
del&#x017F;chaft von allen Welt-Gegenden her nach Smyrna<lb/>
fu&#x0364;hrte, einen Mann erblikte, den er zu Athen vertrau-<lb/>
lich gekannt, und durch betra&#x0364;chliche Dien&#x017F;tlei&#x017F;tungen &#x017F;ich<lb/>
zu verbinden Gelegenheit gehabt hatte. Es war ein<lb/>
Kaufmann von Syracus, der mit den Ge&#x017F;chiklichkeiten<lb/>
&#x017F;einer Profe&#x017F;&#x017F;ion, einen recht&#x017F;chaffenen Character, und,<lb/>
was bey uns, in der einen Ha&#x0364;lfte des deut&#x017F;chen Reichs<lb/>
wenig&#x017F;tens, eine gro&#x017F;&#x017F;e Seltenheit i&#x017F;t, mit beyden die<lb/>
Liebe der Mu&#x017F;en verband; Eigen&#x017F;chaften, welche ihn<lb/>
dem Agathon de&#x017F;to angenehmer, &#x017F;o wie &#x017F;ie ihn de&#x017F;to<lb/>
fa&#x0364;higer gemacht hatten, den Werth Agathons zu &#x017F;cha&#x0364;zen.<lb/>
Der Syracu&#x017F;aner bezeugte die lebhafte&#x017F;te Freude u&#x0364;ber<lb/>
eine &#x017F;o angenehm u&#x0364;berra&#x017F;chende Zu&#x017F;ammenkunft, und<lb/>
bot un&#x017F;erm Helden &#x017F;eine Dien&#x017F;te mit derjenigen Art an,<lb/>
welche beweißt, daß man begierig i&#x017F;t, &#x017F;ie angenommen<lb/>
zu &#x017F;ehen; denn Agathons Verbannung von Athen war<lb/>
eine zu bekannte Sache, als daß &#x017F;ie in irgend einem<lb/>
Theil von Griechenlande ha&#x0364;tte unbekannt &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Nach einigen Fragen, und Gegenfragen, wie &#x017F;ie un-<lb/>
ter Freunden gewo&#x0364;hnlich &#x017F;ind, die &#x017F;ich nach einer ge-<lb/>
raumen Trennung unvermuthet zu&#x017F;ammenfinden, berich-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">tete</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0053] Achtes Buch, fuͤnftes Capitel. Ein gluͤklicher Zufall — doch, warum wollen wir dem Zufall zuſchreiben, was uns beweiſen ſollte, daß eine unſichtbare Macht iſt, welche ſich immer be- reit zeigt, der ſinkenden Tugend die Hand zu reichen — fuͤgte es daß Agathon, in dieſem zweifelhaften Augen- blik unter dem Gedraͤnge der Fremden, welche die Han- delſchaft von allen Welt-Gegenden her nach Smyrna fuͤhrte, einen Mann erblikte, den er zu Athen vertrau- lich gekannt, und durch betraͤchliche Dienſtleiſtungen ſich zu verbinden Gelegenheit gehabt hatte. Es war ein Kaufmann von Syracus, der mit den Geſchiklichkeiten ſeiner Profeſſion, einen rechtſchaffenen Character, und, was bey uns, in der einen Haͤlfte des deutſchen Reichs wenigſtens, eine groſſe Seltenheit iſt, mit beyden die Liebe der Muſen verband; Eigenſchaften, welche ihn dem Agathon deſto angenehmer, ſo wie ſie ihn deſto faͤhiger gemacht hatten, den Werth Agathons zu ſchaͤzen. Der Syracuſaner bezeugte die lebhafteſte Freude uͤber eine ſo angenehm uͤberraſchende Zuſammenkunft, und bot unſerm Helden ſeine Dienſte mit derjenigen Art an, welche beweißt, daß man begierig iſt, ſie angenommen zu ſehen; denn Agathons Verbannung von Athen war eine zu bekannte Sache, als daß ſie in irgend einem Theil von Griechenlande haͤtte unbekannt ſeyn koͤnnen. Nach einigen Fragen, und Gegenfragen, wie ſie un- ter Freunden gewoͤhnlich ſind, die ſich nach einer ge- raumen Trennung unvermuthet zuſammenfinden, berich- tete D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/53
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/53>, abgerufen am 29.03.2024.