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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Weibern in Gunst zu sezen, unfehlbar auch das Talent
eines Ministers oder eines Feldherrn haben werde; oder,
daß man zu allem in der Welt tüchtig sey, sobald man
die Gabe habe ihm zu gefallen? --- Was ist von einer
solchen Regierung zu erwarten, als Verachtung aller gött-
lichen und menschlichen Geseze, Mißbrauch der Forma-
litäten der Gerechtigkeit, Gewaltsamkeiten, schlimme
Haushaltung, Erpressungen, Geringschäzung und Unter-
drükung der Tugend, allgemeine Verdorbenheit der Sit-
ten? --- Und was für eine Staatskunst wird da Plaz
haben, wo Leidenschaften, Launen, vorüberfahrende
Anstösse von lächerlichem Ehrgeiz, die kindische Begierde
von sich reden zu machen, die Convenienz eines Günst-
lings oder die Jntriguen einer Buhlerin --- die Trieb-
federn der Staats-Angelegenheiten, der Verbindung
und Trennung mit auswärtigen Machten, und des
öffentlichen Beträgens? Wo, ohne die wahren Vortheile
des Staats, oder seine Kräfte zu kennen, ohne Plan,
ohne kluge Abwägung und Verbindung der Mittel ---
doch, wir gerathen unvermerkt in den Ton der Decla-
mation, welcher uns bey einem längst erschöpften und
doch so alltäglichen Stoffe nicht zu vergeben wäre.
Möchte niemand, der dieses ließt, aus der Erfahrung
seines eignen Vaterlands wissen, wie einem Volke mit-
gespielt wird, welches das Unglük hat, der Willkühr
eines Dionysius preiß gegeben zu seyn!

Man wird sich nach allem, was wir eben gesagt
haben, den Dionysius als einen der schlimmsten Tyran-

nen,

Agathon.
Weibern in Gunſt zu ſezen, unfehlbar auch das Talent
eines Miniſters oder eines Feldherrn haben werde; oder,
daß man zu allem in der Welt tuͤchtig ſey, ſobald man
die Gabe habe ihm zu gefallen? ‒‒‒ Was iſt von einer
ſolchen Regierung zu erwarten, als Verachtung aller goͤtt-
lichen und menſchlichen Geſeze, Mißbrauch der Forma-
litaͤten der Gerechtigkeit, Gewaltſamkeiten, ſchlimme
Haushaltung, Erpreſſungen, Geringſchaͤzung und Unter-
druͤkung der Tugend, allgemeine Verdorbenheit der Sit-
ten? ‒‒‒ Und was fuͤr eine Staatskunſt wird da Plaz
haben, wo Leidenſchaften, Launen, voruͤberfahrende
Anſtoͤſſe von laͤcherlichem Ehrgeiz, die kindiſche Begierde
von ſich reden zu machen, die Convenienz eines Guͤnſt-
lings oder die Jntriguen einer Buhlerin ‒‒‒ die Trieb-
federn der Staats-Angelegenheiten, der Verbindung
und Trennung mit auswaͤrtigen Machten, und des
oͤffentlichen Betraͤgens? Wo, ohne die wahren Vortheile
des Staats, oder ſeine Kraͤfte zu kennen, ohne Plan,
ohne kluge Abwaͤgung und Verbindung der Mittel ‒‒‒
doch, wir gerathen unvermerkt in den Ton der Decla-
mation, welcher uns bey einem laͤngſt erſchoͤpften und
doch ſo alltaͤglichen Stoffe nicht zu vergeben waͤre.
Moͤchte niemand, der dieſes ließt, aus der Erfahrung
ſeines eignen Vaterlands wiſſen, wie einem Volke mit-
geſpielt wird, welches das Ungluͤk hat, der Willkuͤhr
eines Dionyſius preiß gegeben zu ſeyn!

Man wird ſich nach allem, was wir eben geſagt
haben, den Dionyſius als einen der ſchlimmſten Tyran-

nen,
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[88/0090] Agathon. Weibern in Gunſt zu ſezen, unfehlbar auch das Talent eines Miniſters oder eines Feldherrn haben werde; oder, daß man zu allem in der Welt tuͤchtig ſey, ſobald man die Gabe habe ihm zu gefallen? ‒‒‒ Was iſt von einer ſolchen Regierung zu erwarten, als Verachtung aller goͤtt- lichen und menſchlichen Geſeze, Mißbrauch der Forma- litaͤten der Gerechtigkeit, Gewaltſamkeiten, ſchlimme Haushaltung, Erpreſſungen, Geringſchaͤzung und Unter- druͤkung der Tugend, allgemeine Verdorbenheit der Sit- ten? ‒‒‒ Und was fuͤr eine Staatskunſt wird da Plaz haben, wo Leidenſchaften, Launen, voruͤberfahrende Anſtoͤſſe von laͤcherlichem Ehrgeiz, die kindiſche Begierde von ſich reden zu machen, die Convenienz eines Guͤnſt- lings oder die Jntriguen einer Buhlerin ‒‒‒ die Trieb- federn der Staats-Angelegenheiten, der Verbindung und Trennung mit auswaͤrtigen Machten, und des oͤffentlichen Betraͤgens? Wo, ohne die wahren Vortheile des Staats, oder ſeine Kraͤfte zu kennen, ohne Plan, ohne kluge Abwaͤgung und Verbindung der Mittel ‒‒‒ doch, wir gerathen unvermerkt in den Ton der Decla- mation, welcher uns bey einem laͤngſt erſchoͤpften und doch ſo alltaͤglichen Stoffe nicht zu vergeben waͤre. Moͤchte niemand, der dieſes ließt, aus der Erfahrung ſeines eignen Vaterlands wiſſen, wie einem Volke mit- geſpielt wird, welches das Ungluͤk hat, der Willkuͤhr eines Dionyſius preiß gegeben zu ſeyn! Man wird ſich nach allem, was wir eben geſagt haben, den Dionyſius als einen der ſchlimmſten Tyran- nen,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/90>, abgerufen am 28.03.2024.