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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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Oberon
Zwölfter Gesang.

1.
Schon sinkt der tag, und traurend wirft die nacht,
(Ach! nicht vertraulich mehr in süßer herzensfülle
Von Liebenden und Freunden zugebracht)
Mitleidig wirft sie ihre trübste hülle
Ums öde Eyland her, wo aus der tiefen stille
Nun keinen morgen mehr der freude lied erwacht;
Nur Ein Verlaßner noch von allem was er liebet
Der pflichten schreklichste durch stilles dulden übet.
2.
Ihn hört Titania, in ein gewölk verhüllt,
Tief aus dem wald herauf in langen pausen ächzen,
Sieht den Unglüklichen in stummer angst verlechzen,
Und weint und flieht. Denn, ach! vergebens schwillt
Ihr herz von mitgefühl! Ein eisernes geschicke
Stößt sie, sobald sie sich ihm nähern will, zurücke.
Sie flieht, und wie sie nach dem einst geliebten strand
Noch einmal umschaut, blinkt ein goldring aus dem sand.
3. Aman-
Oberon
Zwoͤlfter Geſang.

1.
Schon ſinkt der tag, und traurend wirft die nacht,
(Ach! nicht vertraulich mehr in ſuͤßer herzensfuͤlle
Von Liebenden und Freunden zugebracht)
Mitleidig wirft ſie ihre truͤbſte huͤlle
Ums oͤde Eyland her, wo aus der tiefen ſtille
Nun keinen morgen mehr der freude lied erwacht;
Nur Ein Verlaßner noch von allem was er liebet
Der pflichten ſchreklichſte durch ſtilles dulden uͤbet.
2.
Ihn hoͤrt Titania, in ein gewoͤlk verhuͤllt,
Tief aus dem wald herauf in langen pauſen aͤchzen,
Sieht den Ungluͤklichen in ſtummer angſt verlechzen,
Und weint und flieht. Denn, ach! vergebens ſchwillt
Ihr herz von mitgefuͤhl! Ein eiſernes geſchicke
Stoͤßt ſie, ſobald ſie ſich ihm naͤhern will, zuruͤcke.
Sie flieht, und wie ſie nach dem einſt geliebten ſtrand
Noch einmal umſchaut, blinkt ein goldring aus dem ſand.
3. Aman-
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[0246] Oberon Zwoͤlfter Geſang. 1. Schon ſinkt der tag, und traurend wirft die nacht, (Ach! nicht vertraulich mehr in ſuͤßer herzensfuͤlle Von Liebenden und Freunden zugebracht) Mitleidig wirft ſie ihre truͤbſte huͤlle Ums oͤde Eyland her, wo aus der tiefen ſtille Nun keinen morgen mehr der freude lied erwacht; Nur Ein Verlaßner noch von allem was er liebet Der pflichten ſchreklichſte durch ſtilles dulden uͤbet. 2. Ihn hoͤrt Titania, in ein gewoͤlk verhuͤllt, Tief aus dem wald herauf in langen pauſen aͤchzen, Sieht den Ungluͤklichen in ſtummer angſt verlechzen, Und weint und flieht. Denn, ach! vergebens ſchwillt Ihr herz von mitgefuͤhl! Ein eiſernes geſchicke Stoͤßt ſie, ſobald ſie ſich ihm naͤhern will, zuruͤcke. Sie flieht, und wie ſie nach dem einſt geliebten ſtrand Noch einmal umſchaut, blinkt ein goldring aus dem ſand. 3. Aman-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/246>, abgerufen am 28.03.2024.