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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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7.
DER ATHENISCHE NAME.


Aristoteles (21, 4) berichtet aus der chronik, dass die bezeichnungDie ordnung
des
Kleisthenes.

des athenischen bürgers durch den demosnamen von Kleisthenes einge-
führt sei, und zwar mit der absicht, die neubürger vollkommen gleich
zu stellen, welche die bezeichnung durch den vatersnamen kenntlich
gemacht haben würde. daher käme es dass sich die Athener selbst mit
dem demotikon nennten. 1) die uns geläufige attische sitte vereinigt die
bezeichnungen nach dem vater und dem demos, die hier einander gegen-
über gestellt werden, und das ist im vierten jahrhundert auch die offi-
zielle bezeichnung, z. b. auf den richtertäfelchen (Ar. 63, 4). aber der
aristotelische bericht hat keinen sinn, wenn nicht Kleisthenes den vaters-
namen durch den demos hat ersetzen wollen. denn wenn die bezeich-
nung nach dem vater die neubürger überhaupt kenntlich machen konnte,
so tat der zusatz Alokekethen weder etwas davon noch dazu, solange
der vatersname in offiziellem gebrauche war. Kleisthenes hat also den
vatersnamen abschaffen wollen.

Wie aber konnte der vater die neubürger kenntlich machen? ihre
väter hiessen doch nicht alle Manes oder Skythes, und barbarische oder
doch fremde namen sind auch in ächt bürgerlichen familien durchaus
nicht unerhört. 2) auch hier ist nur eine antwort möglich: die neubürger
hatten gar keinen vater.


1) Man muss nur scharf die officielle bezeichnung anagoreuein, die anrede
prosagoreuein und die selbstbezeichnung kalein sphas autous unterscheiden, dann
ist der satz weder der zusätze, auch nur des wörtchens nun, das wir eingefügt
haben, noch der abstriche, die von anderen beliebt sind, bedürftig.
2) Z. b. Sibyrtios ist im fünften jahrhundert verbreitet und gar nicht niedrig,
und doch gehört er ersichtlich mit dem frauennamen Sibulla zusammen, dessen
berühmteste trägerin, die ihn erst zu einem gattungsnamen gemacht hat, aus Erythrai
war; der name ist also mysisch. CIA IV p. 86 nennt ein Kriton seinen vater Skythes,
7.
DER ATHENISCHE NAME.


Aristoteles (21, 4) berichtet aus der chronik, daſs die bezeichnungDie ordnung
des
Kleisthenes.

des athenischen bürgers durch den demosnamen von Kleisthenes einge-
führt sei, und zwar mit der absicht, die neubürger vollkommen gleich
zu stellen, welche die bezeichnung durch den vatersnamen kenntlich
gemacht haben würde. daher käme es daſs sich die Athener selbst mit
dem demotikon nennten. 1) die uns geläufige attische sitte vereinigt die
bezeichnungen nach dem vater und dem demos, die hier einander gegen-
über gestellt werden, und das ist im vierten jahrhundert auch die offi-
zielle bezeichnung, z. b. auf den richtertäfelchen (Ar. 63, 4). aber der
aristotelische bericht hat keinen sinn, wenn nicht Kleisthenes den vaters-
namen durch den demos hat ersetzen wollen. denn wenn die bezeich-
nung nach dem vater die neubürger überhaupt kenntlich machen konnte,
so tat der zusatz Ἀλωκεκῆϑεν weder etwas davon noch dazu, solange
der vatersname in offiziellem gebrauche war. Kleisthenes hat also den
vatersnamen abschaffen wollen.

Wie aber konnte der vater die neubürger kenntlich machen? ihre
väter hieſsen doch nicht alle Manes oder Skythes, und barbarische oder
doch fremde namen sind auch in ächt bürgerlichen familien durchaus
nicht unerhört. 2) auch hier ist nur eine antwort möglich: die neubürger
hatten gar keinen vater.


1) Man muſs nur scharf die officielle bezeichnung ἀναγοϱεύειν, die anrede
πϱοσαγοϱεύειν und die selbstbezeichnung καλεῖν σφᾶς αὐτούς unterscheiden, dann
ist der satz weder der zusätze, auch nur des wörtchens νῦν, das wir eingefügt
haben, noch der abstriche, die von anderen beliebt sind, bedürftig.
2) Z. b. Sibyrtios ist im fünften jahrhundert verbreitet und gar nicht niedrig,
und doch gehört er ersichtlich mit dem frauennamen Σίβυλλα zusammen, dessen
berühmteste trägerin, die ihn erst zu einem gattungsnamen gemacht hat, aus Erythrai
war; der name ist also mysisch. CIA IV p. 86 nennt ein Kriton seinen vater Skythes,
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[[169]/0179] 7. DER ATHENISCHE NAME. Aristoteles (21, 4) berichtet aus der chronik, daſs die bezeichnung des athenischen bürgers durch den demosnamen von Kleisthenes einge- führt sei, und zwar mit der absicht, die neubürger vollkommen gleich zu stellen, welche die bezeichnung durch den vatersnamen kenntlich gemacht haben würde. daher käme es daſs sich die Athener selbst mit dem demotikon nennten. 1) die uns geläufige attische sitte vereinigt die bezeichnungen nach dem vater und dem demos, die hier einander gegen- über gestellt werden, und das ist im vierten jahrhundert auch die offi- zielle bezeichnung, z. b. auf den richtertäfelchen (Ar. 63, 4). aber der aristotelische bericht hat keinen sinn, wenn nicht Kleisthenes den vaters- namen durch den demos hat ersetzen wollen. denn wenn die bezeich- nung nach dem vater die neubürger überhaupt kenntlich machen konnte, so tat der zusatz Ἀλωκεκῆϑεν weder etwas davon noch dazu, solange der vatersname in offiziellem gebrauche war. Kleisthenes hat also den vatersnamen abschaffen wollen. Die ordnung des Kleisthenes. Wie aber konnte der vater die neubürger kenntlich machen? ihre väter hieſsen doch nicht alle Manes oder Skythes, und barbarische oder doch fremde namen sind auch in ächt bürgerlichen familien durchaus nicht unerhört. 2) auch hier ist nur eine antwort möglich: die neubürger hatten gar keinen vater. 1) Man muſs nur scharf die officielle bezeichnung ἀναγοϱεύειν, die anrede πϱοσαγοϱεύειν und die selbstbezeichnung καλεῖν σφᾶς αὐτούς unterscheiden, dann ist der satz weder der zusätze, auch nur des wörtchens νῦν, das wir eingefügt haben, noch der abstriche, die von anderen beliebt sind, bedürftig. 2) Z. b. Sibyrtios ist im fünften jahrhundert verbreitet und gar nicht niedrig, und doch gehört er ersichtlich mit dem frauennamen Σίβυλλα zusammen, dessen berühmteste trägerin, die ihn erst zu einem gattungsnamen gemacht hat, aus Erythrai war; der name ist also mysisch. CIA IV p. 86 nennt ein Kriton seinen vater Skythes,

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. [169]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/179>, abgerufen am 28.03.2024.