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Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

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2. Kap. Von der Entstehungsart
was für eine Kraft, mit was für einem Werkzeu-
ge geschiehet solches?

§. 22.
Völlige Erklä-
rung der Ent-
stehungsart
der Gefäße.

Jch will machen, daß mein Leser
dieses alles und mithin die ganze Ent-
stehungsart der Gefäße und der Zellen
selbst erfinden soll. Jch will Jhn nur
an einige Dinge erinnern, die ihm auch sonst,
wenn ich ihm Zeit genug gelassen hätte, von selbst
würden eingefallen seyn. Der Theil, durch des-
sen Exempel sich die Erinnerungen am besten er-
klären lassen, ist wieder der Saamen der Bohne.
Dieser ist durch einen kleinen Stengel an der Saa-
menkapsel befestiget. Der Saamen, wenn er er-
wachsen ist, besteht aus lauter Bläschen, der
Stengel aber aus lauter Gefäßen. Nun stellen
Sie sich beyde in ihrem allerersten Zustande vor,
wo der Saamen in Gestalt eines Kügelchens noch
ohne Zellen, und der kleine Stengel ohne Gefäße,
beyde durchgängig solide und dabey sehr zart und
weich zum Vorschein kommen. Der Saame wächst
in diesem Zustande stärker, als wenn er älter ist.
Die Nahrungssäfte müssen also aus der Saamen-
kapsel durch den Stengel in den Saamen getrie-
ben werden, und sich darin anlegen. Nun hat
aber der Stengel keine Hölen, durch welche der
Saft frey durchgehen könnte, sondern er besteht
aus einer durchgängig soliden, ob gleich sehr zar-
ten und weichen Substanz. Der Saft muß also
nothwendig eine Kraft besitzen, vermittelst welcher
derselbe, obgleich in den allersubtilsten Tropfen,

durch

2. Kap. Von der Entſtehungsart
was fuͤr eine Kraft, mit was fuͤr einem Werkzeu-
ge geſchiehet ſolches?

§. 22.
Völlige Erklä-
rung der Ent-
ſtehungsart
der Gefäße.

Jch will machen, daß mein Leſer
dieſes alles und mithin die ganze Ent-
ſtehungsart der Gefaͤße und der Zellen
ſelbſt erfinden ſoll. Jch will Jhn nur
an einige Dinge erinnern, die ihm auch ſonſt,
wenn ich ihm Zeit genug gelaſſen haͤtte, von ſelbſt
wuͤrden eingefallen ſeyn. Der Theil, durch deſ-
ſen Exempel ſich die Erinnerungen am beſten er-
klaͤren laſſen, iſt wieder der Saamen der Bohne.
Dieſer iſt durch einen kleinen Stengel an der Saa-
menkapſel befeſtiget. Der Saamen, wenn er er-
wachſen iſt, beſteht aus lauter Blaͤschen, der
Stengel aber aus lauter Gefaͤßen. Nun ſtellen
Sie ſich beyde in ihrem allererſten Zuſtande vor,
wo der Saamen in Geſtalt eines Kuͤgelchens noch
ohne Zellen, und der kleine Stengel ohne Gefaͤße,
beyde durchgaͤngig ſolide und dabey ſehr zart und
weich zum Vorſchein kommen. Der Saame waͤchſt
in dieſem Zuſtande ſtaͤrker, als wenn er aͤlter iſt.
Die Nahrungsſaͤfte muͤſſen alſo aus der Saamen-
kapſel durch den Stengel in den Saamen getrie-
ben werden, und ſich darin anlegen. Nun hat
aber der Stengel keine Hoͤlen, durch welche der
Saft frey durchgehen koͤnnte, ſondern er beſteht
aus einer durchgaͤngig ſoliden, ob gleich ſehr zar-
ten und weichen Subſtanz. Der Saft muß alſo
nothwendig eine Kraft beſitzen, vermittelſt welcher
derſelbe, obgleich in den allerſubtilſten Tropfen,

durch
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[156/0178] 2. Kap. Von der Entſtehungsart was fuͤr eine Kraft, mit was fuͤr einem Werkzeu- ge geſchiehet ſolches? §. 22. Jch will machen, daß mein Leſer dieſes alles und mithin die ganze Ent- ſtehungsart der Gefaͤße und der Zellen ſelbſt erfinden ſoll. Jch will Jhn nur an einige Dinge erinnern, die ihm auch ſonſt, wenn ich ihm Zeit genug gelaſſen haͤtte, von ſelbſt wuͤrden eingefallen ſeyn. Der Theil, durch deſ- ſen Exempel ſich die Erinnerungen am beſten er- klaͤren laſſen, iſt wieder der Saamen der Bohne. Dieſer iſt durch einen kleinen Stengel an der Saa- menkapſel befeſtiget. Der Saamen, wenn er er- wachſen iſt, beſteht aus lauter Blaͤschen, der Stengel aber aus lauter Gefaͤßen. Nun ſtellen Sie ſich beyde in ihrem allererſten Zuſtande vor, wo der Saamen in Geſtalt eines Kuͤgelchens noch ohne Zellen, und der kleine Stengel ohne Gefaͤße, beyde durchgaͤngig ſolide und dabey ſehr zart und weich zum Vorſchein kommen. Der Saame waͤchſt in dieſem Zuſtande ſtaͤrker, als wenn er aͤlter iſt. Die Nahrungsſaͤfte muͤſſen alſo aus der Saamen- kapſel durch den Stengel in den Saamen getrie- ben werden, und ſich darin anlegen. Nun hat aber der Stengel keine Hoͤlen, durch welche der Saft frey durchgehen koͤnnte, ſondern er beſteht aus einer durchgaͤngig ſoliden, ob gleich ſehr zar- ten und weichen Subſtanz. Der Saft muß alſo nothwendig eine Kraft beſitzen, vermittelſt welcher derſelbe, obgleich in den allerſubtilſten Tropfen, durch

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Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/178>, abgerufen am 23.04.2024.