Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

gekommen zu sein. Der Anfang der Entwicklungsreihe
aber, in der unsere heutige Philosophie liegt, ist Kant,
und die wissenschaftliche Leistung, mit der Kant der
Philosophie eine neue Bahn brach, ist seine Theorie des
Erkennens. Auf diese Untersuchung wird Jeder, der
die Grundlagen unserer Philosophie verbessern will, vor
Allem zurückgehen, und die Fragen, welche sich Kant
vorlegte, im Geist seiner Kritik neu untersuchen müssen,
um durch die wissenschaftlichen Erfahrungen unseres
Jahrhunderts bereichert, die Fehler, welche Kant machte,
zu vermeiden.

Es wird eine von den wichtigsten Aufgaben der
gegenwärtigen Vorlesung sein, die Ergebnisse zu be¬
stimmen, welche sich auf diesem Wege gewinnen lassen;
in dieser einleitenden Erörterung können sie nur mit
leichten Strichen, und ohne eine genauere wissenschaft¬
liche Begründung, bezeichnet werden.

Die erste Frage ist die nach den Quellen, aus denen
unsere Vorstellungen entspringen. Die Bestimmungen,
welche Kant in dieser Beziehung aufgestellt hat, muss
ich in der Hauptsache als richtig anerkennen. Ich kann
nicht zugeben, dass in dem Inhalt unserer Vorstellungen
über das Wirkliche irgend etwas vorkommt, das nicht
mittelbar oder unmittelbar aus der Erfahrung, der in¬
neren oder der äusseren, herstammte; denn wie sollte
die Seele zu diesem Inhalt gelangen, und wie lässt sich
mit jener Annahme die Thatsache vereinigen, dass allen
unseren Vorstellungen ohne Ausnahme, wenn wir genauer

gekommen zu sein. Der Anfang der Entwicklungsreihe
aber, in der unsere heutige Philosophie liegt, ist Kant,
und die wissenschaftliche Leistung, mit der Kant der
Philosophie eine neue Bahn brach, ist seine Theorie des
Erkennens. Auf diese Untersuchung wird Jeder, der
die Grundlagen unserer Philosophie verbessern will, vor
Allem zurückgehen, und die Fragen, welche sich Kant
vorlegte, im Geist seiner Kritik neu untersuchen müssen,
um durch die wissenschaftlichen Erfahrungen unseres
Jahrhunderts bereichert, die Fehler, welche Kant machte,
zu vermeiden.

Es wird eine von den wichtigsten Aufgaben der
gegenwärtigen Vorlesung sein, die Ergebnisse zu be¬
stimmen, welche sich auf diesem Wege gewinnen lassen;
in dieser einleitenden Erörterung können sie nur mit
leichten Strichen, und ohne eine genauere wissenschaft¬
liche Begründung, bezeichnet werden.

Die erste Frage ist die nach den Quellen, aus denen
unsere Vorstellungen entspringen. Die Bestimmungen,
welche Kant in dieser Beziehung aufgestellt hat, muss
ich in der Hauptsache als richtig anerkennen. Ich kann
nicht zugeben, dass in dem Inhalt unserer Vorstellungen
über das Wirkliche irgend etwas vorkommt, das nicht
mittelbar oder unmittelbar aus der Erfahrung, der in¬
neren oder der äusseren, herstammte; denn wie sollte
die Seele zu diesem Inhalt gelangen, und wie lässt sich
mit jener Annahme die Thatsache vereinigen, dass allen
unseren Vorstellungen ohne Ausnahme, wenn wir genauer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="21"/>
gekommen zu sein. Der Anfang der Entwicklungsreihe<lb/>
aber, in der unsere heutige Philosophie liegt, ist <hi rendition="#g">Kant</hi>,<lb/>
und die wissenschaftliche Leistung, mit der Kant der<lb/>
Philosophie eine neue Bahn brach, ist seine Theorie des<lb/>
Erkennens. Auf diese Untersuchung wird Jeder, der<lb/>
die Grundlagen unserer Philosophie verbessern will, vor<lb/>
Allem zurückgehen, und die Fragen, welche sich Kant<lb/>
vorlegte, im Geist seiner Kritik neu untersuchen müssen,<lb/>
um durch die wissenschaftlichen Erfahrungen unseres<lb/>
Jahrhunderts bereichert, die Fehler, welche Kant machte,<lb/>
zu vermeiden.</p><lb/>
        <p>Es wird eine von den wichtigsten Aufgaben der<lb/>
gegenwärtigen Vorlesung sein, die Ergebnisse zu be¬<lb/>
stimmen, welche sich auf diesem Wege gewinnen lassen;<lb/>
in dieser einleitenden Erörterung können sie nur mit<lb/>
leichten Strichen, und ohne eine genauere wissenschaft¬<lb/>
liche Begründung, bezeichnet werden.</p><lb/>
        <p>Die erste Frage ist die nach den Quellen, aus denen<lb/>
unsere Vorstellungen entspringen. Die Bestimmungen,<lb/>
welche Kant in dieser Beziehung aufgestellt hat, muss<lb/>
ich in der Hauptsache als richtig anerkennen. Ich kann<lb/>
nicht zugeben, dass in dem Inhalt unserer Vorstellungen<lb/>
über das Wirkliche irgend etwas vorkommt, das nicht<lb/>
mittelbar oder unmittelbar aus der Erfahrung, der in¬<lb/>
neren oder der äusseren, herstammte; denn wie sollte<lb/>
die Seele zu diesem Inhalt gelangen, und wie lässt sich<lb/>
mit jener Annahme die Thatsache vereinigen, dass allen<lb/>
unseren Vorstellungen ohne Ausnahme, wenn wir genauer<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0025] gekommen zu sein. Der Anfang der Entwicklungsreihe aber, in der unsere heutige Philosophie liegt, ist Kant, und die wissenschaftliche Leistung, mit der Kant der Philosophie eine neue Bahn brach, ist seine Theorie des Erkennens. Auf diese Untersuchung wird Jeder, der die Grundlagen unserer Philosophie verbessern will, vor Allem zurückgehen, und die Fragen, welche sich Kant vorlegte, im Geist seiner Kritik neu untersuchen müssen, um durch die wissenschaftlichen Erfahrungen unseres Jahrhunderts bereichert, die Fehler, welche Kant machte, zu vermeiden. Es wird eine von den wichtigsten Aufgaben der gegenwärtigen Vorlesung sein, die Ergebnisse zu be¬ stimmen, welche sich auf diesem Wege gewinnen lassen; in dieser einleitenden Erörterung können sie nur mit leichten Strichen, und ohne eine genauere wissenschaft¬ liche Begründung, bezeichnet werden. Die erste Frage ist die nach den Quellen, aus denen unsere Vorstellungen entspringen. Die Bestimmungen, welche Kant in dieser Beziehung aufgestellt hat, muss ich in der Hauptsache als richtig anerkennen. Ich kann nicht zugeben, dass in dem Inhalt unserer Vorstellungen über das Wirkliche irgend etwas vorkommt, das nicht mittelbar oder unmittelbar aus der Erfahrung, der in¬ neren oder der äusseren, herstammte; denn wie sollte die Seele zu diesem Inhalt gelangen, und wie lässt sich mit jener Annahme die Thatsache vereinigen, dass allen unseren Vorstellungen ohne Ausnahme, wenn wir genauer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/25
Zitationshilfe: Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/25>, abgerufen am 16.04.2024.