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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Herz sei. Dies war auch so auffallend, daß sich selbst die Herbesheimerinnen zuletzt überzeugten, hier gelte statt der Regel die Ausnahme; denn kein Blick, kein Mienenzug, keine Bewegung, keine eigene Betonung der Stimme, und was die Liebe sonst für Buchstaben in ihrem Alphabete haben mag, verrieth etwas Anderes, als einen reinen geschwisterlichen Stand der Dinge aus der Knaben- und Kleinen-Mädchen-Zeit.

Am frühesten würde der Feinblick der Frau Bantes allfälligen Herzensunfug erlauscht haben (Frauen haben dafür einen eigenen Sinn, der den Männern fehlt), aber sie erlauerte nichts und blieb beruhigt. Herr Bantes dachte an solche Möglichkeiten gar nicht. Er selbst hatte in seinem Leben von dem, was man Liebe nennt, keine Vorstellung gehabt, und würde eben so leicht gefürchtet haben, seine Tochter könne einmal wahnsinnig werden, als sie könne einmal irgend einen jungen Mann um seines Selbstes willen leidenschaftlich lieben. Er wußte, daß Frau Bantes schon seine Braut gewesen, ehe sie ihn nur von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Und er war Bräutigam geworden und hatte dem Vater sein Jawort gegeben, sobald er wußte, seine Zukünftige sei ein braves Mädchen, Tochter eines soliden Hauses, bringe dreißigtausend Thaler mit und habe noch weit mehr durch Erbschaft zu erwarten.

Dies Verfahren in Ehestands- und Verlobungsgeschäften, von dem ihm seine Erfahrung den unleugbarsten Beweis der Güte gegeben (denn er war einer

Herz sei. Dies war auch so auffallend, daß sich selbst die Herbesheimerinnen zuletzt überzeugten, hier gelte statt der Regel die Ausnahme; denn kein Blick, kein Mienenzug, keine Bewegung, keine eigene Betonung der Stimme, und was die Liebe sonst für Buchstaben in ihrem Alphabete haben mag, verrieth etwas Anderes, als einen reinen geschwisterlichen Stand der Dinge aus der Knaben- und Kleinen-Mädchen-Zeit.

Am frühesten würde der Feinblick der Frau Bantes allfälligen Herzensunfug erlauscht haben (Frauen haben dafür einen eigenen Sinn, der den Männern fehlt), aber sie erlauerte nichts und blieb beruhigt. Herr Bantes dachte an solche Möglichkeiten gar nicht. Er selbst hatte in seinem Leben von dem, was man Liebe nennt, keine Vorstellung gehabt, und würde eben so leicht gefürchtet haben, seine Tochter könne einmal wahnsinnig werden, als sie könne einmal irgend einen jungen Mann um seines Selbstes willen leidenschaftlich lieben. Er wußte, daß Frau Bantes schon seine Braut gewesen, ehe sie ihn nur von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Und er war Bräutigam geworden und hatte dem Vater sein Jawort gegeben, sobald er wußte, seine Zukünftige sei ein braves Mädchen, Tochter eines soliden Hauses, bringe dreißigtausend Thaler mit und habe noch weit mehr durch Erbschaft zu erwarten.

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[0029] Herz sei. Dies war auch so auffallend, daß sich selbst die Herbesheimerinnen zuletzt überzeugten, hier gelte statt der Regel die Ausnahme; denn kein Blick, kein Mienenzug, keine Bewegung, keine eigene Betonung der Stimme, und was die Liebe sonst für Buchstaben in ihrem Alphabete haben mag, verrieth etwas Anderes, als einen reinen geschwisterlichen Stand der Dinge aus der Knaben- und Kleinen-Mädchen-Zeit. Am frühesten würde der Feinblick der Frau Bantes allfälligen Herzensunfug erlauscht haben (Frauen haben dafür einen eigenen Sinn, der den Männern fehlt), aber sie erlauerte nichts und blieb beruhigt. Herr Bantes dachte an solche Möglichkeiten gar nicht. Er selbst hatte in seinem Leben von dem, was man Liebe nennt, keine Vorstellung gehabt, und würde eben so leicht gefürchtet haben, seine Tochter könne einmal wahnsinnig werden, als sie könne einmal irgend einen jungen Mann um seines Selbstes willen leidenschaftlich lieben. Er wußte, daß Frau Bantes schon seine Braut gewesen, ehe sie ihn nur von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Und er war Bräutigam geworden und hatte dem Vater sein Jawort gegeben, sobald er wußte, seine Zukünftige sei ein braves Mädchen, Tochter eines soliden Hauses, bringe dreißigtausend Thaler mit und habe noch weit mehr durch Erbschaft zu erwarten. Dies Verfahren in Ehestands- und Verlobungsgeschäften, von dem ihm seine Erfahrung den unleugbarsten Beweis der Güte gegeben (denn er war einer

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/29>, abgerufen am 28.03.2024.