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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wenn der Eilwagen durch das Dorf fuhr, erwachte er; er hoffte wieder Ruhe zu finden, wenn er aus dem lärmenden Dorfe weg sei und wieder auf seinem stillen Berge wohnte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

An der Hochzeit des jungen Kübler mit der Bruderstochter Diethelm's, die dieser reichlich ausstattete, zeigte sich, was die berittene Mannschaft zweier Dörfer verprassen kann, und noch dazu, wenn es auf fremde Kosten geht; dem Diethelm war nichts zu viel, und er ermunterte noch Jeglichen zu Essen und Trinken. Das Faß Uhlbacher wurde richtig ausgetrunken, und Diethelm, dem der Arzt seinen Leibwein verboten hatte, machte heute eine Ausnahme und half wacker mit, denn er verband mit diesem Tage noch ein zweites Fest.

Seit acht Tagen war Munde vom Militär heimgekehrt, er war frei und hatte nur noch durch drei Jahre die gewöhnlichen Herbstübungen mit zu machen. Da Diethelm Schultheiß geworden war, mußte ihm Munde seinen Urlaubspaß übergeben; er wartete ab, bis Diethelm mit dem Gemeinderath auf dem Rathhaus war, und übergab dort das Schriftliche ohne aufzuschauen und nannte ihn stets "Herr Schultheiß". Diethelm hielt gerade ein Anschreiben vom Amte in der Hand, als Munde eintrat und sprach. Von heftigem Schreck erfaßt, starrte er eine Weile hinein in das Papier, auf dem die Buchstaben seltsam in einander krochen. Der Klang der Bruderstimme hatte Diethelm mächtig erschüttert. Die Einbildungskraft kann sich zu Leid und Freud' das ganze Wesen und Gehaben eines Verstorbenen in die lebendige Erinnerung stellen, eines aber vermag sie nicht aus sich

wenn der Eilwagen durch das Dorf fuhr, erwachte er; er hoffte wieder Ruhe zu finden, wenn er aus dem lärmenden Dorfe weg sei und wieder auf seinem stillen Berge wohnte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

An der Hochzeit des jungen Kübler mit der Bruderstochter Diethelm's, die dieser reichlich ausstattete, zeigte sich, was die berittene Mannschaft zweier Dörfer verprassen kann, und noch dazu, wenn es auf fremde Kosten geht; dem Diethelm war nichts zu viel, und er ermunterte noch Jeglichen zu Essen und Trinken. Das Faß Uhlbacher wurde richtig ausgetrunken, und Diethelm, dem der Arzt seinen Leibwein verboten hatte, machte heute eine Ausnahme und half wacker mit, denn er verband mit diesem Tage noch ein zweites Fest.

Seit acht Tagen war Munde vom Militär heimgekehrt, er war frei und hatte nur noch durch drei Jahre die gewöhnlichen Herbstübungen mit zu machen. Da Diethelm Schultheiß geworden war, mußte ihm Munde seinen Urlaubspaß übergeben; er wartete ab, bis Diethelm mit dem Gemeinderath auf dem Rathhaus war, und übergab dort das Schriftliche ohne aufzuschauen und nannte ihn stets „Herr Schultheiß“. Diethelm hielt gerade ein Anschreiben vom Amte in der Hand, als Munde eintrat und sprach. Von heftigem Schreck erfaßt, starrte er eine Weile hinein in das Papier, auf dem die Buchstaben seltsam in einander krochen. Der Klang der Bruderstimme hatte Diethelm mächtig erschüttert. Die Einbildungskraft kann sich zu Leid und Freud' das ganze Wesen und Gehaben eines Verstorbenen in die lebendige Erinnerung stellen, eines aber vermag sie nicht aus sich

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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/156>, abgerufen am 26.04.2024.