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Allgemeine Zeitung. Nr. 14. Augsburg, 14. Januar 1840.

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Form für die Gouverneurs- und Ministerrechnungen, die Verordnungen über die Wege und die freien Bauern, alle diese Actenstücke bilden im Archiv des Ministeriums des Innern eine merkwürdige Sammlung von Musteracten von Speransky's Hand. Zugleich fuhr man in den Bestrebungen fort, Civil-, Criminal- und Handelsgesetzgebung unter Speransky's Leitung zu verbessern.

Im Jahr 1809 wurde er im Laufe dieser ungeheuren Arbeiten und Leistungen Geheimer Rath, aber trotz derselben gelang es dem Neide und dem Hasse, ihn zu verleumden, ihn als dieses schwer erworbenen höchsten Vertrauens unwürdig darzustellen. In seinen Umgestaltungsversuchen, die überall darauf berechnet waren, Verdienst und Uneigennützigkeit an die gebührende Stelle zu rufen, hatte Speransky natürlich manche Eitelkeit kränken, manches Vorurtheil verletzen, manches Interesse beeinträchtigen müssen, und als im J. 1812 der Feind sich den Gränzen Rußlands näherte, gelang es in der Verwirrung aller Verhältnisse einem oft gebrauchten Kunstgriffe, Speransky, der noch auf das thätigste an der Bildung der großen activen Armee mitarbeitete, zu stürzen; man scheute sich nicht, denjenigen eines Einverständnisses nach außen zu beschuldigen, der alle Kräfte dem Vaterlande gewidmet, der dem Dienste seines Monarchen alle Lebensfreuden geopfert hatte, dessen letztes Wort im Gebet für Rußlands Wohl erstarb! Er sah zuletzt das Gewitter sich über seinem Haupte zusammenziehen und wollte ihm durch schnelle Resignation auf seine öffentliche Stellung ausweichen - allein schon war es zu spät, schon war sein Schicksal unterzeichnet; unversehens ward er ins Exil geführt: zuerst nach Nischnei-Nowgorod, später nach Perm. Hier erlitt er alle Bedrängnisse der Verbannung, war genöthigt seines Unterhaltes wegen sich des Nöthigsten zu entäußern und zuletzt sein einziges Kind, an dem seine ganze Seele hing, weil er es dort nicht mehr ernähren konnte, auf ein kleines Gütchen, das er bei Nowgorod besaß, zu schicken. Doch auch jetzt verließen Speransky weder seine innere Ruhe, noch sein moralischer Muth, noch seine Liebe zur Thätigkeit. Durch sein letztes Schicksal und seine Lage mehr auf ein beschauliches Leben hingewiesen, griff er seine frühesten geistlichen Beschäftigungen wieder auf, und übersetzte namentlich die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis aus dem Lateinischen in das Russische, auch machte er eine etwas freiere Zusammenstellung aus den übrigen Werken desselben Schriftstellers. Das Hebräische, das er bis dahin nur in seinen Elementen gekannt hatte, erlernte er gründlich. Auch nahm er in dieser Zeit die Gewohnheit an, die er später nie mehr aufgegeben hat, mit der Feder in der Hand zu denken, und die Resultate seines Nachdenkens sogleich aufzuzeichnen; dieser glückliche Umstand hat der Nachkommenschaft einen reichen Schatz von Ideen dieses geistreichen Mannes erhalten. Später ward ihm gestattet, gleichfalls auf seine Besitzung bei Nowgorod zu ziehen, wo er seine Zeit zwischen theologischen und philosophischen Studien und der Erziehung seiner Tochter theilte. Die gewissenhafte Sorgfalt, mit welcher er diese Erziehung leitete, ward ihm reichlich vergolten, denn diese Tochter ward ihm später mehr als Trost, sie ward ihm Freundin, und hat ihn, selbst nach ihrer Vermählung, niemals mehr, oder doch, von gebieterischen Verhältnissen genöthigt, nur auf kurze Zeit verlassen.

(Beschluß folgt.)


Verschiedenheit innerer Zustände in den zu Rußland und zu deutschen Staaten gehörigen polnischen Landestheilen.

Nicht leicht mögen jemals die innern Zustände in den losgetrennten Theilen eines Landes, welches noch in das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts hinein ein Ganzes bildete, innerhalb eines so kurzen Zeitraums mehr auseinander gezogen worden seyn, als die des alten Polens. In der That, nichts erscheint verschiedener als die Lage der Polen in Oesterreich und Preußen von der in Rußland. Sie stellt sich gegen einander wie Licht und Schatten. Dort erregen sichtbare Fortschritte, besonders in Folge der geweckten, lauteren Strebsamkeit der Landeseingebornen, erfreuliche Hoffnungen, und man möchte bei ihrem Anblick sagen: Polen hat eine Zukunft. Hier geben sich offenbare Rückgänge in allen Dingen kund, daß man traurig den Blick abkehrt und sich zagend fragt: wie soll das enden? Es ist an sich wichtig genug, Deutsch-Polen gegen Russisch-Polen spiegelnd und mahnend zu halten; auch in nicht anderem als solchem Vergleich beruht hauptsächlich die Geschichte Polens, seitdem sie dem Stoff nach an die der drei östlichen Mächte geknüpft und vertheilt worden ist, welche sich Polen einverleibt haben. Doch ein anderer Umstand verleiht solcher Vergleichung noch ein besonderes Interesse, nämlich der, daß daraus die innere Politik jener Mächte in ihrer ganzen Verschiedenheit reflectirt, daß sie gleichsam ein Spiegel ist, worin man die Staatsphysiognomien von Oesterreich, Preußen und Rußland auf das deutlichste wieder erkennt. Ich will mich hierbei auf Thatsachen stützen, die so schlagend sind, daß sie weitläufiger Commentare nicht erst bedürfen; doch darf man in Folgendem nicht vergessen, daß, wie ungünstig diese auch gegen Rußland ausschlagen dürften, man ohne Zweifel berechtigt ist, an Oesterreich und Preußen von vornherein auch weit höhere Anforderungen zu stellen.

Während im Königreich Polen nicht ein einziges des Nennens werthes Journal herauskommt, erscheinen bloß im Großherzogthum Posen ihrer sieben in polnischer Sprache, wovon keines sich mit Politik befaßt. In der Provincialhauptstadt Posen kommen das litterarische Wochenblatt (Tygodnik Literacki) und eine Art von litterarischem Magazin heraus, das sich in zwanglosen Heften mit Mancherlei befaßt; dann wird jetzt neuerdings ein Tagblatt fürs Haus (Dziennik dvenowy), von Kamienski redigirt, herausgegeben; auch beabsichtigen zwei der bis vor kurzem thätigsten Mitarbeiter des litterarischen Wochenblatts, die sich mit dessen Redacteur Woykowski überworfen haben, ein neues litterarisches Blatt zu begründen. Alle übrigen polnischen Journale der Provinz erscheinen in der kleinen Stadt Lissa, die kaum 5000 Einwohner zählt, und zwar, bezeichnend genug, aus keinem andern Grunde, als weil hier die Beamten weniger stören und geniren, als in der weit volkreichern, auch an litterarischen Hülfsquellen ungleich reichern Stadt Posen. Sie sind: 1) eine Zeitschrift für Theologie und kirchliche Gegenstände; 2) der Führer für Wirthschaft und Gewerbe (Przewodnik rolniczo-przesnystowy), ein sehr gemeinnütziges, dem Gewerbfleiß dienendes Blatt, das viele Mitarbeiter zählt; 3) die Sonntagsschule für Bauern (Szkotka Niedzielna), ebenfalls ein sehr nützliches Blatt; 4) der Volksfreund (Przyjaciel ludu), eine Art von mit Holzschnitten reichlich ausgestatteten Pfennigmagazin. Außer diesen periodischen Schriften tritt im Großherzogthum eine immer größere Menge von Büchern gelehrten, historischen, wissenschaftlichen Inhalts oder zu populärer Belehrung und für gewerbliche Interessen ans Licht. In der That, bei solchen erfreulichen Thatsachen braucht man noch nicht um den Verfall der polnischen Litteratur und


Form für die Gouverneurs- und Ministerrechnungen, die Verordnungen über die Wege und die freien Bauern, alle diese Actenstücke bilden im Archiv des Ministeriums des Innern eine merkwürdige Sammlung von Musteracten von Speransky's Hand. Zugleich fuhr man in den Bestrebungen fort, Civil-, Criminal- und Handelsgesetzgebung unter Speransky's Leitung zu verbessern.

Im Jahr 1809 wurde er im Laufe dieser ungeheuren Arbeiten und Leistungen Geheimer Rath, aber trotz derselben gelang es dem Neide und dem Hasse, ihn zu verleumden, ihn als dieses schwer erworbenen höchsten Vertrauens unwürdig darzustellen. In seinen Umgestaltungsversuchen, die überall darauf berechnet waren, Verdienst und Uneigennützigkeit an die gebührende Stelle zu rufen, hatte Speransky natürlich manche Eitelkeit kränken, manches Vorurtheil verletzen, manches Interesse beeinträchtigen müssen, und als im J. 1812 der Feind sich den Gränzen Rußlands näherte, gelang es in der Verwirrung aller Verhältnisse einem oft gebrauchten Kunstgriffe, Speransky, der noch auf das thätigste an der Bildung der großen activen Armee mitarbeitete, zu stürzen; man scheute sich nicht, denjenigen eines Einverständnisses nach außen zu beschuldigen, der alle Kräfte dem Vaterlande gewidmet, der dem Dienste seines Monarchen alle Lebensfreuden geopfert hatte, dessen letztes Wort im Gebet für Rußlands Wohl erstarb! Er sah zuletzt das Gewitter sich über seinem Haupte zusammenziehen und wollte ihm durch schnelle Resignation auf seine öffentliche Stellung ausweichen – allein schon war es zu spät, schon war sein Schicksal unterzeichnet; unversehens ward er ins Exil geführt: zuerst nach Nischnei-Nowgorod, später nach Perm. Hier erlitt er alle Bedrängnisse der Verbannung, war genöthigt seines Unterhaltes wegen sich des Nöthigsten zu entäußern und zuletzt sein einziges Kind, an dem seine ganze Seele hing, weil er es dort nicht mehr ernähren konnte, auf ein kleines Gütchen, das er bei Nowgorod besaß, zu schicken. Doch auch jetzt verließen Speransky weder seine innere Ruhe, noch sein moralischer Muth, noch seine Liebe zur Thätigkeit. Durch sein letztes Schicksal und seine Lage mehr auf ein beschauliches Leben hingewiesen, griff er seine frühesten geistlichen Beschäftigungen wieder auf, und übersetzte namentlich die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis aus dem Lateinischen in das Russische, auch machte er eine etwas freiere Zusammenstellung aus den übrigen Werken desselben Schriftstellers. Das Hebräische, das er bis dahin nur in seinen Elementen gekannt hatte, erlernte er gründlich. Auch nahm er in dieser Zeit die Gewohnheit an, die er später nie mehr aufgegeben hat, mit der Feder in der Hand zu denken, und die Resultate seines Nachdenkens sogleich aufzuzeichnen; dieser glückliche Umstand hat der Nachkommenschaft einen reichen Schatz von Ideen dieses geistreichen Mannes erhalten. Später ward ihm gestattet, gleichfalls auf seine Besitzung bei Nowgorod zu ziehen, wo er seine Zeit zwischen theologischen und philosophischen Studien und der Erziehung seiner Tochter theilte. Die gewissenhafte Sorgfalt, mit welcher er diese Erziehung leitete, ward ihm reichlich vergolten, denn diese Tochter ward ihm später mehr als Trost, sie ward ihm Freundin, und hat ihn, selbst nach ihrer Vermählung, niemals mehr, oder doch, von gebieterischen Verhältnissen genöthigt, nur auf kurze Zeit verlassen.

(Beschluß folgt.)


Verschiedenheit innerer Zustände in den zu Rußland und zu deutschen Staaten gehörigen polnischen Landestheilen.

Nicht leicht mögen jemals die innern Zustände in den losgetrennten Theilen eines Landes, welches noch in das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts hinein ein Ganzes bildete, innerhalb eines so kurzen Zeitraums mehr auseinander gezogen worden seyn, als die des alten Polens. In der That, nichts erscheint verschiedener als die Lage der Polen in Oesterreich und Preußen von der in Rußland. Sie stellt sich gegen einander wie Licht und Schatten. Dort erregen sichtbare Fortschritte, besonders in Folge der geweckten, lauteren Strebsamkeit der Landeseingebornen, erfreuliche Hoffnungen, und man möchte bei ihrem Anblick sagen: Polen hat eine Zukunft. Hier geben sich offenbare Rückgänge in allen Dingen kund, daß man traurig den Blick abkehrt und sich zagend fragt: wie soll das enden? Es ist an sich wichtig genug, Deutsch-Polen gegen Russisch-Polen spiegelnd und mahnend zu halten; auch in nicht anderem als solchem Vergleich beruht hauptsächlich die Geschichte Polens, seitdem sie dem Stoff nach an die der drei östlichen Mächte geknüpft und vertheilt worden ist, welche sich Polen einverleibt haben. Doch ein anderer Umstand verleiht solcher Vergleichung noch ein besonderes Interesse, nämlich der, daß daraus die innere Politik jener Mächte in ihrer ganzen Verschiedenheit reflectirt, daß sie gleichsam ein Spiegel ist, worin man die Staatsphysiognomien von Oesterreich, Preußen und Rußland auf das deutlichste wieder erkennt. Ich will mich hierbei auf Thatsachen stützen, die so schlagend sind, daß sie weitläufiger Commentare nicht erst bedürfen; doch darf man in Folgendem nicht vergessen, daß, wie ungünstig diese auch gegen Rußland ausschlagen dürften, man ohne Zweifel berechtigt ist, an Oesterreich und Preußen von vornherein auch weit höhere Anforderungen zu stellen.

Während im Königreich Polen nicht ein einziges des Nennens werthes Journal herauskommt, erscheinen bloß im Großherzogthum Posen ihrer sieben in polnischer Sprache, wovon keines sich mit Politik befaßt. In der Provincialhauptstadt Posen kommen das litterarische Wochenblatt (Tygodnik Literacki) und eine Art von litterarischem Magazin heraus, das sich in zwanglosen Heften mit Mancherlei befaßt; dann wird jetzt neuerdings ein Tagblatt fürs Haus (Dziennik dvenowy), von Kamienski redigirt, herausgegeben; auch beabsichtigen zwei der bis vor kurzem thätigsten Mitarbeiter des litterarischen Wochenblatts, die sich mit dessen Redacteur Woykowski überworfen haben, ein neues litterarisches Blatt zu begründen. Alle übrigen polnischen Journale der Provinz erscheinen in der kleinen Stadt Lissa, die kaum 5000 Einwohner zählt, und zwar, bezeichnend genug, aus keinem andern Grunde, als weil hier die Beamten weniger stören und geniren, als in der weit volkreichern, auch an litterarischen Hülfsquellen ungleich reichern Stadt Posen. Sie sind: 1) eine Zeitschrift für Theologie und kirchliche Gegenstände; 2) der Führer für Wirthschaft und Gewerbe (Przewodnik rólniczo-przesnystowy), ein sehr gemeinnütziges, dem Gewerbfleiß dienendes Blatt, das viele Mitarbeiter zählt; 3) die Sonntagsschule für Bauern (Szkótka Niedzielna), ebenfalls ein sehr nützliches Blatt; 4) der Volksfreund (Przyjaciel ludu), eine Art von mit Holzschnitten reichlich ausgestatteten Pfennigmagazin. Außer diesen periodischen Schriften tritt im Großherzogthum eine immer größere Menge von Büchern gelehrten, historischen, wissenschaftlichen Inhalts oder zu populärer Belehrung und für gewerbliche Interessen ans Licht. In der That, bei solchen erfreulichen Thatsachen braucht man noch nicht um den Verfall der polnischen Litteratur und

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In seinen Umgestaltungsversuchen, die überall darauf berechnet waren, Verdienst und Uneigennützigkeit an die gebührende Stelle zu rufen, hatte Speransky natürlich manche Eitelkeit kränken, manches Vorurtheil verletzen, manches Interesse beeinträchtigen müssen, und als im J. 1812 der Feind sich den Gränzen Rußlands näherte, gelang es in der Verwirrung aller Verhältnisse einem oft gebrauchten Kunstgriffe, Speransky, der noch auf das thätigste an der Bildung der großen activen Armee mitarbeitete, zu stürzen; man scheute sich nicht, denjenigen eines Einverständnisses nach außen zu beschuldigen, der alle Kräfte dem Vaterlande gewidmet, der dem Dienste seines Monarchen alle Lebensfreuden geopfert hatte, dessen letztes Wort im Gebet für Rußlands Wohl erstarb! Er sah zuletzt das Gewitter sich über seinem Haupte zusammenziehen und wollte ihm durch schnelle Resignation auf seine öffentliche Stellung ausweichen – allein schon war es zu spät, schon war sein Schicksal unterzeichnet; unversehens ward er ins Exil geführt: zuerst nach Nischnei-Nowgorod, später nach Perm. Hier erlitt er alle Bedrängnisse der Verbannung, war genöthigt seines Unterhaltes wegen sich des Nöthigsten zu entäußern und zuletzt sein einziges Kind, an dem seine ganze Seele hing, weil er es dort nicht mehr ernähren konnte, auf ein kleines Gütchen, das er bei Nowgorod besaß, zu schicken. Doch auch jetzt verließen Speransky weder seine innere Ruhe, noch sein moralischer Muth, noch seine Liebe zur Thätigkeit. Durch sein letztes Schicksal und seine Lage mehr auf ein beschauliches Leben hingewiesen, griff er seine frühesten geistlichen Beschäftigungen wieder auf, und übersetzte namentlich die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis aus dem Lateinischen in das Russische, auch machte er eine etwas freiere Zusammenstellung aus den übrigen Werken desselben Schriftstellers. Das Hebräische, das er bis dahin nur in seinen Elementen gekannt hatte, erlernte er gründlich. Auch nahm er in dieser Zeit die Gewohnheit an, die er später nie mehr aufgegeben hat, mit der Feder in der Hand zu denken, und die Resultate seines Nachdenkens sogleich aufzuzeichnen; dieser glückliche Umstand hat der Nachkommenschaft einen reichen Schatz von Ideen dieses geistreichen Mannes erhalten. Später ward ihm gestattet, gleichfalls auf seine Besitzung bei Nowgorod zu ziehen, wo er seine Zeit zwischen theologischen und philosophischen Studien und der Erziehung seiner Tochter theilte. Die gewissenhafte Sorgfalt, mit welcher er diese Erziehung leitete, ward ihm reichlich vergolten, denn diese Tochter ward ihm später mehr als Trost, sie ward ihm Freundin, und hat ihn, selbst nach ihrer Vermählung, niemals mehr, oder doch, von gebieterischen Verhältnissen genöthigt, nur auf kurze Zeit verlassen. (Beschluß folgt.) Verschiedenheit innerer Zustände in den zu Rußland und zu deutschen Staaten gehörigen polnischen Landestheilen. πBerlin, 1 Jan. Nicht leicht mögen jemals die innern Zustände in den losgetrennten Theilen eines Landes, welches noch in das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts hinein ein Ganzes bildete, innerhalb eines so kurzen Zeitraums mehr auseinander gezogen worden seyn, als die des alten Polens. In der That, nichts erscheint verschiedener als die Lage der Polen in Oesterreich und Preußen von der in Rußland. Sie stellt sich gegen einander wie Licht und Schatten. Dort erregen sichtbare Fortschritte, besonders in Folge der geweckten, lauteren Strebsamkeit der Landeseingebornen, erfreuliche Hoffnungen, und man möchte bei ihrem Anblick sagen: Polen hat eine Zukunft. Hier geben sich offenbare Rückgänge in allen Dingen kund, daß man traurig den Blick abkehrt und sich zagend fragt: wie soll das enden? Es ist an sich wichtig genug, Deutsch-Polen gegen Russisch-Polen spiegelnd und mahnend zu halten; auch in nicht anderem als solchem Vergleich beruht hauptsächlich die Geschichte Polens, seitdem sie dem Stoff nach an die der drei östlichen Mächte geknüpft und vertheilt worden ist, welche sich Polen einverleibt haben. Doch ein anderer Umstand verleiht solcher Vergleichung noch ein besonderes Interesse, nämlich der, daß daraus die innere Politik jener Mächte in ihrer ganzen Verschiedenheit reflectirt, daß sie gleichsam ein Spiegel ist, worin man die Staatsphysiognomien von Oesterreich, Preußen und Rußland auf das deutlichste wieder erkennt. Ich will mich hierbei auf Thatsachen stützen, die so schlagend sind, daß sie weitläufiger Commentare nicht erst bedürfen; doch darf man in Folgendem nicht vergessen, daß, wie ungünstig diese auch gegen Rußland ausschlagen dürften, man ohne Zweifel berechtigt ist, an Oesterreich und Preußen von vornherein auch weit höhere Anforderungen zu stellen. Während im Königreich Polen nicht ein einziges des Nennens werthes Journal herauskommt, erscheinen bloß im Großherzogthum Posen ihrer sieben in polnischer Sprache, wovon keines sich mit Politik befaßt. In der Provincialhauptstadt Posen kommen das litterarische Wochenblatt (Tygodnik Literacki) und eine Art von litterarischem Magazin heraus, das sich in zwanglosen Heften mit Mancherlei befaßt; dann wird jetzt neuerdings ein Tagblatt fürs Haus (Dziennik dvenowy), von Kamienski redigirt, herausgegeben; auch beabsichtigen zwei der bis vor kurzem thätigsten Mitarbeiter des litterarischen Wochenblatts, die sich mit dessen Redacteur Woykowski überworfen haben, ein neues litterarisches Blatt zu begründen. Alle übrigen polnischen Journale der Provinz erscheinen in der kleinen Stadt Lissa, die kaum 5000 Einwohner zählt, und zwar, bezeichnend genug, aus keinem andern Grunde, als weil hier die Beamten weniger stören und geniren, als in der weit volkreichern, auch an litterarischen Hülfsquellen ungleich reichern Stadt Posen. Sie sind: 1) eine Zeitschrift für Theologie und kirchliche Gegenstände; 2) der Führer für Wirthschaft und Gewerbe (Przewodnik rólniczo-przesnystowy), ein sehr gemeinnütziges, dem Gewerbfleiß dienendes Blatt, das viele Mitarbeiter zählt; 3) die Sonntagsschule für Bauern (Szkótka Niedzielna), ebenfalls ein sehr nützliches Blatt; 4) der Volksfreund (Przyjaciel ludu), eine Art von mit Holzschnitten reichlich ausgestatteten Pfennigmagazin. Außer diesen periodischen Schriften tritt im Großherzogthum eine immer größere Menge von Büchern gelehrten, historischen, wissenschaftlichen Inhalts oder zu populärer Belehrung und für gewerbliche Interessen ans Licht. In der That, bei solchen erfreulichen Thatsachen braucht man noch nicht um den Verfall der polnischen Litteratur und

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 14. Augsburg, 14. Januar 1840, S. 0106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_014_18400114/9>, abgerufen am 27.04.2024.